Bayer 04 Leverkusen:Der gespaltene Roger Schmidt

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Er hat auch gute Seiten: Leverkusens Trainer Roger Schmidt. (Foto: dpa)

"Arrogant" oder einfach nur "emotional"? Die Debatte um den gesperrten Roger Schmidt elektrisiert die Bundesliga. Seine Trainerkollegen verteidigen ihn eifrig.

Von Philipp Selldorf, Leverkusen

Der Bund deutscher Fußball-Lehrer ist keine dieser speziellen Interessenvertretungen wie die Union der Lokführer oder die Vereinigung der Flugbegleiter, die alle Jahre wieder ins gesellschaftliche Leben eingreifen, indem sie es partiell zum Stillstand bringen. Noch nie hat der Bund der Fußball-Lehrer seine 4600 Mitglieder zum Streik aufgerufen, obwohl sich so manches Mitglied mehr oder weniger regelmäßig in seiner Freiheit und seinen Rechten eingeschränkt sieht. Trainer, die sich in grellen Westen trillerpfeifend unter dem Rednerpodest auf dem Bahnhofplatz versammeln, statt im Stadion oder auf dem Bezirkssportplatz an der Seitenlinie stehen - so etwas wird es nicht geben.

Es widerspricht dem Berufsbild des Einzelkämpfers. Seine anwaltlichen Aufgaben in der Öffentlichkeit nimmt der BDFL somit lediglich in krassen Fällen wahr. Als etwa im Sommer der Manager Horst Heldt dem Trainer Alexander Zorniger nachsagte, er sei "von Egoismus geprägt und komplett gescheitert", trug ihm das eine Rüge durch den Berufsverband ein ("inakzeptabel"). Heldt entschuldigte sich. Die Ruhe war hergestellt.

Nun veranlasste der Leverkusener Trainer Roger Schmidt seine Standesvertretung zu einer ihrer seltenen Stellungnahmen, aber diesmal war es keine Rüge, sondern eine Solidaritätsadresse. Dass Schmidt wegen seiner Tiraden gegen den Kollegen Julian Nagelsmann ("Spinner!") am vergangenen Spieltag auf die Tribüne verbannt wurde, das sei nicht schön, aber auch nicht schlimm, erklärte der BDFL-Präsident Lutz Hangartner. Das Land solle "froh sein, dass es auch emotionale Trainertypen wie Schmidt" gebe, im Übrigen sei die Sache "von den Medien aufgebauscht" worden.

Trainerkollegen verteidigen Schmidt

Ähnlich äußerten sich auch Schmidts Kollegen Niko Kovac und Christian Streich. Während es der tendenziell coole Kovac bei ein paar kommentierenden Worten beließ ("Hysterie", "zu hoch gehängt"), hielt der zu großer Erregung neigende Streich eine Grundsatzansprache, in der er erstens die Lage der Trainer bedauerte ("da hockst du auf der Bank und fühlst dich überwacht, und es macht dir keine Freude mehr") und andererseits die bigotte Gesellschaft anklagte ("bloß jetzt nicht kommen mit Pädagogik und wegen die Kinder"). Je nach Medium wurden seine Worte als Wut- oder Brandrede oder als skurriles Mundart-Schauspiel aus dem exzentrischsten Winkel der Liga besprochen. 11Freunde.de empfahl Streich spontan als Bundespräsidenten.

Die Rede des Freiburger Trainers war aber weder witzig gemeint, noch suchte er sich damit für ein Staatsamt zu empfehlen. Immer wieder tauchten die Worte "Wahnsinn" und "Druck" und "Anspannung" auf. "Warum werden wir vorgeführt in den extremsten Situationen?", rief er, es hörte sich verzweifelt an.

Wenn der moderne Profi-Fußball die Fortsetzung des antiken Circus Maximus ist und die Spieler von heute die Gladiatoren von damals sind, was sind dann die Trainer an der Seitenlinie? Oft kommen sie sich vor wie die Hampelmänner der Nation, wenn sie in ihrer exponierten Rolle präsentiert werden, oft sind sie von sich selbst erschrocken, wenn sie später am Bildschirm ihr eigenes Zerrbild ansehen müssen. Dass die Trainer zur Belustigung des Publikums belauscht und abgehört werden, dass die Mikrofone an den Bänken so scharf gestellt sind, dass sie auch "von CIA und FBI genutzt werden könnten" (Kovac), das hat die Deutsche Fußball-Liga im Laufe der Woche dementiert, als sie das Übertragungskonzept ihrer Produktionsfirma verteidigte. Die Angst vor der Neugier der Voyeure ist dennoch nicht unbegründet. Man mag es als albern empfinden, wenn die Akteure des Fußballs auf dem Rasen nurmehr hinter vorgehaltener Hand miteinander reden, aber Orwells Kameraaugen und freischaffende Lippenleser können tatsächlich überall sein.

Der Mann, der die Branche zu solchen prinzipiellen Überlegungen veranlasst hat, erschien am Freitagvormittag in entspannter Stimmung zur Lagebesprechung in der BayArena. Roger Schmidt machte nicht den Eindruck, als ob ihn die Gutachten zu seiner Person sonderlich irritiert hätten. "Er ist stur, egozentrisch, arrogant und unberechenbar. Ihm fehlt das Gespür, im richtigen Moment das richtige zu tun", hatte beispielsweise der Kölner Express unter dem Titel "Die zwei Gesichter des Roger S." geschrieben, nicht verschweigend, dass der Trainer auch gute Seiten habe.

Diese Sicht der Dinge hat das Blatt keineswegs exklusiv, die Theorie der Persönlichkeitsspaltung nach dem klassischen Vorbild von Dr. Jekyll und Mr. Hyde wird auch im Verein nicht als falsch zurückgewiesen. Aber damit kann Schmidt offenbar gut leben. Was jetzt wieder über ihn geschrieben und gesagt werde, das tangiere ihn "insofern nicht, weil ich davon weder etwas lese noch etwas höre".

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"Der hat nicht alle Tassen im Schrank"

Schmidt ist im Trainerjob ein erfahrener und unerschrockener Zweikämpfer. Der Episode mit Julian Nagelsmann gingen öffentlich ausgetragene Disharmonien mit weiteren Kollegen voraus, vom Kölner Peter Stöger bis zum Dortmunder Thomas Tuchel. Während seiner Zeit in Österreich sorgte er regelmäßig für Sonder-Berichterstattung. Gleich am Anfang seines Engagements in Salzburg stritt er sich mit dem Admira-Trainer Didi Kühbauer, der sich darüber entrüstete, Schmidt habe ihm seinen Dialekt vorgehalten und ihn außerdem als "Osterhasen" bezeichnet. Den nächsten Wickel hatte er mit Adi Hütter beim Derby gegen den SV Grödig. Schmidt verweigerte den Handschlag und knallte die Tür zu. Grödigs Ehrenpräsident bezichtigte ihn daraufhin der "Überheblichkeit", in einem Klub-Kommuniqué war von "proletenhaftem Verhalten" die Rede. Seinerseits ging Schmidt dann gegen Rapid Wiens Co-Trainer Carsten Janker vor: "Der hat nicht alle Tassen im Schrank", schimpfte er, und: "Mit dem rede ich nie wieder!" - Janker hatte einem Rapid-Spieler empfohlen, einem Salzburger ans Knie zu treten.

Alte Geschichten. "Ich bin auch schon in der Verbandsliga auf die Tribüne verwiesen worden", hat Schmidt am Freitag mit einem Lächeln kundgetan, um anschließend zu verkünden: "Das wird mir nicht mehr passieren." Und wieder hat er dabei gelächelt. "Glauben Sie mir nicht, oder?", setzte er fort, und so viel steht zumindest fest in dieser Sache: Wenn Schmidt in Leverkusen scheitern sollte, dann wird nicht der Benimmkatalog des DFB und auch nicht der öffentliche Druck der Grund sein.

Streit sei "das Natürlichste auf der Welt", hat Freiburgs Trainer Streich gesagt, der Mensch sei dazu geboren, zu streiten. Seine Schlussfolgerung hat tatsächlich etwas Präsidiales: "Man muss sie leben lassen", die Trainer. So, wie sie sind.

© SZ vom 29.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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