Bundestagswahl 2017:Merkel gegen Schulz: Was das für die Wirtschaftspolitik bedeutet

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Illustration: Sead Mujic (Foto: Illustration: Sead Mujic)

Merkel wirkt vor dem Wahlkampf etwas unmotiviert, ihr Gegner Schulz schärft unterdessen das sozialpolitische Profil seiner Partei. Doch mit mancher Forderung kommt der Herausforderer ein Jahrzehnt zu spät.

Essay von Marc Beise

Aus dem Chaos sprach eine Stimme zu mir: Lächle und sei froh, es könnte schlimmer kommen! Und ich lächelte und war froh, und es kam schlimmer!" Viele Jahre hing diese Büroweisheit genau dort: im Büro an der Pinnwand hinter dem Schreibtisch. Dann wirkte der Spruch abgedroschen, und beim Umzug ging das vergilbte Kalenderblatt ein wenig mutwillig verloren. Stimmt ja auch eigentlich nicht, eigentlich wird die Welt doch, jetzt mal sehr grob gesprochen: in Summe besser.

Das Wahljahr 2017 ruft den Spruch in Erinnerung. Bis vor drei Wochen schien es, als würde es wie schon so häufig: fad, voller oberflächlicher Debatten, halbherziger Versprechen und einem allgemein nöligen Unterton, was alles nicht funktioniert im Land, und vor allem: was alles nicht funktioniert in Europa. Mittendrin eine Langzeitkanzlerin, die sich zwar dazu durchgerungen hat, es noch einmal wissen zu wollen, aber den Eindruck vermittelt, keine Lust mehr zu haben auf den ganzen Kram.

Wer es nicht schafft, eine positive Geschichte zu erzählen, gewinnt keine Wähler

"Nur wenn wir uns selbst begeistern, können wir auch andere begeistern", mit diesem Kampfruf hat sich einst Oskar Lafontaine gegen Rudolf Scharping den SPD-Parteivorsitz erputscht - sollte sich Angela Merkel selbst begeistern können, lässt sie jedenfalls die Öffentlichkeit daran nicht teilhaben. Damit steht sie exemplarisch für eine jüngere Tradition der mindestens wirtschaftspolitischen Debatte in Deutschland: Man erkennt keinen politischen Gestaltungswillen, keine Aufbruchstimmung für etwas, sondern die ganze Debatte ist negativ besetzt: Es gilt etwas zu verhindern: den Zerfall Europas und des Euro, die Überfremdung Deutschlands, die Verarmung Deutschlands.

Dieser mutlose Ansatz erklärt sich vielleicht mit den allgemeinen Weltläuften, mit Unsicherheiten und wachsenden Ängsten in der Bevölkerung, aber eben auch mit der speziellen Art, wie Merkel Politik betreibt. Hier findet sich eine Parallele zu Vorgänger Gerhard Schröder, der von Fachleuten für seine Agenda 2010 bis heute zurecht gelobt wird, der es mangels ausreichender Emotionalität aber nie geschafft hat, die Veränderungen am Arbeitsmarkt als positives Projekt in der Bevölkerung zu verankern.

Wirtschaftspolitik ist zu einem guten Teil Psychologie

Bestenfalls kam das als notwendiges Übel rüber - mit der Folge, dass in wirtschaftlich besseren Zeiten selbst die eigene Partei die Erfolge von damals zunehmend kleinredet, weil die Notwendigkeit des Übels nicht mehr zu erkennen ist. Dass die Agenda 2010 ein Projekt zur Wiedergewinnung der deutschen Wettbewerbsfähigkeit in der Welt war, das wurde nicht wirklich vermittelt. Das ist umso ärgerlicher, als es sich sogar um das erfolgreichste Projekt dieser Art in der jüngeren deutschen Geschichte handelt.

Martin Schulz und Angela Merkel 2014 in Brüssel (Foto: dpa)

Wirtschaftspolitik ist zu einem guten Teil Psychologie. Berater sprechen heutzutage gerne vom "Storytelling". Das klingt werblich und aufgesetzt, verfolgt aber einen richtigen Ansatz, der sowohl für Unternehmer als auch Politiker gilt: Wer es nicht schafft, glaubhaft eine positive Geschichte zu erzählen, der wird auf Dauer weder die Mitarbeiter noch die Bürger "mitnehmen" können. Da ist es nicht mehr weit zur Erkenntnis: Es könnte schlimmer kommen und es kam schlimmer.

Vor diesem Hintergrund ist die neueste Volte in der deutschen Politik an Spannung kaum zu überbieten. Mit dem SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz ist Angela Merkel ein Gegner erwachsen, der den Unterschied macht. Der alles ändert. Von 21 auf 31 Prozentpunkte hat der bisherige Präsident des Europäischen Parlaments seine darbende Partei nach oben gedrückt, fast auf Unionsniveau, und das binnen zweier Wochen.

Schulz löst Emotionen aus, die ihresgleichen suchen. Und das Schönste: Es sind positive Emotionen. Die Mobilisierung der Anhänger der AfD speist sich aus Angst und Wut: Wir müssen etwas verhindern. Schulz löst Begeisterung für etwas aus: für Werte, für offene Grenzen, ja sogar: für Europa. Donnerwetter.

Unter den vielen Menschen, die derzeit in die SPD eintreten, sind erstaunlich viele junge Menschen. Menschen die sich für Europa begeistern lassen, Menschen, die nicht auf die plumpe Propaganda hereinfallen: Europa ist an allem Schuld. Damit sticht Deutschland auf dem Kontinent heraus und vor allem aus der Menge der Länder, in denen in diesem Jahr gewählt wird: die Niederlande, Frankreich, vielleicht Italien. In Deutschland wird im September nicht über Schwarz oder Weiß entschieden, über Europa oder den Nationalstaat, Demokratie oder Autoritarismus - sondern eher über Details und über den Stil der Politik. Sachdebatte statt Polemik, wie schön. So viel gewissermaßen zur europa- und weltpolitischen Abteilung des nun anhebenden Wahlkampfes.

Weniger erfreulich ist Lage beim Blick auf den wirtschaftspolitischen Kernbereich der Binnenpolitik.

Was bedeuten Schulz' Pläne konkret?

Der Sozialdemokrat Schulz, den man bisher eher auf dem realwirtschaftlichen Flügel der Partei verorten konnte, ist fleißig dabei, das sozialpolitische Profil der ehrwürdigen Arbeiterpartei zu schärfen. Noch ist er nicht zum Parteivorsitzenden gewählt, und auch das Wahlprogramm entsteht erst, aber erste Positionierungen sind erfolgt. Dauerhaft sichere Arbeitsverhältnisse, höhere Löhne, mehr Mitbestimmung, mehr staatliche Leistungen, mehr soziale Gerechtigkeit - das ist die Melodie, die Schulz anstimmt. Aber was heißt das konkret?

Beispiel 1: "Die Menschen, die mit harter Arbeit ihr Geld verdienen, dürfen nicht schlechter gestellt sein als die, die nur ihr Geld für sich arbeiten lassen" - das ist ein typischer Schulz-Satz. Heißt in der Konsequenz wohl: Der niedrigere Steuersatz für Kapitaleinkünfte von pauschal 25 Prozent soll abgeschafft werden. Den hatte Schulz' Vorgänger als Kanzlerkandidat, Peer Steinbrück, als SPD-Finanzminister einer großen Koalition eingeführt mit der berühmten Rechtfertigung: "Besser 25 Prozent von X, als 42 Prozent von nix." Noch ist dieser Satz nicht widerlegt, und an der Frage wird sich auch nicht das Wohl und Wehe der deutschen Politik entscheiden. Wichtiger sind andere Weichenstellungen der Steuerpolitik.

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Mit mancher Forderung kommt Schulz ein Jahrzehnt zu spät

Beispiel 2: "Wir müssen Superreiche stärker belasten." Klingt gut, aber wie? Grüne und Linkspartei haben ein klares Konzept, sie wollen die Umverteilung über eine Vermögensteuer, Schulz schließt das nicht aus. Umgekehrt hält er nichts von Steuersenkungen - obwohl doch die Entlastung des Mittelstandes eigentlich ein allgemeines Anliegen seit Jahren ist (das von der großen Koalition trotz sprudelnder Steuereinnahmen sträflicherweise dauerhaft verschleppt worden ist). Stattdessen will Schultz lieber staatliche Leistungen ausweiten. So soll Bildung von der Kita bis zur Uni Eltern, Schüler und Studenten nichts kosten. Mit solchen Maßnahmen gebe man "den Menschen viel mehr zurück als den einen oder anderen Euro auf dem Konto". Also kein klares Steuerkonzept, sondern eher Umverteilung mit der Gießkanne. Das ist teuer und vermutlich unrealistisch, bindet aber gedankliche Ressourcen.

Beispiel 3: "Wenn der kleine Bäckerladen anständig und selbstverständlich seine Steuern zahlt, der globale Kaffeekonzern sich aber davor drückt, dann geht es nicht gerecht zu." Sagt Schulz, der als EU-Politiker seinen Kumpel, den Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker, nach Kräften vor Kritik und Nachforschung geschützt hat, obwohl dieser doch als Premier und Finanzminister von Luxemburg das Fürstentum als Steueroase gedeihen ließ. Glaubwürdig ist das nicht.

Beispiel 4: "Wir haben erheblichen Nachholbedarf bei den Einkommen." Aber ist das wirklich so? Will man das Verhältnis von Löhnen und Gewinnen über die Zeit vergleichen, was schwierig genug ist, kann man die gesamtwirtschaftliche Lohnquote zu Hilfe nehmen. Die lag 2016 bei 68,1 Prozent, das sind vier Prozentpunkte weniger als im Jahr 2000 (da hatte sie mit 72 Prozent ihren höchsten Stand seit der Wiedervereinigung), aber 4,5 Prozentpunkte mehr als 2007 (63,8 Prozent in der Wirtschaftskrise).

Und seit 2007 hat die IG Metall in der Metall- und Elektroindustrie, wo die Geschäfte gut laufen, Tariferhöhungen von fast 30 Prozent durchgesetzt. Insgesamt steigen die Löhne seit mehreren Jahren kontinuierlich: Im Grunde kommt Schulz ein Jahrzehnt zu spät. So spät, dass er den Vorstoß besser lassen sollte.

Denn die steigenden Löhne beginnen langsam wieder zu einem Wettbewerbsnachteil für die deutsche Industrie zu werden. Fünf Jahre in Folge sind die Arbeitskosten in Deutschland stärker gestiegen als im Durchschnitt der Europäischen Union; sie liegen in Deutschland (Stand 2014) 13 Prozent höher als 2007. In der gleichen Zeit sind die Arbeitskosten in Japan gleich geblieben und übrigens auch in den Vereinigten Staaten von Amerika - die doch handelspolitisch laut Präsident Donald Trump so niederträchtig von Deutschland an die Wand gespielt werden.

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Noch geht das alles gut, weil Deutschland so exportstark ist. Aber das zu ändern, daran arbeiten ja argumentativ viele, auch Sozialdemokraten. Je teurer Deutschland aber wird (oder sagen wir freundlicher: je solidarischer im Euroraum), desto mehr Wachstumskräfte müssen anderswo freigesetzt werden. Dazu aber hört man von Schulz wenig - warum auch? Wie man bei Steuern und Tarifpolitik sieht, vertraut der künftige SPD-Boss nicht eben auf die Eigeninitiative der Menschen und die Kräfte des Marktes.

Das ist überhaupt ein Kernproblem von Schulz: Er will den Staat die Dinge regeln lassen. Dabei hat man eigentlich nicht den Eindruck, dass die Gewerkschaften in Deutschland nicht sehr genau wüssten, was sie ihren Betrieben zumuten können und was nicht; das ist der Zauber der Tarifautonomie. Und da haben wir über die Freisetzung wirtschaftlicher Kräfte durch Deregulierung noch gar nicht geredet.

Dass ein Sozi das nicht macht, kann man verstehen. Schön wäre es da, die bürgerlich-konservative Union würde dem etwas entgegensetzen. Doch die CDU ist unter Merkel immer weiter nach links gerückt, wo sich die CSU, wenn das wahlarithmetisch erforderlich ist, längst aufhält. Dass Geld erst verdient werden muss, bevor man es in die Umverteilung stecken kann, gerät da leicht aus dem Blick.

© SZ vom 11.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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