Löws Kader für das DFB-Trainingslager:Überraschungsgast Kramer

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Plötzlich ein echter Nationalspieler: der Gladbacher Christoph Kramer. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Vor einem Jahr spielte er noch für Bochum in der zweiten Liga - nun reist Christoph Kramer mit dem Nationalteam nach Südtirol. Bundestrainer Löw verschafft sich damit eine letzte Option im Mittelfeld. Etwas unvorbereitet kommt die Absage an Marcell Jansen.

Von Thomas Hummel, Hamburg

Am Mittwoch um 14.05 Uhr gelangte die positive Nachricht für Borussia Mönchengladbach an die Öffentlichkeit. Christoph Kramer muss seine nähere Freizeitplanung etwas umstellen, er darf überraschend mit ins Trainingslager der Nationalmannschaft nach Südtirol reisen. Und das an einem Tag, an dem seit 9 Uhr morgens das Gerücht via Bild-Zeitung kursiert, dass Kramers Gladbacher Mitspieler Max Kruse nur deshalb nicht nach Brasilien darf, weil er beim Länderspiel in London angeblich "Damenbesuch" auf dem Hotel hatte.

Um Fußballmannschaften wabern stets kuriose Geschichten, der Wahrheitsgehalt liegt dabei fast immer im Vagen. Kruse dementierte das Gerücht - und doch könnte auch Bundestrainer Joachim Löw dieses Gemunkel bis nach Brasilien folgen. Zum Beispiel dann, wenn seine Mannschaft dort ebenso wenig Torgefahr ausstrahlt, wie beim Testkick am Dienstagabend gegen Polen (0:0).

Grafik zum WM-Kader
:Puzzle mit Welttorhüter und einigen Fragezeichen

Bundestrainer Joachim Löw vertraut für Brasilien auf Routiniers, Nachwuchskräfte - und einige Lädierte. Das Gerüst bilden Münchner und Dortmunder, doch im Aufgebot befinden sich auch Überraschungen. Steckbriefe zu allen WM-Spielern für die Reise nach Brasilien.

An der Sturmbesetzung aber ändert sich nichts durch die Reduzierung des vorläufigen WM-Kaders auf 27 Spieler (am 2. Juni muss das endgültige und 23 Akteure umfassende WM-Aufgebot beim Weltverband Fifa gemeldet werden). Löw setzt auf Kevin Volland, den jungen Hoffenheimer, eher kleingewachsen, robust, Typ Wühler mit gutem Gespür für den Abschluss. Und eben nicht auf Kruse, auch nicht auf den Hamburger Pierre-Michel Lasogga, dessen Name rund um dieses Spiel in der Hansestadt kursierte.

Gestrichen sind die Schalker Talente Max Meyer und Leon Goretzka. Löw hatte die beiden nach dem Spiel auffallend gelobt. So auffällig, dass es einem Trostspenden gleichkam. Nun erklärt er, dass Goretzka und Meyer jung seien und noch viele Möglichkeiten hätten, große Turniere zu spielen. Ihnen "gehört die Zukunft". Heute allerdings fliegen sie aus dem Kader, weil im offensiven Mittelfeld wahrlich kein Notstand herrscht. Auch André Hahn ist in diesem Segment zu Hause, der Augsburger scheiterte ebenso an der zu starken Konkurrenz.

Etwas unvorbereitet kommt die Absage an Marcell Jansen. Er gehörte zwar der Riege der lange verletzten Profis an, dennoch schien er die Chance zu bekommen, im Trainingslager um den Posten auf der Problemposition links hinten zu kämpfen. "Marcell hat seine Verletzung, die er sich ausgerechnet beim Länderspiel im März gegen Chile zugezogen hatte, zwar auskuriert, doch sein Fitnesszustand ist noch immer nicht ganz optimal. Er hatte seitdem wenige Einsätze und dadurch keinen Spielrhythmus", erklärt der Bundestrainer.

Mit Jansen fällt der letzte WM-Kandidat des HSV aus dem Team, er twitterte: "natürlich ist die Entscheidung enttäuschend..." Damit steigen die Aussichten auf eine WM-Teilnahme für die Dortmunder Marcel Schmelzer und Erik Durm erheblich.

DFB-Kader für die Fußball-WM
:Löw verzichtet auf Jansen, Meyer, Goretzka und Hahn

Mit 27 Nationalspielern bricht Bundestrainer Joachim Löw ins Trainingslager nach Südtirol auf. Aus dem vorläufigen WM-Aufgebot gestrichen werden Marcell Jansen, Max Meyer, Leon Goretzka und André Hahn. Stattdessen rückt der Gladbacher Christoph Kramer in den engeren Kandidatenkreis.

Der Überraschungsgast im Passeiertal heißt aber Christoph Kramer. Der Gladbacher gab im Perspektiv-Spielchen gegen ein zweitklassiges Polen zusammen mit Sebastian Rudy ein durchaus beeindruckendes Debüt im defensiven Mittelfeld. Schon nach der Partie hatte Löw das Zentrum gelobt. Also die Innenverteidiger Matthias Ginter und Shkodran Mustafi, die ebenfalls am 21. Mai zum WM-Aufgalopp reisen werden, sowie Rudy und Kramer. Wobei Rudy eher den erhabenen Spielgestalter gab, während Kramer fast hyperaktiv zwischen den polnischen Defensivspielern den Ball forderte.

Kramer habe im Taining und im Spiel "einen hervorragenden Eindruck hinterlassen", begründete Löw die Entscheidung. Er verschafft sich damit im defensiven Mittelfeld eine letzte Option, "um für alle Fälle vorbereitet zu sein". Denn in der Zentrale gibt es weiterhin einige Fragezeichen.

Sami Khediras Heilungsverlauf nach seinem Kreuzbandriss im November wird zwar allseits gelobt, auch und gerade von Löw. Der Mittelfeldakteur von Real Madrid ist eine Art Herzensspieler des Bundestrainers, seit Wochen redet er ihn zurück zu alter Stärke. "Ich glaube, dass wir auf einen Sami Khedira treffen, der mit einer unheimlich guten Basis kommt", sagte er in Hamburg.

DFB-Elf in der Einzelkritik
:Staatsmann in der Formkrise

Kapitän Julian Draxler schaut so abgeklärt, wie 20-Jährige eben gucken können. Matthias Ginter hechtet über die Bande wie einst Jan Ullrich über die Leitplanke. Und Leon Goretzka sorgt auch nicht für mehr Torgefahr. Die DFB-Elf beim 0:0 gegen Polen in der Einzelkritik.

Von Carsten Eberts und Thomas Hummel, Hamburg

Sein Optimismus fußt auf den Einschätzungen von Mannschaftsarzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt genauso wie auf den Rückmeldungen Khediras. Der hatte am vergangenen Wochenende seinen ersten Einsatz für Real, macht sich jetzt Hoffnungen auf ein weiteres Spiel am Samstag und dann auch im Champions-League-Endspiel gegen Atlético Madrid, weil Konkurrent Xabi Alonso gelbgesperrt fehlen wird.

Dennoch ist ungewiss, wie sich die Leistung und der körperliche Zustand eines Fußballers nach einer solch langen Pause entwickeln. Khedira wäre nicht der erste, der einige Wochen nach der Rückkehr plötzlich in ein Loch fällt.

Da auch Leistung und Gesundheitszustand von Bastian Schweinsteiger schwanken, Ilkay Gündogan sowieso nicht dabei und Toni Kroos eher offensiv veranlagt ist, bleibt als Konstante bislang nur Philipp Lahm. Der Kapitän könnte aber auch hinten rechts gebraucht werden, gerade wenn es im ersten Gruppenspiel gegen Portugal und Cristiano Ronaldo geht.

Mit so vielen Ungewissheiten im Gepäck ist jeder Trainer froh, wenn er plötzlich einen gesunden und extrem fitten Christoph Kramer sieht. Das Problem des 23-Jährigen aus Solingen ist, dass er praktisch keine internationale Erfahrung mitbringt. Vor einem Jahr spielte er noch für den VfL Bochum in der zweiten Liga. In der Bewerbungsmappe stehen 33 Bundesliga-Spiele für Mönchengladbach und neun Partien für Jugend-Nationalmannschaften. Dazu ein sehr gutes Länderspiel gegen Polen. Und offenbar ein ebenso gutes Training am Tag davor.

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