FC Bayern und die Folgen:Heile Fußballwelt mit Haken

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Angekratzte Vertrautheit: Uli Hoeneß und die Kanzlerin könnten bald nicht so einig in der Öffentlichkeit auftauchen.  (Foto: dpa)

In der Politik ist der Fußball derzeit präsent wie selten zuvor, er ist eine Art Staatsschauspiel. Parteien streiten sich über den Fall Hoeneß, Fans politisieren sich wegen des Götze-Coups der Bayern. Im Jahr 2013 ist der Sport längst ein Kommerzphänomen - er ist die Beute von Leuten, die mit ihm glänzen und an ihm verdienen wollen.

Ein Kommentar von Philipp Selldorf

Viele der Zuschauer in aller Welt, die das Spiel der berauschten Bayern gegen Barcelona verfolgten, haben sich wohl über das markante Transparent gewundert, das vor der Kurve der Münchner Fans hing. "Schöne heile Welt" stand darauf in roten Lettern. Offensichtlich ging es um eine Botschaft von höherer Bedeutung - bloß welche? Spielten die Fans in freier Übersetzung an auf Aldous Huxleys "Brave new world"? Das Buch handelt von der deprimierenden Vision einer Zukunftsgesellschaft, die Stabilität durch Manipulation und Indoktrination garantiert.

Diese Art von Kulturpessimismus ist ja mittlerweile typisch für die wahrhaft eingeschworenen Fans. Protestplakate mit der Titelschablone "gegen den modernen Fußball" finden sich an nahezu jedem Bundesligaspieltag in nahezu jedem Stadion. Die orthodoxe Fangruppe "Schickeria München" hat dazu eine Schrift formuliert, die sie pathetisch als "Manifest" bezeichnet. Die Fußballvereine, heißt es darin, müssten den Fans gehören und dürften nicht der Spielball und das Spekulationsobjekt von Investoren, Aktionären, Konzernen und Vermarktern sein.

Uli Hoeneß und die Steueraffäre
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Dem größten Herausforderer den besten Mann abluchsen: Uli Hoeneß hat die Erfolgskultur des FC Bayern mit seiner Leidenschaft und seiner Strategie des großen Geldes geprägt. Das zeigt nicht zuletzt die Verpflichtung von Mario Götze. Nun wird sich möglicherweise herausstellen, ob der Verein auch ohne ihn funktioniert.

Von Klaus Hoeltzenbein

Betrachtet man nun mit klarem Blick, wie weit Potentaten, Multimillionäre, Geschäftemacher und Kriminelle den Profifußball vereinnahmt haben, kann man sich des Mitgefühls für die enttäuschten Fans kaum erwehren. Dennoch hatten die deutschen Vereine, die natürlich längst Wirtschaftsbetriebe sind, nie zuvor ein so ideologisch beseeltes Publikum wie heute. Nicht nur die jungen Gläubigen, die sich in der Bewegung der "Ultras" zusammenfinden, halten verzweifelt fest an ihrer puristischen, quasi-religiösen Idee vom Verein als heimatlichem Ort - obwohl sie es eigentlich besser wissen.

Im Münchner Stadion gab es am Dienstag auch noch andere Plakate. Sie feierten einen Spieler als "Fußballgott", der noch gar nicht für die Münchner auf dem Platz gestanden hat, sondern bei der Konkurrenz in Dortmund beschäftigt ist. Mario Götze, 20, wird aber im Sommer gegen 37 Millionen Euro Ablöse zu den Bayern wechseln; das ist ein Transfer, der auf den ersten Blick obszön wirkt und die These vom brachialkapitalistischen modernen Fußball zu unterstreichen scheint: Die ohnehin übermächtigen Bayern nehmen dem einzig verbliebenen Konkurrenten im Land seinen besten Mann weg.

Sie fragen deswegen nicht mal höflich an in Dortmund, sie teilen einfach nur mit, dass sie demnächst die fällige Summe von einem ihrer prallen Konten überweisen werden. Kaum eine Woche vorher hatte der Münchner Präsident Uli Hoeneß seine Sorge um die Wettbewerbsgleichheit innerhalb der Bundesliga geäußert und die Hilfe seiner Bayern angeboten - jener Hoeneß, dem nun Steuerbetrug in Millionenhöhe angelastet wird, nachdem er ein Ansehen als moralische Instanz erworben hatte.

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So haben die Münchner, die zuletzt viel Achtung für ihr phantastisches Spiel erhalten hatten, kurzerhand den Titel bestätigt, den ihnen vor ein paar Jahren die englische Zeitung Observer verliehen hatte: "zynischster Verein der Welt".

Das Leitmedium "Tagesschau" hat den Themen Mario Götze und Uli Hoeneß am Dienstag große Teile seiner Sendezeit gewidmet. Man könnte meinen, dass diejenigen, die an den Aufregungen im Fußball nicht teilnehmen, geradezu an den Rand der Gesellschaft geraten. Fußball, Fußball, Fußball. In der Politik ist er präsent wie selten zuvor, in diesen Tagen ist er eine Art Staatsschauspiel.

Sämtliche Parteien liefern sich über den Fall Hoeneß einen Streit der Positionen, jeder versucht auf seine Weise, mit dem Thema zu punkten; besonders interessant war es zu verfolgen, wie sich der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer gewunden hat, um weder Hoeneß-Freunde noch Hoeneß-Gegner im Freistaat zu verprellen. Die Kanzlerin Angela Merkel hingegen, die so zielbewusst ihre Enttäuschung über den Steuersünder ausrichten ließ, hat zumindest einen Wähler verloren: Auch Uli Hoeneß ist enttäuscht - von der Kanzlerin.

Es ist kein Widerspruch zu den Wucherungen, die der Fußball hervorbringt, dass just die Bayern mit ihrem überwältigenden Spiel gegen den großartigen FC Barcelona eine Gegendarstellung zum brutalen Bild vom modernen Fußball lieferten. Jene, die eben noch auf die skrupellose Münchner Firma geschimpft hatten, sahen sich verzaubert. Der Zorn über den Götze-Coup wird bald vergehen, er ist bloß ein Stück alltägliche Wirklichkeit im Fußballgeschäft.

Fußball ist im Jahr 2013 ein Konsumprodukt und ein Kommerzphänomen, er ist die Beute von Leuten, die mit ihm glänzen und an ihm verdienen wollen, und manche von diesen Leuten sind reichlich zwielichtig. Aber er ist auch das Spiel, das alle lieben. In Sternstunden lässt er sogar die Illusion einer schönen, heilen Welt entstehen.

© SZ vom 25.04.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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