EU-Kommission:Für ein faires Steuerrecht in Europa

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"Es steht der Verdacht im Raum, dass Steuervorentscheidungen zum Vorteil großer Unternehmen missbraucht worden sind" (Foto: Bloomberg)
  • Die Europäische Kommission will dieses Jahr verstärkt gegen Steuervermeidung vorgehen. Das versprechen die zuständigen EU-Kommissare Pierre Moscovici und Margrethe Vestager in einem Gastbeitrag.
  • Sie kündigen an, eine gemeinsame Grundlage für die Körperschaftsteuer schaffen zu wollen. Das Ziel: Konzerne sollen einheitlicher Steuern zahlen.
  • Allerdings kann die EU-Kommission das nicht alleine durchsetzen. Die Mitgliedsstaaten müssen zustimmen.

Gastbeitrag von Pierre Moscovici und Margrethe Vestager

Wir Europäer haben 2014 gelernt, dass im "Double Irish" kein Whiskey und auf dem "Dutch Sandwich" kein Käse ist. Der Appetit auf Steuerthemen ist trotzdem gewachsen. Die Bekämpfung von Steuerbetrug und Steuervermeidung wurde stark thematisiert, ebenso wie Wege zu einem fairen Steuerrecht, unter dem alle Unternehmen einen gerechten Anteil zahlen. Dieser neue Schwung in der öffentlichen und politischen Debatte bestärkt uns darin zur Tat zu schreiten: 2015 legen wir Ergebnisse auf den Tisch.

Die einzelnen nationalen Steuersysteme in der EU sind nicht harmonisiert und weisen Schlupflöcher auf. Dies wird von einigen Unternehmen gezielt für eine aggressive Steuerplanung genutzt, oft mit Hilfe internationaler Wirtschaftsberatungen und manchmal sogar nationaler Steuerbehörden. Wenn aber nur ausgewählte Unternehmen bevorzugt werden, schadet dies Europas Binnenmarkt und Europas Bürgern. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, in denen viele den Gürtel enger schnallen müssen, ist es umso wichtiger, dass große Konzerne einen fairen Steuerbeitrag leisten.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat in seinen Politischen Leitlinien deutlich gemacht, dass er Steuervermeidung und Steuerbetrug entschlossen bekämpfen will.

Es ist auch nicht lang her, dass wir gemeinsam mit den anderen EU-Kommissaren nach Luxemburg fuhren, um vor dem Europäischen Gerichtshof unseren Amtseid abzulegen. Auf dem vom belgischen FC Brügge gemieteten Bus stand "Ohne Fleiß kein Preis". Es soll hier kein Fußballverein unterstützt werden, aber das Motto, finden wir, passt. Tatsächlich hat sich die Europäische Kommission sofort an die Arbeit gemacht und in Rekordzeit einen Investitionsplan in Höhe von 315 Milliarden Euro vorgelegt, der Europa mehr Wachstum und Jobs bringen soll. Und wir, die für Wettbewerb und Steuern zuständigen Kommissare, wollen gemeinsam in unseren Ressorts den Kampf gegen unfairen Steuerwettbewerb und Steuervermeidung vorantreiben.

Seit Juni letzten Jahres untersucht die Kommission in mehreren EU-Staaten Steuervorentscheidungen - so genannte "tax rulings" - mit höchster Dringlichkeit. Erste Ergebnisse dieser Untersuchungen wollen wir dieses Jahr im Frühjahr vorlegen.

Steuervorentscheidungen sind nicht per se wettbewerbsverzerrend. Fast alle EU-Staaten nutzen dieses Instrument, um Unternehmen Rechtssicherheit in Steuerangelegenheiten zu geben. Es steht aber der Verdacht im Raum, dass Steuervorentscheidungen zum Vorteil großer Unternehmen missbraucht worden sind.

Allgemein muss man zwischen Steuervorteilen für alle und einer Vorzugsbehandlung von wenigen unterscheiden. Letztere könnte eine ungerechtfertigte staatliche Beihilfe darstellen.

Die eindrucksvolle journalistische Arbeit zu "Luxleaks" hat Informationen zu Tag gefördert, die die Kommission sorgfältig prüfen wird. Wir brauchen aber ein vollständiges Bild der Lage und eine klare Strategie. Daher haben wir im Dezember alle EU-Staaten um Angaben zu ihren Steuervorentscheidungspraktiken gebeten.

Im schlimmsten Falle kann unfairer Steuerwettbewerb zu einer Abwärtsspirale führen, durch die Staaten gezwungen würden, multinationale Konzerne mit immer weiteren Steuererleichterungen zu locken. Verlieren würden dabei viele: Europas Steuerzahler, die die Rechnung zu begleichen haben; Kleinunternehmen, die nicht mithalten können; und die Staaten selbst, die wegen sinkender Steuereinnahmen weniger Mittel haben, Straßen, Stromnetze und Schulen zu bauen. Gewinner hingegen sind nur wenige Großunternehmen.

Das Thema betrifft nicht nur ein, zwei Länder. Es ist ein europäisches Problem, das eine europäische Lösung braucht. Deshalb arbeitet die Kommission an neuen Gesetzesinitiativen. Bis zum Frühjahr werden wir einen Vorschlag zum automatischen Informationsaustausch bei grenzüberschreitenden Steuervorentscheidungen vorlegen. Steuerbehörden müssen wissen, welche Unternehmen in einem anderen Mitgliedstaat bevorzugt behandelt werden. Die meisten EU-Staaten sind bereits dafür, und wir glauben fest daran, dass wir auch diejenigen überzeugen werden, die noch zögern.

Zwei Vorschläge der Kommission haben die Staaten bereits gebilligt: Unternehmen sollen daran gehindert werden, Vorschriften zur Besteuerung von Mutter- und Tochtergesellschaften zu missbrauchen. Und nationale Steuerbehörden werden mehr Informationen automatisch miteinander austauschen. Beim letzten G-20-Gipfel in Brisbane verpflichteten sich die Staats- und Regierungschefs auf Initiative von Präsident Juncker auf neue Transparenzstandards für Steuervorentscheidungen. Schließlich arbeiten wir im Rahmen der OECD daran, die internationalen Steuervorschriften noch in diesem Jahr zu modernisieren.

Aber wir müssen noch weiter gehen. Beim Kampf gegen Steuervermeidung geht es nicht darum, Unternehmen zu schaden. Sondern darum, transparente und unternehmensfreundliche Lösungen zu schaffen. Deshalb will die Kommission ihren Vorschlag für eine gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage neu beleben. Damit müsste ein Unternehmen, das in mehr als einem EU-Staat tätig ist, nur ein gemeinsames Regelwerk bei der Steuererklärung beachten. Die Steuern würden dann zwischen den jeweiligen Staaten aufgeteilt. Wettbewerb zwischen verschiedenen Steuersätzen bliebe möglich, aber viele Schlupflöcher für aggressive Steuerplanung würden beseitigt.

Wir haben jetzt die Chance, den Steuerwettbewerb im EU-Binnenmarkt gerechter und transparenter zu machen. In Sachen Steuerpolitik müssen stets alle EU-Staaten zustimmen, daher sollten wir den gegenwärtigen Schwung nutzen.

Wir stehen am Anfang, ein gerechteres Steuersystem in Europa aufzubauen, das darauf beruht, dass Gewinne dort versteuert werden, wo Werte geschaffen werden. Gleichzeitig werden wir die Vorschriften über staatliche Beihilfen überall durchsetzen, wo selektive Steuervorteile den Wettbewerb verzerren. Unser politisches Ziel ist letztlich ganz einfach: Alle Unternehmen müssen ihren fairen Anteil beitragen. 2015 werden wir dieses Versprechen umsetzen.

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