FC Bayern:Pep Guardiolas bessere Hälfte

Lesezeit: 3 min

Bayern muss gegen Juventus seine geschwächte Defensive kompensieren - das sollen unter anderem Thomas Müller, Douglas Costa, Robert Lewandowski und Franck Ribéry erledigen. (Foto: Michael Dalder/Reuters)
  • Ohne die Verletzten Jérôme Boateng, Javi Martínez, Holger Badstuber und Medhi Benatia muss der FC Bayern in der Champions League bei Juventus Turin antreten.
  • Trainer Guardiola wird versuchen, die geschwächte Defensive durch seine überragende Offensive zu kompensieren - wie beim 3:1-Sieg gegen Darmstadt.
  • Hier geht es zu den Statistiken der Bundesliga und der Champions League.

Von Christof Kneer

Als die Bundesliga 50 Jahre alt wurde, hat der große Klaus Fischer end- und letztgültig definiert, was ein Fallrückzieher ist. Es gebe einige Varianten, meinte Fischer, "aber nur eine richtige: mit dem Schussbein abspringen, dann quer und hoch in die Luft legen, einen Scherenbewegung machen und schießen". Fischer, 66, ist der einzige Mensch, dem diese Definition zusteht, er hat den Fallrückzieher erst erfunden, dann in Serie hergestellt und schließlich berühmt gemacht, und wenn man diese Definition liest, muss man klar festhalten: Nein, Thomas Müller kann das nicht. Er hat nicht nur keine Technik, keine Tricks und keine Muskeln, er kann auch keine Fallrückzieher.

Das muss man einerseits kritisieren und anprangern. Andererseits ist es natürlich auch so was von wurscht. Thomas Müller hat aus dem Nichthaben und Nichtkönnen längst eine Kunst entwickelt, die kein anderer hat und kann.

Am Wochenende zum Beispiel, beim 3:1-Sieg gegen Darmstadt 98, hat Thomas Müller den Rückplumpszieher erfunden. In einem seiner spontanen Karl-Valentin-Anfälle hat er sich Vidals Vorlage mit der Brust selbst vorgelegt, und dann hat er sich nach hinten fallen lassen und den Ball, selbstverständlich ohne korrekte Scherenbewegung, aufs Tor gemüllert. Ein normaler Fußballer hätte sich oder wenigstens dem Gegner wehgetan, oder er hätte die Eckfahne getroffen. Thomas Müller traf selbstverständlich ins Tor. Er traf in jenes Tor, in dem er zuvor schon das 1:1 untergebracht hatte und vor dem er später auch Robert Lewandowskis 3:1 einleitete.

Thomas Müller sei "inhaltlich nicht immer zu beschreiben", sagte Sportvorstand Matthias Sammer später, und das schien ihn gar nicht zu stören, obwohl inhaltliches Beschreiben zu Sammers Lieblingsdisziplinen gehört. Sammer freut sich immer so, wenn er Kategorien findet, in die er Spieler einteilen kann, und so gesehen hatte ihn Müllers unbeschreibliches Spiel an diesem Tag am Ende eben doch glücklich gemacht. "Thomas ist ein Führungsspieler, das hat man in der Halbzeit gespürt", sagte Sammer, und dazu muss man wissen, dass es in Sammers Welt drei Sorten von Spielern gibt, Führungsspieler, Teamspieler und Individualisten.

Bundesliga
:Müllers Fallrückzieher erledigt Darmstadt

36 Mal muss der FC Bayern auf Darmstadts Tor schießen, um 3:1 gegen den Aufsteiger zu gewinnen. Ein Traumtor von Thomas Müller entscheidet die Partie.

Von Christopher Gerards

Bisher hatte man Müller eher der dritten Kategorie zugeschlagen, er galt als kauziger Spielentscheider und auch als Gerne-viel-laut-und-lustig-Redner, aber als Wortführer galt er nicht. In der Halbzeit, beim verblüffenden Spielstand von 0:1, habe Müller die Kollegen in Abwesenheit des geschonten Kapitäns Philipp Lahm heißgemacht und aufgerüttelt, erzählte Sammer nun, er habe sie aber auch ermahnt, Ruhe zu bewahren. Und nur drei Minuten nach der Pause war der Aufrüttler mit dem Ausgleichstor dann höchstpersönlich dafür verantwortlich, dass das Ruhebewahren deutlich leichter fiel.

Dieses 1:1 war dem 2:1 übrigens durchaus artverwandt, es war ebenfalls ein Brust-und-Keule-Tor. Nach Rafinhas Flanke legte sich Müller den Ball mit der Brust selbst vor und müllerte ihn dann ins Netz.

Thomas Müllers von Sammer offiziell beurkundeter Aufstieg zum Führungsspieler steht im Moment stellvertretend für ein Experiment, das selbst der FC Bayern in seiner jahrtausendelangen Vereinsgeschichte noch nie versucht hat, jedenfalls nicht in dieser Zuspitzung: Am Dienstagabend werden die Münchner im Hinspiel des Champions-League-Achtelfinales bei Juventus Turin nur mit einer halben Mannschaft antreten. Trainer Pep Guardiola wird dort seine bessere Hälfte präsentieren, die Offensive, bestehend aus Thomas Müller, Robert Lewandowski, Arjen Robben, Douglas Costa, Kingsley Coman - und neuerdings wieder Franck Ribéry, der dem Spiel nach seiner Einwechslung ein paar erfrischende Ribéry-Momente hinzufügte. Die Namen in dieser Offensive sind geeignet, jeden Gegner eine sofortige Spielabsage erwägen zu lassen - was allerdings doch etwas vorschnell wäre, weil die Bayern zurzeit eben den zweiten Teil ihrer Mannschaft nicht dabei haben: die Defensive.

FC Bayern in der Einzelkritik
:Alaba nobelpreisverdächtig

Als Linksverteidiger dirigiert der Österreicher das Münchner Spiel. Rafinha hat bei einem doppelten Ellenbogenschlag Glück - und Franck Ribéry verletzt sich nicht. Der FC Bayern in der Einzelkritik.

Aus dem Stadion von Martin Schneider

Es ist tatsächlich eine gewagte Versuchsanordnung, zu der das Verletzungselend den FC Bayern gerade zwingt: Diese unter Guardiolas Anleitung sehr hoch und ohnehin recht optimistisch verteidigende Elf reist nun, abgesehen vom Torwart Neuer, ohne defensive Autoritätsperson zum Champions-League-Finalisten der Vorsaison. Der nach den Verletzungen von Jérôme Boateng, Javi Martínez, Holger Badstuber und Medhi Benatia überfallartig in der Startelf gelandete Serdar Tasci kommt kaum als Autoritätsperson infrage, beim Kopfballtor von Sandro Wagner wirkte er passiv und leicht zerstreut. "Wir vertrauen unserem Trainer", sagte Klubchef Karl-Heinz Rummenigge, "er hat die Defensivproblematik bisher gut gelöst, er wird auch in Turin Lösungen finden." Und "die gute" Offensive, so Rummenigge, sei "ja auch in Turin in der Lage, ein Tor zu erzielen". Mindestens ein Auswärtstor und nicht verlieren: Das müsse das Ziel sein.

Die gute Offensive darf nun immerhin mit der Gewissheit nach Turin fliegen, dass sie selbst gegen Viererketten einen Weg findet, die wie Darmstadts Viererkette aus sechs Mann besteht. Die Darmstädter, nach zielsicher organisierten Gelbsperren mit fünffachem Ersatz angetreten, riegelten konsequent alle Zufahrtswege ab, und auch vom Glück ließen sie sich lange Zeit gerne helfen. So fälschte etwa der Verteidiger György Garics den Ball gleich zweimal per Kopf an die Latte ab, was für Thomas Müller doch ein kleiner Dämpfer war an seinem großen Tag. Es gibt außer ihm offenbar auch noch andere Spieler in dieser Liga, die lustige Sachen können.

© SZ vom 22.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Praktikanten des Bundesliga-Spieltags
:Müllers Fernbeziehung zum eigenen Fuß

Ja, ist denn heut' schon Boys-Day? Thomas Müller macht ein Praktikum beim Kunstturnen, Rafinha bei Mixed Martial Arts - und Felix Zwayer erteilt allen Lektionen. Die Praktikanten des Spieltags.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: