Es hat nicht mehr viel gefehlt und Thomas Müller hätte noch die intimen Details der Geburt verraten. Der Fußballer des FC Bayern hatte am Vorabend von der glücklichen Niederkunft im Kreis der Familie erfahren, "um halb zehn", wie er berichtete, alle seien wohlauf. "Mir ist ein Stein vom Herzen gefallen, dass alles gutgegangen ist", fügte er hinzu. Seine Stimme hatte am Sonntagabend im Bauch des Freiburger Stadions einen zärtlichen Klang angenommen, als würde er gerade ein Gedicht rezitieren.
Normalerweise passiere so eine Geburt immer, wenn er auf Dienstreise sei, erklärte Müller. Aber insgeheim war er dann doch froh, dass sie vorüber war. Hätte er während des Spiels am Sonntagabend beim SC Freiburg daran denken müssen, "wäre ich leicht nervös gewesen".
Heynckes: "Eines unserer besten Spiele der Saison"
Nein, Müllers Familie hat keinen Kinderzuwachs bekommen, sondern ein neues Fohlen. Seine Frau Lisa ist Reiterin, darum besitzen die Müllers einen Stall voller Pferde. Wie viele Kinder respektive Fohlen die Familie schon habe, wollte Müller aber nicht verraten. Zu privat. "Eine kleine Anekdote reicht, jetzt konzentrieren wir uns wieder auf das Fußballspiel", sagte er bestimmt. Ach, da war ja wirklich noch ein Fußballspiel, ein 4:0 des FC Bayern, über das der Cheftrainer Jupp Heynckes begeistert anmerkte, "dass das eines unserer besten Spiele der Saison war".
Großen Anteil am engagierten und zugleich fantasievollen Auftritt hatte, genau, Thomas Müller. Der Nationalspieler beruhigte nach einer holprigen Anfangsphase und einer Riesenchance des Freiburgers Lucas Höler mit dem 1:0 das Spiel (25.). Dass ihm der Treffer nicht zugerechnet worden ist, wollte der 28-Jährige im ersten Moment nicht wahrhaben, er zog aus spitzem Winkel ab und der Ball fand über Umwege und dem linken Oberschenkel des Freiburger Torhüters Alexander Schwolow schließlich den Weg über die Linie.
"Ein typisches Tor von Thomas Müller", stellte auch SC-Trainer Christian Streich fest, "unglücklich, aber extrem schlau." Aber es wurde nicht Müller zuerkannt, sondern Schwolow. "Ich wusste gar nicht, dass ein Torhüter ein Eigentor schießen kann", sagte Müller, um fortzufahren: "Da muss ich noch einen Anruf tätigen und schauen, ob da noch was geht". Das war natürlich nicht ernst gemeint, wen hätte er im Nachhinein auch noch anrufen wollen? Die Statistiker der Deutschen Fußball Liga etwa? Müller amüsierte sich über die Debatten: "Wir hatten heute alle sehr viel Spaß."
Der Stürmer zwingt erst den Torwart zu einem Eigentor, zaubert dann wie Messi. Vidal verkommt zum Schoßhündchen. Die Bayern gegen Freiburg in der Einzelkritik.
Müller war der Anführer des Schabernacks. Müller wie er schießt und lacht. Als rechter Außenstürmer begann er diesmal das Spiel, es ist nicht seine Wunschposition: "Ich bin kein klassischer Rechtsaußen." Aber er hat längst verinnerlicht, dass er seine eigentümlichen Laufwege überall auf dem Rasen einbringen kann. Und seiner Ansicht nach macht es auch keinen Unterschied, ob er zentral hinter den Spitzen beginnt oder auf der rechten Seite. "Auf den sogenannten Heat Maps", erzählte Müller, "sehen meine Laufwege sehr ähnlich aus, egal wo ich anfange."
Wenn Müller nach Fußballspielen vergnügt scherzt und große Reden schwingt, ist das auch immer ein Indiz dafür, dass es dem FC Bayern gutgeht, unter besonderen Umständen könnten die Münchner schon am 18. März in Leipzig ihre sechste Meisterschaft in Serie feiern. Jupp Heynckes hat viele vitalisiert und besser gemacht, aber Müllers persönliche Entwicklung in den vergangenen Wochen und Monaten ist dabei eine der erstaunlichsten Geschichten.
"Die Mannschaft hat einfach einen sehr guten Charakter", schwärmte Müller. Aber mit jedem weiteren gelungenen Spiel, mit jedem Tor vergrößert er das Vertrauen in seine vielen Stärken, er traut sich Sachen, die nur er sich zu trauen wagt, er weiß vorher selbst nicht, ob sie klappen und was ihn erwartet. Wie das Billardtor beim Führungstreffer der Münchner oder das 4:0, das eindeutig er erzielte. "Ein wirklich schönes Tor", lobte sich Müller selbst, er hatte einen Eckball von Joshua Kimmich mit einem Drop-Kick lässig verwandelt. Ein Tor, das technisch sehr anspruchsvoll war und mit dem er sich auf Rang vier vorschob, was die besten Torjäger des FC Bayern anbelangt, auf 102 Tore kommt Thomas Müller, vor ihm liegen nur noch Gerd Müller (365), Karl-Heinz Rummenigge (162) und Roland Wohlfarth (119).
Müllers Aufschwung gefällt auch seinen Mitspielern, der formidable Thiago hob zum Beispiel dessen Fähigkeit hervor, "Räume und Chancen zu kreieren", wie er es auf Deutsch ausdrückte, um noch hinzuzufügen: "Er ist extrem wichtig für uns." Und Mats Hummels wollte nur einen Satz zu Müller sagen: "Jemand, den man gegen jede Mannschaft der Welt braucht. Ich hoffe, das ist eindeutig genug."
Vor seinem Treffer zum 4:0 hatte Thomas Müller noch das 3:0 von Sandro Wagner vorbereitet, seinem alten Kumpel aus Jugendzeiten. Sie kennen sich schon seit 20 Jahren, erklärte Wagner, und hätten "miteinander so viel Spaß, weil wir beide uneigennützige Stürmer sind". Müller ist sogar so uneigennützig, dass er die Namensgebung des Fohlens seiner Frau überlässt. "Dafür", sagte er mit einem Lächeln, "bin ich nicht zuständig."
