Ruhpolding während der Biathlon-WM:Alles ausverkauft im 6000-Seelen-Dorf

Noch nie hatte eine Biathlon-WM so viele Zuschauer: Ruhpolding floriert als Sport-Standort, aber manche klagen, die Ruhpoldinger Gemütlichkeit leide unter der Größe der Veranstaltung. Die WM-Bilanz aus dem Biathlon-Boom-Dorf.

Heiner Effern

Herbert Fritzenwenger senior sollte eigentlich erschöpft sein. Der Mann ist 72 Jahre alt, hat seit September kaum einen Tag frei gehabt und die vergangenen 14 Tage keine Minute. Doch seine Augen leuchten, er strahlt übers ganze Gesicht. Am ehrenamtlichen Geschäftsführer des Skiclub Ruhpolding lässt sich bestens beobachten, welche segensreiche Wirkung Glückshormone haben.

Biathlon-Weltmeisterschaft 2012

Auch den Schuhplattler gab es in Ruhpolding schon zu bewundern.

(Foto: dapd)

Fritzenwenger reitet wie sein ganzer Heimatort eine Euphoriewelle, die seit dem Beginn der Biathlon-Weltmeisterschaften jede Erschöpfung und jeden Misston einfach wegspült. "Wir haben Weltspitzenniveau erreicht", sagt Fritzenwenger. Einfach "super" sei die WM bisher gelaufen, allgemein und für seinen Skiclub.

Vor Jahrzehnten begann der Verein, beim Biathlon aus einer Hütte heraus Brotzeiten sowie Kaffee und Kuchen zu verkaufen. Der Gewinn ging direkt in die Jugendarbeit. Das ist heute noch genauso, doch im Jahr 2012 leiten Fritzenwenger und seine Frau 270 ehrenamtliche Helfer aus der ganzen Region an, die aus etwa 30 Verkaufsstellen heraus die Besucher versorgen. 200 Kuchen haben die Skiclub-Frauen alleine gebacken. "Wir haben nur mit der Hälfte gerechnet", sagt Fritzenwenger über die Absätze.

160 Jugendliche aus sieben Wintersportarten werden in den kommenden Jahren davon profitieren. Vielleicht verwirklicht ja eines der hoffnungsvollen Talente aus Ruhpolding Fritzenwengers Traum: "Dass einer der unseren bei einer Biathlon-WM mal eine Medaille holt."

Für Tourismuschef Martin Haßlberger reicht es zum perfekten Glück, dass die deutschen Männer in der Staffel eine Medaille gewonnen haben. "Das hat noch gefehlt. Besser hätte es bis jetzt kaum sein können", sagt er. Allein die Zuschauerzahlen: 218.000 Besucher an acht Wettkampftagen, zum Maximum fehlen nur 6000. So viele kamen noch nie zuvor zu Biathlon-Weltmeisterschaften. In der gesamten Region sei kein freies Bett mehr zu finden gewesen, sagt Haßlberger.

Für die Unterhaltung ihrer vielen Gäste haben die Ruhpoldinger ihr Zentrum zur Fußgängerzone gemacht. Die Fußgänger hatten so gut Gelegenheit zum Einkaufen, wenn sie denn nach den Ausflügen ins Nachtleben konnten. Mit Erfolg, Horst Plenk, Chef eines Sportgeschäfts im Zentrum, schwärmt von "gewaltigen Umsatzzuwächsen" in den WM-Tagen. "Unsere Erwartungen wurden übererfüllt." Dafür hat auch das wechselhafte Wetter gesorgt, das den Streckenarbeitern so viele Sorgen bereitete. "Wir haben vom Träger-Shirt bis zur Mütze alles verkauft." Besonders gut seien die WM-Artikel gelaufen. "Die Schals waren schon am zweiten Tag ausverkauft", sagt Plenk.

Nicht nur bei ihm. Horst Schöll, Chef des offiziellen Herstellers, kann sich vor Freude über die Weltmeisterschaften kaum beruhigen. "Ich bin seit 30 Jahren dabei, war auch bei der Formel 1 und beim Fußball, aber das hier sprengt alles." Dreimal waren besonders die vielen Textilien im offiziellen Fanshop schon ausverkauft. "Wir haben ständig nachproduziert."

Grummelnde Ruhpoldinger

Eine Familie, die über die ständige Professionalisierung wie so mancher grummelnde Ruhpoldinger verärgert ist, das sind die Haubers. Viele Jahre lang war der Senior mit dem langen weißen Rauschebart ein Markenzeichen im Biathlon-Zentrum. Seine Verkaufshütte für Fanartikel und Andenken aller Art stand ganz in der Nähe des Platzes, an dem jetzt ein roter Truck des Deutschen Skiverbands steht und Fan-Artikel verkauft.

"Eine ungute Sache", nennt Regina Hauber in ihrem Laden im Ort die Vertreibung aus dem Biathlon-Paradies, doch in diesen WM-Tagen fällt es ihr schwer, richtig böse zu sein. "Die Gemeinde hat sehr viel getan, es läuft auch hier gut."

Auch in der Skischule, die wegen der WM den Betrieb hätte komplett einstellen können, hält sich der Frust in Grenzen. "Das ist zwar die schlechteste Woche im Jahr, aber die Werbung für Ruhpolding bringt auch uns was", sagt Jörg Spitzl.

Im Friseursalon am Bahnhof wird auch nicht gejammert über die Weltmeisterschaften, im Gegenteil. Denn entgegen der Vermutung, dass Biathlon-Fans keine Lust auf Haareschneiden und die Einheimischen keine Zeit haben, sind am Freitagmorgen alle Stühle belegt. Natürlich spüre man zu Wettkampfzeiten, dass das Geschäft ruhiger sei, "aber die Atmosphäre im Ort ist sehr schön", sagt die Chefin Ulli Brandmair. Und da bekanntlich nirgends so viele Neuigkeiten durch die Luft wirbeln wie beim Friseur, weiß sie: "Die Gäste sind sehr zufrieden."

Fast mit allem, sagt Tourismuschef Haßlberger, langjährige Stammgäste würden schon mal anmerken, dass die Ruhpoldinger Gemütlichkeit unter der Größe der WM leide. Und weil Haßlberger einer ist, der Dinge hinterfragt, gibt er diesen Gästen sogar Recht. "Gerade bei der Sicherheit gibt es viele Auflagen. Man kann sich durch die vielen Ordner schon mal ausgesperrt fühlen." Der Touristiker weiß aber, dass die WM ein Höhepunkt ist, die Weltcups in den kommenden Jahren könnten schon wieder ein bisschen "ruhiger und lockerer" werden.

Aber nur nicht zu sehr, hofft Haßlberger, denn er weiß, dass der Ruhpoldinger Erfolg auch immer von der Leistung der deutschen Athleten abhängt. Sollte eine Situation eintreten wie im Tennis nach Boris Becker und Steffi Graf, "bleiben 30 bis 40 Prozent der Gäste weg". Deshalb hofft der Tourismuschef, dass die Jugendförderung aus dem Biathlon heraus neue Talente hervorbringt, die weiter für Glückshormone sorgen.

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