Fußball-WM:Bei der Nationalelf wackelt das Fundament

  • Die DFB-Elf vermasselt den Start ins WM-Turnier mit einem 0:1 gegen starke Mexikaner.
  • Das Spiel demonstriert, dass in Löws Mannschaft derzeit einiges nicht stimmt.
  • Die Kritik ist - auch intern - heftig. Mats Hummels stellt das Zusammenwirken von Defensive und Offensive in Frage.

Von Martin Schneider, Moskau

Auch die letzte Aktion des Abends misslang Thomas Müller. Er wollte, nach all den Ballverlusten, nach all den mexikanischen Kontern über die freie Wiese namens deutsche Hälfte, nach all den nicht gekämpften Zweikämpfen, nach der 0:1-Niederlage im ersten WM-Spiel erklären, warum es nun besser wird. Er redete sich so durch dieses Spiel, blieb beim Distanzschuss von Julian Brandt kurz vor Schluss und dem Lattentreffer von Toni Kroos hängen, merkte dann aber, dass das nicht so richtig trägt und zog schließlich selbst das Fazit seiner Erklärung: "Es ist schwer, hier die Worte zu finden, die alle Gemüter beruhigen, die aber gleichzeitig das Spiel korrekt analysieren."

Das fasste es ganz gut zusammen. Natürlich ist noch nichts verloren, natürlich ist noch niemand im ersten Spiel Weltmeister geworden und die Spanier haben es 2010 auch geschafft, das erste Match zu vergeigen und dann noch den Titel zu gewinnen - aber jedem war an diesem Abend klar, dass es nicht um ein paar Details im deutschen Spiel geht, die zu einer unglücklichen Niederlage geführt haben. Sondern dass das Fundament wackelt.

"Ich bin mehr verärgert als geschockt", sagte Team-Manager Oliver Bierhoff und das implizierte, dass er so eine Leistung zumindest für möglich gehalten hatte. "Das haben wir uns jetzt verbockt", meinte er und auch der Tenor bei anderen Spielern war: Wir kannten unsere Schwächen, wir haben darüber geredet - und trotzdem kommt so etwas dabei heraus. Jérôme Boateng sagte: "Die laufen in der ersten Halbzeit vier, fünf Mal alleine auf uns zu. Das haben wir in den letzten Tagen angesprochen." Die emotionaler vorgetragene Version davon lieferte Mats Hummels vor den Fernsehkameras und benannte zwei Problemfelder: Leichte Ballverluste und Absicherung.

Deutschland läuft gegen Mexiko nur hinterher

Um das mal konkret aufzudröseln. In folgenden Situationen verloren deutsche Spieler - alleine in der ersten Halbzeit - den Ball und der Mexiko-Express ging ab: Fehlpass Joshua Kimmich (18. Minute), abgeblockter Freistoß von Toni Kroos (25.), schlechte Flanke Mesut Özil (27.), Fehlpass Sami Khedira im eigenen Sechzehner (29.), Ballverlust Müller (34.), Ballverlust Khedira und Gegentor durch Hirving Lozano (34.), Ballverlust nach Flanke Kimmich und schlampiger Annahme von Toni Kroos (42.) und schließlich noch ein Missverständnis zwischen Kimmich und Müller kurz vor der Pause, als beide zu Unrecht einen Elfmeter forderten. Auch daraus entstand - natürlich - ein mexikanischer Konter. Deutschland spielte eine Halbzeit lang eine Runde Nachlaufen.

Schon an den Spielernamen merkt man, dass das Problem vielschichtig ist. Es fällt höchstens auf, dass Julian Draxler und Marvin Plattenhardt nicht auftauchen - was daran lag, dass die deutschen Spieler die linke Seite mit dem Ersatz-Außenverteidiger im Spielaufbau komplett ignorierten (Draxler: "In der ein oder anderen Situation hätt' ich mir schon gewünscht, dass ich den Ball bekomme.") und den Mexikanern damit das Verteidigen auch einfacher machten, als es bei den zuweilen lässigen Pässen eh schon war. Wobei wenigstens einmal erwähnt werden muss, dass man diese Gegenangriffe mit einem dermaßen wahnwitzigen Tempo auch erst einmal so ausspielen muss, wie es Mexiko an diesem Tag gemacht hat.

Beim Thema fehlende Absicherung landet man aber bei zwei sehr konkreten Spielern - nämlich bei der Doppelsechs Kroos/Khedira. "Wenn wir mit sieben, acht Spielern angreifen, ist klar, dass die offensive Wucht größer ist als die defensive Stabilität", sagte Hummels und wenn man sich so eine Aufstellung anguckt, dann ist klar, welche Spieler noch den kürzesten Weg nach hinten haben. Toni Kroos, das sagte Löw auch nach dem Spiel noch mal, ist in diesem Duo Spielgestalter. Bei Real Madrid spielt der Brasilianer Casemiro hinter ihm, um aufzuräumen, weil Kroos vieles ist, aber kein Zweikampfritter mit Liebe zur Grätsche.

Lauter wahnsinnige Aktionen im deutschen Spiel

Aber gegen Mexiko schaltete sich Khedira selbst noch oft ins Angriffsspiel mit ein. Das brachte - vorsichtig formuliert - wenig außer zusätzlichen Ballverlusten. Nach 60 Minuten musste er runter, Löw beorderte Mesut Özil (vom Spielertyp auch kein Nahkämpfer) auf seine Position. Dieser ging später wortlos zum Mannschaftsbus, sein Fehlquerpass im eigenen Sechzehner in der 29. Minute war vielleicht die wahnsinnigste Aktion des an wahnsinnigen Aktionen nicht armen deutschen Spiels.

Und wenn in dieser Gemengelage dann noch die Außenverteidiger hoch stehen wie es Joshua Kimmich tut (und auch ein stückweit tun muss, weil Thomas Müller lieber in die Mitte mäandert, als den Flügelstürmer zu geben) und auch der kritisierende Hummels wie vor dem 0:1 den Risikozweikampf sucht und verliert und Kroos das Gegentor wohl noch verhindert hätte, wenn er schneller zurückgelaufen wäre - dann passt zu vieles nicht zusammen. Oder wie es der DFB in seiner Social-Media-Strategie so schief nennt: #ZSMMN. Und dann sagt es auch etwas aus, wenn man einzelne Mannschaftsteile analysiert - und keine ganze Mannschaft. Deutschland spielte an diesem Tag mehr auseinander als zusammen.

Jetzt Riesendruck für DFB-Elf gegen Schweden

"Wir haben uns einen extremen Druck auferlegt, für die nächsten beiden Spiele", sagte Thomas Müller und meinte ehrlich betroffen: "Das ist für uns jetzt eine harte Nummer." Oliver Bierhoff bejahte die Frage, dass diese Pleite nun schon irreparabel sein könnte, wenn im Achtelfinale Brasilien droht. Vorausgesetzt, dass man das Achtelfinale erreicht. Der nächste Gegner Schweden wird eine noch massivere Abwehr aufbauen als Mexiko in der zweiten Hälfte. Und auch das gehört übrigens in den Fehlerkatalog dieser deutschen Mannschaft: Ein Gegentor kann man durch zwei eigene Tore wiedergutmachen, aber mal von den Aluminium-Treffern von Kroos und Brandt und vielleicht noch von einem geblockten Schuss von Julian Draxler abgesehen, kam das Team in der von den Beteiligten noch als besser empfundenen zweiten Halbzeit auch nicht wirklich zu Chancen.

Auf der Suche nach Hoffnung, die Thomas Müller noch nicht fand, blieb man bei Timo Werner hängen, der nach seinem ersten WM-Spiel erklärte, man müsse im Umschaltverhalten besser werden in beide Richtungen, sicherer am Ball "... und dann wird das schon". Sprach er und ging. Es war das vielleicht optimistischste Statement an diesem Tag.

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