Kader für Brasilien:Sehnsucht nach neuen Odonkors

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Wen zaubert Bundestrainer Jogi Löw dieses Mal aus dem Hut? (Foto: dpa)

Joachim Löw wird an diesem Donnerstag zwei Kader benennen: einen fürs WM-Camp in Südtirol und einen fürs Testspiel gegen Polen. Der Bundestrainer braucht eine breite Auswahl - weil er der Fitness mancher Spieler nicht traut. Unter den Nominierten werden einige Überraschungen sein, so wie einst David Odonkor.

Von Christof Kneer, München

Er ist später nicht glücklich geworden bei Betis Sevilla, ebenso wenig bei Alemannia Aachen, am wenigsten bei Hoverla Uschhorod in der Ukraine. Er kam in den Zeitungen meistens nur noch im Kurzmeldungsteil vor, wenn er von Sevilla nach Aachen oder von Aachen nach Uschhorod wechselte. Er hat an keinem dieser Standorte größere Geschichten hinterlassen, aber an seiner Berühmtheit kann das nichts mehr ändern. David Odonkor hat seine Geschichte schon geschrieben.

David Odonkor ist 30 Jahre alt inzwischen, er spielt nicht mehr Fußball, aber sein Name ist dem Sport erhalten geblieben. Odonkor ist zum Synonym geworden. Alle zwei Jahre, meistens Anfang Mai, fragt sich das Land aufgeregt, wer es wohl diesmal wird: der neue Odonkor.

Zum Odonkor werden, das bedeutet frei übersetzt so viel wie: zum Überraschungskandidaten werden, den Joachim Löw bei der Nominierung feierlich aus dem Hut zaubert und sich freut, dass ihm wieder keiner drauf gekommen ist. Das klingt als Titel möglicherweise etwas sperrig, weshalb sich die Formulierung zum Odonkor werden mit Recht durchgesetzt hat.

Karriereende von David Odonkor
:Held für einen Sommer

Ein Sprint und eine Flanke bei der Weltmeisterschaft 2006 machten David Odonkor berühmt. In den Jahren danach litt er immer wieder an Knieproblemen, nun hat der einst schnellste Flügelflitzer Deutschlands seine Karriere beendet. Dem Fußball-Geschäft bleibt er aber treu.

Von Victor Fritzen

2006 war Odonkor der Odonkor, 2008 der damalige Zweitligaspieler Marko Marin, 2012 der Abiturient Julian Draxler. Das Odonkoreske am 2010er-Kader war dagegen, dass es keinen Odonkor gab - höchstens den Torwart Jörg Butt, der, 36-jährig, vom Champions-League-Finale mit den Bayern direkt ins DFB-Trainingscamp nach Südtirol durchfuhr.

An diesem Donnerstag wird Joachim Löw nun sein Aufgebot für die WM in Brasilien bestellen, und für alle Freunde des gepflegten Odonkorismus dürfte das ein Festtag werden. Es werden - so viel steht fest - eine ganze Menge vorläufige Odonkors verkündet werden. Ob einer dieser Spieler aber zum echten Odonkor wird, ob er zur WM mitfährt und dort vielleicht per Flanke ein Vorrundenspiel entscheidet wie der echte Odonkor 2006 - das weiß Löw selbst noch nicht.

Am Mittwoch hat Löw mit seinen Vertrauten noch ein paar letzte finale Entscheidungen getroffen, aber sie werden nicht ganz so final sein wie vor den zurückliegenden Turnieren. Die Umstände sind kurios diesmal, und sie potenzieren sich gegenseitig. Es gibt einige Spieler, deren Fitness der Bundestrainer zurzeit nicht traut, und es gibt am 13. Mai noch ein Testspiel, das Löw in etwa so gelegen kommt wie eine Halbfinal-Niederlage gegen Italien.

Wegen des anschließenden Pokalfinales (17.5.) werden beim Testspiel gegen Polen alle Münchner und alle Dortmunder und somit mindestens ein Dutzend Kandidaten fehlen, weshalb Löw am Donnerstag im Grunde zwei verschiedene Kader verkünden muss: jenen 26 oder 27 Spieler umfassenden Kader, mit dem er ins WM-Trainingslager nach Südtirol zieht - und separat ein Aufgebot fürs Polen-Spiel, in dem gesetzte Südtirol-Fahrer wie Lars Bender, Füllkandidaten wie André Hahn oder Sebastian Rudy sowie einige Nachrücker aus den hauseigenen U21- und U19-Juniorenteams stehen sollen.

Eine ganze Menge Odonkors wird es da zu sehen geben, Löw denkt an Spieler wie Mustafi, Goretzka, Volland, Durm, Gnabry, Meyer oder Can. Erst am 13. Mai um Mitternacht muss der Bundestrainer einen vorläufigen 30er-Kader an die Fifa melden, was ihm die Möglichkeit gibt, auf die Leistungen aus dem Polen-Spiel zu reagieren; er kann die besten Odonkors schnell noch auf die Liste setzen, als stille Reserve für alle Fälle.

Die finalsten finalen Entscheidungen wird Löw aber erst nach dem Südtiroler Trainingslager treffen. Im Passeiertal wird er die Tauglichkeit von angeschlagenen oder gerade erst gesundeten Spielern wie Khedira, Klose, Gomez oder Höwedes mit scharfem Auge überwachen, und am Ende wird er wohl die ein oder andere Grausamkeit begehen müssen; dass etwa Mario Gomez beim Turnier in Brasilien auftaucht, gilt zurzeit als unwahrscheinlich.

So wird Löw diesmal pokern müssen wie nie zuvor, er wird die Karten so lange wie möglich in der Hand halten wollen. Er muss auf alles vorbereitet sein; er wird sofort seinen Volland zücken, wenn ihm sein Gomez oder gar sein Klose abhanden kommt; er wird sofort seinen Durm zücken, wenn er merkt, dass sein Jansen nicht fit genug ist, um links hinten den kürzlich ebenfalls noch verletzten Schmelzer herauszufordern. Bis zum 2. Juni hat Löw Zeit, um die 23 Spieler auszuwählen, denen er Brasilien zutraut.

Der Donnerstag wird also ein schöner Tag werden für Odonkoristen und solche, die es werden wollen, aber auch das Trainingslager wird eine Augenweide für alle, die Überraschungsgäste lieben.

In Südtirol werden auch junge deutsche Spieler namens Yannick Gerhardt, Sebastian Kerk oder Dominik Kohr auftauchen, sie sind Mitglieder der deutschen U20-Auswahl, die auf Anregung des künftigen Sportdirektors Hansi Flick mit ins Trainingscamp fährt. Die U20 von Trainer Frank Wormuth soll Joachim Löws A-Elf ein tauglicherer Test- und Sparringspartner sein, als es vor vier Jahren der FC Südtirol war. Beim FC Südtirol spielte damals ein begabter Zehner, der einen Bauch hatte.

© SZ vom 08.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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