Österreich:König oder Bettler - Alabas Ansehen wankt

Lesezeit: 3 min

Österreichs Wunderfußballer David Alaba kommt bei der Europameisterschaft in Frankreich noch nicht richtig in Form. (Foto: REUTERS)

Österreich demontiert seine offensivschwachen Kicker - vor allem an David Alabas Form entzündet sich die Debatte.

Von Thomas Hummel, Paris

Marcel Koller sah grau aus. Sehr grau. Unter seinen Augen lagen tiefe Schatten, er wirkte eingefallen, erschöpft. Wie jemand, der im südfranzösischen Ort Mallemort eine Woche lang im fensterlosen Keller des Rathauses die Gemeindefinanzen geprüft hatte. Und so ähnlich klang es auch. "David hat in diesem Kader am meisten Spiele gemacht im letzten halben Jahr, er war über 2000 Minuten eingesetzt", rechnete Koller vor. Er sagte das mit der Aura eines Buchhalters und der Gewissheit, dass Zahlen nicht lügen.

Wer dem Trainer der österreichischen Nationalmannschaft am Tag nach dem 0:0 gegen Portugal seine Graumäusigkeit zum Vorwurf gemacht hätte, tat ihm indes Unrecht. Erst um 5.30 Uhr war die Delegation im Quartier Moulin de Vernegues ins Bett gekommen. Die Spieler sollten in Paris noch etwas essen, danach gab es am Flughafen Charles de Gaulle mitten in der Nacht eine Verzögerung beim Auftanken der Maschine. Dennoch sah sich Koller genötigt, nur Stunden später übermüdet die Fragen der Öffentlichkeit zu beantworten. Vor allem die Fragen nach David Alaba.

Ob er mit seinem Zahlenspiel die Debatte rund um den Profi des FC Bayern auch nur halbwegs versachlichen konnte, blieb ungewiss. Am Mittwoch muss im Stade de France gegen Island ein Sieg gelingen, um in der Vorrundengruppe F noch Chancen auf das Achtelfinale zu haben. Doch nun schwankt das Land zwischen Ärger und Besorgnis, weil sein bester Fußballer bislang so ungewohnt schwach spielt. Und weil Trainer Koller die Chuzpe hatte, den Goldjungen gegen Portugal nach einer guten Stunde vom Platz zu holen.

Alaba verzeiht man viel

Das katholische Österreich wandelt bei seinen Sportlern seit eh und je zwischen ungezügelter Heldenverehrung und giftiger Erniedrigung. König oder Bettler, dazwischen ist wenig. David Alaba stand da bislang durchgängig auf der Heldenseite, der Wiener Bub hat es hinaus geschafft in die große Fußballwelt, hat die Champions League gewonnen und gehört in München zu den bestbezahlten Profis.

Ihm verzeiht man sogar, dass er seine schwarzen Locken an den Enden orange gefärbt hat. Ein Alaba darf alles. Angeführt von dem bald 24-Jährigen schafften es die Österreicher in der Qualifikation auf Platz eins in der Gruppe, was viele Landsleute zu dem ernsthaften Glauben veranlasste, ihre Mannschaft sei in Frankreich eine Art Geheimfavorit. Die Vorrunde mit Ungarn, Portugal und Island schien nur eine Formalie zu sein. Von Verehrung zum Größenwahn ist es eben nur ein kleiner Schritt.

Umso tiefer ist der emotionale Sturz. Und die Demontage der einst so urleiwanden Kicker. Die Kronenzeitung, größtes Boulevardblatt, gab Alaba nach dem 0:0 die Note 1 - "Totalversager". Um die Frage anzuschließen, ob Alaba gegen Island überhaupt noch einmal auflaufen solle.

Koller ist geboren in Zürich, den calvinistischen Schweizern ist das Schrille und Ausufernde tendenziell fremd. Der 55-Jährige betonte daher auch, er richte sein Tun ausschließlich nach internen Analysen aus. Sowie dem seiner Ansicht nach Notwendigen, um die Chance auf Erfolg zu erhöhen. Es ginge dabei nicht um Einzelschicksale, Koller könne keine Rücksicht nehmen, auch wenn das für einige Profis bisweilen frustrierend sei. Zur Auswechslung Alabas wiederholte er: "Wir hatten das Gefühl, dass wir auf der Position frische Kraft brauchen." Womit man bei der nächsten Debatte ist: die Position.

Torwart Robert Almer gegen Ronaldo
:Österreich steht narrisch auf den Spinnenmann

Ronaldo vs Robert Almer - dieses Duell endet so überraschend, dass die Österreicher nun ihren Keeper feiern. Sorgen bereitet dagegen David Alaba.

Von Thomas Hummel, Paris

Alaba ist so ein guter Fußballer, dass jeder eine andere Idee mit ihm hat. Viele nennen ihn den besten Linksverteidiger der Welt, Pep Guardiola schob ihn häufiger in die Innenverteidigung. Er selbst möchte lieber ins Mittelfeld rücken, Koller tut ihm meist den Gefallen. Gegen Portugal aber veränderte der Trainer die Taktik und ließ ihn direkt hinter Angreifer Harnik spielen, wo er mehrmals die Orientierung verlor. Doch wenn einer wie Alaba fast die Hälfte seiner Pässe zum Gegner spielt, nur ein Drittel seiner Zweikämpfe gewinnt, liegt das dann an der Position auf dem Feld? Oder an den 2000 Minuten, die er im letzten halben Jahr gespielt hat?

Alle betonen, was für ein toller Bursche Alaba sei

Die Zahl, die Österreich mehr umtreibt, ist die Null. So viele Tore hat die Mannschaft in Frankreich erzielt. Bis auf den Pfostentreffer Alabas nach nicht einmal einer Minute gegen Ungarn ist auch die Anzahl der Chancen nicht viel höher. Deshalb ahnen die Österreicher, dass ein guter Alaba nicht schlecht wäre gegen die stämmigen Isländer. Und betonen nun überall und ständig, was für ein toller Bursche er sei. "Er ist der beste Spieler in Österreich seit ewigen Zeiten", sagte Kollege Stefan Islanker, "ich verstehe das ganze Getue und die Kritik nicht, dass jetzt alle auf ihn draufhauen." Koller versicherte, wie wichtig Alaba für sein Team sei und dieser sich keinen Kopf machen müsse. Alles also wieder gut?

Geht es gegen die Isländer schief, könnte so manche Rechnung präsentiert werden. Als Schweizer ist Koller in Österreich fern davon, unantastbar zu sein, die ersten Ex-Spieler und Experten aus der Fußball-Gurulandschaft haben sich bereits gemeldet. Auf der anderen Seite könnte David Alaba eine gute Aktion reichen, damit der österreichische Boulevard die Note 6 zückt: Weltklasse.

© SZ vom 22.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Fußball-EM
:Hahnenkamm, Vogelnest oder doch der colorierte Iro?

Die Fußballer präsentieren gerade mal wieder ihre aktuellen Frisuren-Trends. Und natürlich ist Belgien das bestfrisierte Team der Fußball-EM.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: