Europa:Wie Frankreich und Deutschland Spitzenjobs in der EU aufteilen

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Frankreichs Präsident Macron und Bundeskanzlerin Merkel telefonieren derzeit oft, heißt es. (Foto: John Macdougall/AFP)
  • Bis 2019 werden alle relevanten Posten in der EU vergeben. Unter anderem brauchen die EU-Kommission und die Europäische Zentralbank neue Chefs.
  • Deutschland und Frankreich möchten die einflussreichen Positionen nach ihren Vorstellungen besetzen.
  • Paris würde gerne den Präsidenten der Kommission stellen. Die Bundesregierung hat einen Kandidaten für die Zentralbank.

Von Cerstin Gammelin, Berlin, und Alexander Mühlauer, Brüssel, Berlin/Brüssel

Vehement versichern die Wortführer eines möglichen Jamaika-Bündnisses, man rede nur über Inhalte, nicht über Posten. Die Botschaft ist wenig glaubwürdig. Schließlich geht es nicht nur darum, Bundesministerien zu verteilen, sondern auch um Posten in einem neuen Europa. Spätestens 2019 nämlich werden dort alle relevanten Spitzenjobs neu vergeben; gesucht werden Chefs für die EU-Kommission, den Europäischen Rat, das Europaparlament, das Außenamt und die Europäische Zentralbank (EZB). Zurzeit laufen Sondierungen für den neuen Präsidenten der Gruppe der Euro-Finanzminister - ein mächtiges Gremium, das über Haushalte oder Griechenland-Kredite entscheidet. Eigentlich soll der neue Euro-Gruppen-Chef bereits in einem Monat gewählt werden. Doch so einfach ist das nicht.

Die Basis für alle europäischen Rechenspiele ist eine deutsch-französische Verständigung. Auch wenn Angela Merkel derzeit nur geschäftsführende Regierungschefin ist, hat sie, wie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, bereits durchblicken lassen, wo ihre Interessen liegen. Die Bundesregierung hätte es gern, wenn der jetzige Bundesbank-Präsident Jens Weidmann der nächste EZB-Chef würde. Er wäre der erste Deutsche in deren Geschichte: Vor dem Italiener Mario Draghi, der 2019 abtritt, waren ein Franzose und ein Niederländer im Amt.

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Paris erhebt ebenfalls Anspruch auf ein Spitzenamt - und hat die Europäische Kommission ins Visier genommen. In Berlin wird das durchaus wohlwollend unterstützt. Man brauche "eine starke Persönlichkeit" an der Spitze der EU-Gesetzgebungsbehörde, verlautet aus Regierungskreisen. Die deutsch-französische Abstimmung, so ist aus Gesprächen herauszuhören, läuft derzeit wie ein gut geschmierter Motor.

Merkel und Macron telefonieren nicht nur mehrmals in der Woche, wie man versichert. Sie nehmen auch aufeinander Rücksicht. So unterrichtete etwa der Franzose die Kanzlerin vorab über seine aufsehenerregende Europa-Rede im September und schwächte Passagen ab, die in Deutschland als heikel hätten gelten können. Merkel revanchierte sich bereits und bat Jamaika-Sondierern zufolge darum, besonders ablehnend klingende Passagen in dem gemeinsamen Europa-Papier mit einem Fragezeichen zu versehen.

Viele Franzosen in Spitzenpositionen gelten als ausgeschlossen

Auch in Sachen Euro-Gruppe arbeiten beide nahezu lautlos zusammen. Als der französische Finanzminister Bruno Le Maire erkennen ließ, er wolle sich für den Vorsitz des Gremiums bewerben, sprach sich wenig später die Gruppe der christdemokratischen EVP-Finanzminister informell gegen eine solche Bewerbung aus. Le Maire war damit diplomatisch geschickt beschädigt worden - mithilfe des damaligen Finanzministers Wolfgang Schäuble, der stets loyal zu Merkel stand.

Sollte Macron Le Maire dennoch als Euro-Gruppen-Chef durchsetzen wollen, wäre das schon eine Vorentscheidung für künftige Posten. Ein französischer EZB-Präsident wäre dann so gut wie unmöglich und ein französischer Kommissionschef weitaus schwieriger zu vermitteln. Gegen Le Maire spricht außerdem, dass in Pierre Moscovici bereits ein Franzose als Wirtschafts- und Währungskommissar agiert. "Es gibt schon genug Franzosen auf diesem Gebiet", sagt ein EU-Diplomat.

Niemand drängt sich als Chef der Euro-Gruppe auf

Nächste Woche wird der deutsche Finanzminister wie gewöhnlich nach Brüssel fahren, um mit den europäischen Kollegen zu beraten. Das ist aber auch schon alles an Normalität. Merkel hat ihren Vertrauten Peter Altmaier in dieses Amt befördert, geschäftsführend. Wie lange er bleiben wird, ist ungewiss. Sicher ist nur, dass der bisherige Kanzleramtsminister gern ein Ministerium führen würde. In Brüssel wird Altmaier nicht viel mehr als Präsenz zeigen können. Im besten Fall sorgt er für Klarheit.

Denn am Freitag wurde bekannt, dass in Berlin erwogen wird, die für Dezember geplante Ernennung des nächsten Euro-Gruppen-Chefs zu verschieben. Es werde sondiert, die Amtszeit des bisherigen Präsidenten Jeroen Dijsselbloem "noch etwas zu verlängern". Kein anderer Kandidat dränge sich auf. Genau das ist das Problem: Es gibt nicht den offensichtlichen Dijsselbloem-Nachfolger. Gegen alle möglichen Bewerber sprechen Gesetze der EU-Machtarithmetik. Einmal passt die Partei nicht, mal die Staatsangehörigkeit, mal ist es die mangelnde Qualifikation.

Bringt Macron seine Bewegung in die gesamte EU?

In Paris hat unterdessen das Schaulaufen potenzieller Kandidaten für andere Top-Jobs begonnen. Aufmerksam hat man in Berlin verfolgt, dass Macron vergangene Woche Christine Lagarde in Paris zu einem persönlichen Gespräch empfangen hat. Die geschäftsführende Direktorin des Internationalen Währungsfonds (IWF) gehört zwar nicht zum engen Zirkel Macrons, gilt aber als starke Führungspersönlichkeit und damit als aussichtsreiche Anwärterin auf einen EU-Posten. Allerdings nur eingeschränkt. Als IWF-Chefin könnte Lagarde nicht als Spitzenkandidatin in den europäischen Wahlkampf ziehen, ohne den Posten in Washington aufzugeben. Ihr ambitionierter Landsmann Michel Barnier, Brexit-Chefunterhändler der EU, könnte dagegen ohne Probleme für sich werben. Wobei noch nicht feststeht, ob ein solcher Wahlkampf mit Spitzenkandidatin in Berlin und Paris überhaupt erwünscht ist.

Offen ist auch, ob Macron auf EU-Ebene nicht das versuchen wird, was ihm schon in seiner Heimat gelang: eine neue Bewegung gründen, um Wahlen zu gewinnen. Europe en marche , sozusagen.

© SZ vom 04.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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