WM-Qualifikation 2010:Flohs Doppelleben

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Argentiniens Lionel Messi und Trainer Diego Maradona droht der Tiefpunkt ihrer sagenhaften Karrieren. Denn eine verpasste WM wäre auch ihr Verdienst.

Peter Burghardt

Lionel Messi traf am Sonntag aus Spanien zu den argentinischen Schicksalstagen ein, natürlich hatte er jenseits des Atlantiks zuvor gewonnen. Mit dem FC Barcelona bezwang einer der drei besten Fußballspieler der Welt im Stadion Camp Nou am Samstag Almería 1:0. Es war einer seiner unauffälligeren Beiträge für seinen Arbeitgeber, aber ausreichend für den sechsten Sieg im sechsten Ligaspiel der Saison. Auch in der Champions League machen er und die aufregendste Elf des Planeten ungefähr dort weiter, wo sie im Mai mit drei Titeln aufgehört hatten. In sieben Pflichtpartien schoss Messi schon wieder sechs Tore. Sein Jahresgehalt in Lilaweinrot wurde derweil auf knapp elf Millionen Euro netto, die Ablösesumme auf 250 Millionen Euro und der Vertrag bis 2016 erweitert. Jetzt schlüpft der Stürmer am Rio de la Plata zum patriotischen Notfall in das hellblauweiße Trikot, mit dem er zuletzt meistens verlor.

Das Ziel: eine Staatskrise vermeiden

1:6 in Bolivien. 0:2 in Ecuador. 1:0 gegen Kolumbien. 1:3 gegen Brasilien, noch dazu in seiner Geburtsstadt Rosário. 0:1 in Paraguay. Bei vier von fünf Qualifikationsmatches für die Weltmeisterschaft 2010 unterlagen Messi und Argentinien in den vergangenen Wochen und laufen Gefahr, das Turnier 2010 in Südafrika zu verpassen. Der aktuelle Platz fünf in der Südamerika-Gruppe würde gerade noch zu einem Entscheidungsduell gegen den Vierten aus Nord- und Mittelamerika reichen, derzeit Costa Rica. Am Samstag im Stadion Monumental von Buenos Aires gegen Peru und am Mittwoch in Montevideo gegen Uruguay versucht eines der höchstdotierten Nationalteams der Welt nun eine Staatskrise zu vermeiden und Lionel Messi, 22, den vorläufigen Tiefpunkt seiner sagenhaften Laufbahn. Dabei trägt er hier wie in Barcelona die Nummer der Nummern, die 10. Und auf der Bank sitzt der Mann, dessen Erbe er antreten soll: Diego Armando Maradona.

Maradona und Messi. Man ahnte, dass das kompliziert werden würde, aber es war zumindest ein interessantes Experiment. Der ehemals genialste Solist auf dem Rasen gab seinem Nachfolger das Hemd mit der 10, nachdem er vor einem Jahr zur allgemeinen Verblüffung zum Trainer der Albiceleste ernannt worden und Spielmacher Juan Román Riquelme beleidigt zurück getreten war. "Mein Maradona ist Messi", verkündete Maradona und schwärmte, dass er keinen anderen Spieler kenne, dem der Ball so am Fuß klebe. Seine einzige Beschwerde war noch Ende Juli, dass sein Messi auf dem Mobiltelefon so schwer zu erwischen sei - "Obama ist leichter zu erreichen". Zwischenzeitlich konnten sich die zwei in die Augen schauen, sind ähnlich klein, allerdings wechselt die Zuneigung so schnell wie Maradonas Laune. Messi müsse endlich aufhören, ein Versprechen zu sein und ein Mann werden, nörgelte der ehemalige Goldjunge im September. Im Oktober sind beide bemüht, die größte Blamage ihrer Karrieren zu verhindern.

An Maradonas Eignung zum Taktiker und Pädagogen zweifelt das Publikum bereits länger. Inzwischen wird der Chefstratege vom Verbandspaten Julio Grondona vorgeführt, ist mit Manager Carlos Bilardo zerstritten und droht mit dem baldigen Rücktritt. Bei Messi fragen sich die Landsleute mit jedem seiner spanischen Geniestreiche, wieso ihm für die Katalanen fast alles gelingt und für Argentinien fast nichts. Einmal, vor ein paar Jahren gegen Getafe, zauberte er für Barça ein nahezu identisches Solo auf den Platz wie Maradona 1986 bei seinem Alleingang des Jahrhunderts gegen England. "Leos Doppelleben", schrieb die Zeitung La Nación kürzlich und fahndete nach Erklärungen. Mitstreiter Juan Sebastián Verón erläuterte, in Barcelona habe Messi einfach öfter den Ball und mehr Möglichkeiten. Assistenztrainer Antonio Mohamed dozierte: "In Europa lassen sie ihn mehr spielen, in Südamerika sind die Verteidiger rauer."

"Argentinien darf nicht fehlen"

Miesmacher wiederum stänkerten, der Verein und das viele Geld seien ihm wichtiger als die Heimat. Argentinien hat er ja schon mit 13 verlassen. Und mit Maradona klappe es sowieso nicht. Da wurde auch der sonst so stille Leo sauer. "Meine Beziehung zu Diego ist super", konterte Messi. Und wenn es ihm bloß um die Kohle gehe, dann wäre er nicht überall mit hingefahren, nach Bolivien und Venezuela. "Niemand verliert gerne im Nationaltrikot. Ich würde etwas geben, wenn ich in der Nationalmannschaft so spielen würde wie in Barcelona. In Barcelona habe ich großartige Spieler neben mir, aber in der Auswahl auch, und wir könnten es genauso gut machen, doch das kriegst du in zehn Tagen alle zwei oder drei Monate nicht so leicht hin."

Beim FC Barcelona schlägt Xavi die Steilpässe, und neben Messi stürmte Samuel Eto'o und stürmt Zlatan Ibrahimovic. Bei Argentinien kam aus dem Mittelfeld ohne Riquelme wenig, und Carlos Tevez war auch nicht der geeignete Offensivpartner für La Pulga, den Floh. Gegen Peru und Uruguay will Maradona neben ihm Gonzalo Higuaín von Real Madrid und bei Bedarf später den schlaksigen Altmeister Martin Palermo von Boca Juniors in den Angriff schicken, und als Ballverteiler hat er Pablo Aimar von Benfica Lissabon wieder entdeckt. "Ob wir gut oder schlecht spielen, wir müssen die zwei Spiele gewinnen", hat Messi erkannt: "Argentinien darf bei der WM nicht fehlen." Die Fifa, seine Sponsoren, Maradona und selbst der FC Barcelona sehen das ähnlich.

© SZ vom 09.10.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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