DFB-Elf gegen Mexiko:Es gibt Gründe, sich Sorgen zu machen

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Auch der eingewechselte Marco Reus konnte es nicht mehr ändern: Deutschland verlor gegen Mexiko. (Foto: AFP)
  • Die Fußball-WM beginnt für die deutsche Nationalelf mit einem sehr schlechten Auftritt gegen Mexiko.
  • Beim 0:1 funktioniert vor allem im Mittelfeld wenig - auch hinten fehlt die Sicherheit.
  • Man könnte glauben, die Mannschaft habe ihre beste Phase schon hinter sich.

Von Claudio Catuogno, Moskau

Einigen Vertrauten, die dem Bundestrainer in den Tagen vor diesem Auftaktspiel gegen Mexiko ausgiebiger in die Augen schauen konnten, war es bereits aufgefallen: Der Mann schien sich Sorgen zu machen. Joachim Löw selbst hatte das zwar nicht bestätigt, er mache sich "eigentlich keine Sorgen", hatte er gesagt. Sein Mund hatte das gesagt. Aber Joachim Löws Augen erzählten, dass sein Mund vielleicht nicht die ganze Wahrheit verriet.

Und nun also diese Szene, in der 35. Minute im Luschniki-Stadion von Moskau: Sami Khedira hatte gerade versucht, einen Gegenspieler zu umkurven, es war erneut einer dieser nicht sehr zielführenden Versuche gewesen, durch robusten Körpereinsatz zu kaschieren, dass der deutschen Elf eine gute Raumaufteilung und ein kreatives Passspiel fehlte. Um den ersten Mexikaner kam Khedira noch herum, am zweiten lief er sich fest - dann war der Ball auch schon weg.

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Khedira lag erst einmal auf dem Rücken, es dauert ja inzwischen eine Weile, bis er seine vom Verschleiß geplagten Gliedmaßen wieder sortiert hat. Die Mexikaner hatten den Ball da schon über drei Stationen zu Hirving Lozano gespielt. Und am Ende dieses Konters stand dann tatsächlich Mesut Özil im deutschen Strafraum allein gegen Lozano, und sollte den entscheidenden Zweikampf führen.

Özil gelang gegen Mexiko wenig

Özil streckte das Bein vor und hob dann entschuldigend die Hände in die Luft. Bemitleidenswert hilflos sah er aus, aber auch von den Kollegen unfassbar allein gelassen. Und Lozano schoss den Ball ins Tor.

So hatte diese WM in Russland nicht beginnen sollen für den Titelverteidiger: mit einem 0:1 im Auftaktspiel gegen Mexiko.

Der in dieser Schlüsselszene so hilflose Mesut Özil war bekanntlich ein großes Thema gewesen in der Vorbereitung, er hatte gewissermaßen schon ein gesundes Abwehrverhalten vermissen lassen, als ihn unlängst der türkische Präsident Erdoğan in einem Hotel aufs Propaganda-Foto bat. Die Pfiffe gegen Özil und den ebenfalls ins türkische Wahlkampflicht gesetzten Ilkay Gündogan hatten zuletzt die öffentlichen Debatten und auch die Stimmung im Team bestimmt, sie waren das Thema der vermurksten Testspiele gegen Österreich und Saudi-Arabien gewesen - und weniger die schon damals nicht sehr ausgeprägte Körperspannung bei einigen Akteuren. Dazu waren Klagen über ein nicht ganz so heimeliges Quartier in Watutinki gekommen, in dem das Lustwandeln durch ein Birkenwäldchen noch zu den spannendsten Freizeitmöglichkeiten zählt.

Wo war die Leichtigkeit geblieben im Weltmeisterteam von 2014? Musste all das schon Anlass zur Beunruhigung geben? Oder musste nicht das Turnier bloß endlich losgehen - und dann würden die Deutschen mit all ihrer Erfahrung schon wissen, was sie zu tun haben?

Jetzt ist das Turnier also losgegangen, und die erste Erkenntnis ist: Löws Augen haben die Wahrheit gesagt. Es gibt mehr Gründe, sich Sorgen zu machen um die Turnierperspektive, als ein paar Fotos. Die Fragen betreffen nun den Kern der Mission.

0:1 im ersten Spiel: Auch wenn es natürlich immer noch möglich ist, das Achtelfinale zu erreichen, so sind die Vorzeichen nun völlig anders. Denn der Tabellenzweite der Gruppe F trifft im ersten K.-o.-Spiel auf den Sieger der Gruppe E, und es spricht einiges dafür, dass dies Brasilien sein könnte.

Die Aufarbeitung der Niederlage wird am Montag hinter geschlossenen Türen stattfinden: Der DFB kündigte einen medienfreien Tag an, trainiert wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit, selbst eine anberaumte Pressekonferenz mit dem ehemaligen Kapitän Philipp Lahm als Botschafter für die deutsche EM-Bewerbung für 2024 fällt aus. Das sieht nach dem Versuch einer Krisenbewältigung aus.

Schon die erste Aktion der Partie wirkt in der Rückschau wie ein Pars pro toto für das ganze Dilemma: Noch ehe die Deutschen richtig wach waren, hatte Carlos Vela bereits auf Lozano durchgesteckt; Jérôme Boateng konnte dessen Schuss im letzten Moment blocken. Die allgemeine Verunsicherung zog sich bis weit in die zweite Halbzeit, ständig waren irgendwo Rettungsgrätschen gefragt, keiner schien mehr zu wissen, was er zu tun hat. Jene Mannschaft, die ziemlich genau in dieser Stammformation mit zehn Siegen durch zehn Qualifikationsspiele getänzelt war, schien ihren Kompass verloren zu haben. So ungeordnet, so hilflos hat man eine deutsche Mannschaft schon lange nicht mehr gesehen.

Dem Passspiel fehlte die gewohnte Sicherheit, räumte Löw ein: "Wir konnten uns nicht von hinten raus entfalten. Unsere Kombinationen nach vorn sind nicht mit diesem Risiko, mit dieser Entschlossenheit gemacht worden." Auch Kroos sah mit Sorge, wie "konteranfällig" sich das Team präsentierte: "Wir sind unter Druck jetzt", sagte er, "keine Frage."

Ein Detail am Rande: Jene Mannschaft, die am Sonntag auf dem Platz stand, war mit fast 28 Jahren im Schnitt die älteste deutsche WM-Elf seit dem Finale 2002. Auch deshalb drängt sich der Eindruck auf: 2014 haben diese Männer den Gipfel erklommen, jetzt scheinen sie beim Abstieg zu sein. Darauf angesprochen, behauptete Löw später in der Pressekonferenz: "Wir haben eigentlich eine junge Mannschaft."

Chancenlos waren die Deutschen natürlich nicht: Khedira verpasste eine Hereingabe von Joshua Kimmich (5.); Timo Werner versuchte es mit einem Drehschuss (20.), hätte aber wohl besser zum freien Julian Draxler abgelegt; Toni Kroos traf mit einem Freistoß die Latte (39.). Aber um mehr Gelegenheiten herauszuspielen, leistete sich die Elf viel zu viele Ballverluste im Aufbauspiel. Szenen wie diese in der 28. Minute bestimmten das Bild: Özil will einen Flügelwechsel initiieren, schlägt den Ball aber schlampig ins Zentrum - und schaut gleich dem nächsten Gegenstoß hinterher. Am Ende ist es Mats Hummels, der rettend dazwischengrätscht. Ebenfalls gefährlich, wenige Minuten später: Khedira legt den Ball im eigenen Strafraum zum Gegner. In der 60. Minute wechselte Joachim Löw das erste Mal: Der offensive Marco Reus kam für Khedira. Das war einerseits schlüssig, es galt ja, noch einen Treffer zu erzielen. Es war aber auch nicht so schlüssig. Wer sollte denn jetzt das Zentrum verdichten? Mesut Özil und Toni Kroos rückten nach hinten, die Mexikaner hatten weitere Kontergelegenheiten.

Die Deutschen versuchten es nun aber ihrerseits deutlich zwingender - weiterhin vergeblich. Während links hinten der kurzfristig für den erkrankten Jonas Hector ins Team gerückte Marvin Plattenhart nicht weiter auffiel, war es auf der rechten Seite der junge Kimmich, der zum Antreiber wurde. Mit bisweilen rasendem Einsatz: In der 65. Minute setzte er sogar einen Fallrückzieher knapp über die Latte. Dafür fehlte er allerdings immer wieder hinten; Löw ließ ihn gewähren. Der eingewechselte Julian Brandt traf aus der Ferne noch den Außenpfosten (89.), das war's. Der Bundestrainer hat jetzt viel zu analysieren.

© SZ vom 18.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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