Fußball-WM: Kapitän und Stammtorwart:Hauptrollen für Lahm und Neuer

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Bundestrainer Löw wird für die WM 2010 wohl Philipp Lahm zum Kapitän und Manuel Neuer zur Nummer eins machen. Weil sie sportlich überzeugen - und weil es kaum vertretbare Alternativen gibt.

M. König und J. Schmieder

Er ist der Ansprechpartner des Schiedsrichters, der verlängerte Arm des Trainers auf dem Platz und laut den Statuten des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) für "das Benehmen seiner Mannschaft verantwortlich": der Spielführer. Für Feldspieler gibt es im Fußball kein höheres Amt, niemand ist so angesehen und respektiert wie der Kapitän - oder frei nach Klinsmann Capitano - der deutschen Nationalmannschaft.

Der designierte Nachfolger von Fritz Walter, Uwe Seeler und Franz Beckenbauer: Philipp Lahm vom FC Bayern München soll Kapitän der Nationalmannschaft werden. (Foto: ag.getty)

Die Größten der Großen trugen diesen Titel: Fritz Walter, Uwe Seeler, Franz Beckenbauer, Karl-Heinz Rummenigge, Oliver Kahn. Seit 2004 ist Michael Ballack der Spielführer der Nationalelf oder besser gesagt: Er war es. Ein Foul des Deutsch-Ghanaers Kevin-Prince Boateng im englischen Pokalfinale bedeutete das WM-Aus für den Kapitän, nun sucht Bundestrainer Joachim Löw 14 Tage vor dem Start der Weltmeisterschaft in Südafrika einen adäquaten Ersatz.

Ehemals "schwer vermittelbar"

Vieles deutet darauf hin, dass Löw einen Mann zum Spielführer ernennen wird, den die Fußballnation noch vor ein paar Jahren als "kleinen, schlauen Philipp" belächelte und der 2003 beim FC Bayern München als "schwer vermittelbar" galt: Philipp Lahm. Bundestrainer Joachim Löw hat sich offenbar auf den Abwehrspieler festgelegt, der in der Bundesliga, im Pokal und in der Champions League auf hohem Niveau agierte und derzeit als einer der besten Außenverteidiger weltweit gilt.

Schon beim letzten WM-Test am Samstag gegen Ungarn wird Lahm mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Kapitänsbinde am Arm auflaufen. Die Darstellung der Bild-Zeitung, wonach die Entscheidung bereits gefallen ist, wollte DFB-Mediendirektor Harald Stenger am Donnerstag weder bestätigen noch dementieren: "Es kann so sein, muss aber nicht", sagte Stenger. Der Bundestrainer werde seine Wahl am Freitag bekanntgeben.

Lahm selbst hatte im Trainingslager in Eppan in Südtirol erklärt, er wolle dem "Team vorangehen und den Glauben und die Überzeugung vermitteln, dass wir eine sehr erfolgreiche WM spielen werden".

Es sind nicht nur derlei staatstragende Äußerungen, die Lahm für die Position des Spielführers prädestinieren. Nach dem Ausfall von Ballack und dem unfreiwilligen Karriereende des Bremers Torsten Frings in der Nationalmannschaft gibt es im Kader der DFB-Elf schlichtweg wenige Spieler, die im Team eine Führungsrolle übernehmen können.

Bei Bayern auf Platz zwei

Nominell gilt zwar die Regel, dass jeweils der Spieler mit den meisten Länderspielen ein Anrecht auf die Binde hat. Das wäre derzeit Lahms Bayern-Teamkollege Miroslav Klose, doch der Stürmer hat eine durchwachsene Saison hinter sich, er bekam in München kaum Spielzeit und gilt in Löws Team eher als Sorgenkind. Was das Alter betrifft, würde sich der Berliner Verteidiger Arne Friedrich eignen, der am Samstag seinen 31. Geburtstag feiert. Friedrich ist jedoch in der Bundesliga mit Hertha BSC abgestiegen - das ist keine Bilanz, mit der sich eine Mannschaft identifizieren sollte.

Auch Bastian Schweinsteiger käme theoretisch in Frage - er hat 73 Länderspiele vorzuweisen, Lahm lediglich 64. Bei Bayern München steht Schweinsteiger in der Kapitänsrangliste jedoch nur auf Platz drei, van Bommel und Lahm liegen vor ihm.

So dürfte sich der Bundestrainer für Lahm aussprechen - und dem gebürtigen Münchner zum nächsten Karriereschritt verhelfen. Nach zwei Lehrjahren beim VfB Stuttgart kehrte er 2005 zum FC Bayern zurück, wo er im vereinsinternen Internat ausgebildet worden war. Seit der Saison 2005/06 gehört Lahm zum Kreise der Stammspieler, 2006 trumpfte er erstmals international groß auf: Bei der Heim-WM wurde Lahm zu den besten Spielern des Turniers gewählt.

Ansprüche auf die Kapitänsbinde im Verein erhob Lahm erstmals im Jahre 2008, als Jürgen Klinsmann Trainer des FC Bayern wurde. Der neue Coach entschied sich jedoch für den erfahreneren Mark van Bommel. Auch unter Klinsmanns Nachfolger Louis van Gaal blieb Lahm nur Ersatz-Kapitän - zumindest vorläufig. In München gilt es als ausgemacht, dass Lahm einmal van Bommel beerben wird. Manager Christian Nerlinger bezeichnete ihn erst kürzlich als "unverkäuflich".

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Ein Libero im Tor, ein Präsidentschaftskandidat in der Abwehr und ein EFFIFU im Angriff - Bundestrainer Joachim Löw hat für seinen Angriff auf den WM-Titel eine sonderbare Reisegruppe um sich geschart.

Auch bei der Entscheidung, wer bei der WM zwischen den Pfosten stehen soll, hat Joachim Löw offenbar eine zu ihm passende und konsensfähige Entscheidung getroffen. Manuel Neuer hat, wie Tim Wiese und Jörg Butt auch, eine formidable und erfolgreiche Saison hinter sich. Sportlich stehen alle drei Kandidaten auf etwa gleichem Niveau, und man würde Löw Unrecht tun, würde man die Entscheidung für Neuer als die mehrheitsfähigste abtun.

Freilich ist Neuer die pädagogisch naheliegende Wahl. Eine Nominierung Butts wäre nur schwer zu moderieren gewesen angesichts der Tatsache, dass der Torwart des FC Bayern trotz ansprechender Leistungen monatelang nicht einmal zur Troika der WM-Torhüter gehört hatte. Tim Wiese dagegen ist einer, der sportlich wie menschlich polarisiert und alles andere als den Nummer-eins-Status als Blasphemie empfindet. Doch kann Wiese mit seiner Rolle als Stellvertreter umgehen, und sein Ego wird dafür sorgen, dass er, sollte er bei einer Verletzung Neuers auflaufen dürfen, dies mit breiter Brust tun wird.

Mit der Philosophie kompatibel

Die Entscheidung pro Neuer ist vor allem eine, die mit Löws sportlicher Philosophie kompatibel ist. Neuer ist ein moderner Torwart mit den fußballerischen Fähigkeiten eines Feldspielers und einer Interpretation seiner Position, die ihn als Torwart und letzten Feldspieler gleichzeitig ausweist - mit allen positiven wie negativen Konsequenzen. Wiese gilt als Schlussmann alter Schule und fußballerisch wie mental als einzig legitimer Nachfolger von Oliver Kahn. Butt ist der Hybrid aus Wiese und Neuer. Schon bei der WM 2006 vertraute Löw gemeinsam mit Klinsmann lieber dem fußballerisch begabteren Jens Lehmann als dem besseren Torwart Oliver Kahn.

Die Erfahrung in internationalen Spielen hat offenbar wenig zur Entscheidung beigetragen - ohnehin kommen alle drei Torhüter gerade einmal auf gemeinsame acht Länderspiele. Butt hat 63 Champions-League-Spiele für Bayer Leverkusen und den FC Bayern absolviert, zwei Mal stand er im Endspiel. Wiese kommt auf 17 Partien in der Champions League und 31 Spiele in Uefa-Cup und Europa League. Neuer kann zehn Einsätze in der Champions League und fünf in der Europa League vorweisen.

Doch auf Erfahrung kann Löw bei diesem Turnier ohnehin kaum bauen, weil die international erprobten Spieler entweder verletzt sind oder nun im Südtiroler Wald versuchen, hinter jedem Baum ihre Form zu finden. Sami Khedira (drei Länderspiele) muss den verletzten Michel Ballack (98) ersetzen, im Sturm könnte Löw dem formstarken Cacau (sechs) vertrauen anstatt Miroslav Klose (94) oder Mario Gomez (32).

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