Freihandel:Verhandlungen abbrechen? So geht es mit TTIP weiter

A sprayed sign against the TTIP free trade agreement is pictured in Frankfurt

Die Stimmung auf den deutschen Straßen ist klar: Die Mehrheit der Bürger will das Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA nicht.

(Foto: REUTERS)

Nach Sigmar Gabriel erteilt auch Frankreichs Regierung TTIP eine Absage. Hat das Freihandelsabkommen mit den USA so überhaupt noch eine Zukunft? Drei Szenarien.

Von Jan Willmroth

Die Debatte um das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP wird auch auf politischer Ebene zunehmend emotional. Nachdem Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel die Verhandlungen mit den USA am Sonntag für "faktisch gescheitert" erklärt hatte, legte er am Dienstag in Berlin nach: "Ich glaube, dass die Amerikaner TTIP aktiv beendet haben", sagte der SPD-Chef - einfach durch die "Nichtbereitschaft zu Kompromissen". "Warum sollen wir uns verrückt machen, wenn wir wissen: Dieser Verhandlungsstand erlaubt keinen Abschluss", sagte Gabriel weiter. Dass bis Jahresende ein fertiger Text für TTIP vorliegen könne, sei "reine Fiktion - es sei denn, man will sich den Amerikanern unterwerfen". Insofern habe er "lieber kein Abkommen als ein schlechtes".

In Frankreich verlangte der zuständige Staatssekretär Matthias Fekl derweil einen Stopp der Verhandlungen. Beim Treffen der EU-Handelsminister Ende September in Bratislava werde er das beantragen, so Fekl. Das überrascht - zumal Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sich erst bei der Sitzung des Europäischen Rats Ende Juni erneut das Mandat der EU-Kommission zur Fortsetzung der TTIP-Verhandlungen bestätigen ließ. Also auch von Frankreich. Und von der Bundesregierung. "Der Ball rollt und die Verhandlungen machen stetig Fortschritte", sagte deshalb ein Sprecher der EU-Kommission.

Wenn sich aber innerhalb weniger Tage zwei der maßgeblichen EU-Politiker gegen das Abkommen wenden, steht die Frage im Raum, wie es jetzt mit TTIP weitergeht. Drei Szenarien wären denkbar.

Szenario 1: Die EU-Handelsminister entziehen der EU-Kommission das Verhandlungsmandat

In den TTIP-Verhandlungen ist die Europäische Kommission der offizielle Verhandlungspartner der US-Regierung. Sie verhandelt im Namen der nationalen Regierungen. Das Mandat dazu hat die Kommission im Jahr 2013 per einstimmigem Beschluss vom EU-Handelsministerrat erhalten (hier das Mandat als PDF). Um ihr dieses Mandat wieder zu entziehen, müssten die 28 Handelsminister der EU-Staaten wohl wieder einstimmig ein Ende der Verhandlungen beschließen. Einen Präzedenzfall dazu gibt es bislang allerdings nicht.

Frankreich allein könnte also kein Ende der Verhandlungen erreichen. Wohl aber ist nicht zu übersehen, dass die Mitgliedstaaten sich die Hoheit über die Handelspolitik zurückholen wollen - bislang war das eine der Kernkompetenzen der Kommission. So ist auch Junckers Aufforderung beim Ratsgipfel Ende Juni zu lesen: Die EU-Kommission sieht sich in der Handelspolitik als ausführendes Organ der Mitgliedstaaten und zählt auf deren Rückendeckung. Wenn sich wichtige Länder wie Frankreich oder Deutschland gegen das Abkommen wenden, wäre es auch ohne formellen Ratsbeschluss nicht leicht, die Verhandlungen einfach fortzusetzen. Trotzdem beharrte EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström am Dienstag: "Ich teile die Auffassung nicht, dass die TTIP-Verhandlungen gescheitert seien. Sie sind natürlich schwierig, das wussten wir von Anfang an, aber sie sind nicht gescheitert."

Schafft Obama es noch? Sonst erscheint diese Variante am wahrscheinlichsten

Szenario 2: Die US-Regierung zeigt sich kompromissbereiter, damit Obama das Abkommen noch erreicht

Bislang war die US-Regierung in wesentlichen Punkten nicht von ihren Positionen abgerückt. Nicht bei der Öffnung der Agrarmärkte, nicht beim öffentlichen Beschaffungswesen in den USA, nicht bei der Reform des Investorenschutzes. Das haben zuletzt die im Mai veröffentlichten TTIP-Leaks gezeigt.

Washington könnte nun theoretisch die Zustimmung der EU-Mitgliedstaaten retten, wenn es zusätzliche Kompromisse eingeht. Ob das im aktuellen Stand der Verhandlungen geschieht, ist zwar nicht bekannt - aber unwahrscheinlich. Denn bislang drohte die US-Regierung beispielsweise damit, Exporterleichterungen für die europäische Autoindustrie zu blockieren, um im Gegenzug zu erreichen, dass die EU mehr US-Agrarprodukte abnimmt. Gleichzeitig stellte die US-Regierung wiederholt das grundlegende Vorsorgeprinzip beim EU-Verbraucherschutz infrage.

Zudem ist das TTIP-Abkommen in den USA weit weniger wichtig und wird viel weniger öffentlich diskutiert als in Europa. Im Präsidentschaftswahlkampf konzentrieren sich beide Präsidentschaftskandidaten auf das bereits beschlossene TPP-Abkommen mit elf Pazifikstaaten, das viele Amerikaner mit der Furcht verbinden, US-Arbeitsplätze könnten ins Ausland verlagert werden.

Szenario 3: EU und USA verhandeln bis November weiter, dann ruhen die Verhandlungen für etwa ein Jahr

Sowohl US-Regierung als auch EU-Kommission hatten gute Gründe, immer wieder zu betonen, dass sie bis Ende 2016 ein fertiges Abkommen vorlegen wollen. Denn erstens wollte Barack Obama das fertige Abkommen als seinen Erfolg verbuchen. Zweitens ist völlig offen, ob die nächste US-Regierung die gleichen Prioritäten setzt wie der derzeitige Präsident. Bislang machen beide Kandidaten mit Anti-Freihandels-Rhetorik Wahlkampf. Und drittens müssten sich so oder so völlig neue Verhandlungsteams kennenlernen und aneinander gewöhnen, was die Gespräche auf unbestimmte Zeit verzögern würde.

Zudem finden im kommenden Jahr auch in Europa wichtige Wahlen statt: Deutschland wählt im September einen neuen Bundestag; die Franzosen sind bereits im April zur Wahl eines Präsidenten aufgerufen. In beiden Fällen dürfte TTIP ein wichtiges Wahlkampfthema werden - wie die aktuellen Äußerungen schon beweisen. Und in beiden Fällen ist bislang unklar, wie die künftigen Regierungen zu einer Fortsetzung der Verhandlungen stehen.

Dieses Szenario, in dem so vieles offen bleibt, erscheint derzeit am wahrscheinlichsten: Es gäbe keinen politischen Beschluss zum Ende der Verhandlungen; zunächst warten die Parteien die Ergebnisse der Wahlen in den USA, in Frankreich und Deutschland ab. Bis eine transatlantische Handelspartnerschaft zustande kommen könnte, vergingen dann noch mindestens mehrere Jahre.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: