FC Bayern in Madrid:Carlos Kuddelmuddel

Von Jonas Beckenkamp, Madrid

Um 23.37 Uhr blinkten vor dem Estadio Vicente Calderon die Blaulichter der Polizeibegleitung, was für den Teambus des FC Bayern bedeutete: Nichts wie weg von diesem Ort. Ab auf die Stadt-Autobahn, deren Schilder hier den Weg aus dem Madrider Südwesten Richtung A Coruña ausweisen. Doch statt nach Galizien ging es nur zurück ins Mannschaftshotel auf dem Paseo de la Castellana. Es war das Ende eines verflixt komplizierten Abends, der so viele Gewohnheiten durcheinandergewirbelt hatte.

Normalerweise fährt der FC Bayern nämlich nicht geschlagen in die Nacht davon. Normalerweise dominiert der FC Bayern in der Vorrunde der Champions League jeden Gegner. Normalerweise ist der FC Bayern größer als ein deppertes Fußballspiel. Wenn dieser Verein mal verliert, dann war's halt ein Malheur, ein Unfall, nicht weiter schlimm - aber diesmal stand's halt zum Schluss schon wieder 0:1.

Schon wieder gegen Atlético Madrid. Und erneut muss man sich fragen, wie es nach einem solch komischen Vortrag dazu kommen konnte.

Warum ging das Spiel verloren?

63 Prozent Ballbesitz, fast doppelt so viele gespielte Pässe, ein paar Eins-A-Einschussmöglichkeiten - das ist ein Teil der Wahrheit. Die Bayern wirkten phasenweise überlegen. Aber der andere Teil der Wahrheit sieht so aus: Gewonnen haben die anderen. Und zwar mit dem besseren, zielstrebigeren Fußball - während die Elf von Carlo Ancelotti ein paar gravierende Mängel aufwies. Vorne zum Beispiel, wie Mats Hummels bemerkte: "Wenn man kein Tor erzielt, kann man sich nicht von Schuld freisprechen, dass man verliert." Thomas Müller, Franck Ribéry oder auch Robert Lewandowski - sie alle vergaben aus Positionen, von denen man schon mal einen reinmachen kann.

Dazu rumpelt es aber auch im Mittelfeld, wo Müller Defizite ausmachte: "Da sind wir spielerisch nicht zum Zug gekommen. Wir hatten zwar Ballbesitz, aber nur bis zur Mittellinie." Dass der Ball dann oft ziemlich schnell wieder flöten ging, lag auch am wirren Auftritt von Arturo Vidal.

Der Chilene sollte im Getöse des Emotions-Kochtopfs Calderon eigentlich als Antreiber fungieren. Er trieb dann aber meistens die Bälle direkt in die Füße des Gegners, was die Meute auf den Rängen nur noch mehr anstachelte. Ausgerechnet Vidal selbst sagte hinterher über diese Planlosigkeit: "Wir müssen unser Spiel ruhiger aufbauen."

Ancelotti bewahrt die Ruhe

Die größte Baustelle offenbarte sich an der Schnittstelle zwischen Defensive und Offensive, dem sogenannten "Umschaltspiel" - und es ist mittlerweile nicht mehr von der Hand zu weisen, dass unter Ancelotti hier ein ziemliches Kuddelmuddel Einzug gehalten hat. Weil die Bayern ihre Angriffe mehr aus der Tiefe aufziehen als unter Pep Guardiola, hat es der Gegner bei Münchner Ballverlusten nicht mehr weit zum Tor. Ein solcher Moment führte zum 1:0 für die Madrilenen durch Yannick Carrasco in der 35. Minute.

Ein Risiko-Querpass von David Alaba, eine Kopfball-Ablage von Xabi Alonso aus der Not und plötzlich spurtete Antoine Griezmann mit seinem Konter-Kommando auf die ungesicherte Bayern-Abwehr zu. "Wir verlieren im Aufbau den Ball, Jérôme Boateng rutscht noch aus und dann haben die halt vorne die Qualität, um das auszunutzen", fasste Thomas Müller die Kalamitätenkette treffend zusammen. Die entscheidende Szene der Partie erinnerte arg an das, was selbst der kleine FC Ingolstadt vor einigen Wochen in München vorführte: Die Bayern sind derzeit verwundbar, wenn man ihnen auf die Pelle rückt.

"Wir haben noch viel Verbesserungsbedarf"

Müller berichtete entsprechend von "einem Signal, dass wir das ein oder andere noch adaptieren müssen", während Hummels offen, aber vornehm unkonkret einräumte: "Wir haben noch viel Verbesserungsbedarf." Auch Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge konstatierte eine "verdiente Niederlage", gegen einen Gegner, der einfach mehr für den Sieg getan hatte.

Trainer Ancelotti sind die Probleme natürlich nicht entgangen, zumal das Spiel ja nur wegen Griezmanns Lattenschuss beim Elfmeter (84.) so knapp ausging. Aber auch der Coach hielt sich mit allzu stichhaltiger Selbstkritik zurück. Seine verwertbarste Aussage aus der Pressekonferenz lautete: "Wir müssen jetzt schauen und analysieren." Vielleicht wäre ein Kurztrip nach Galizien am Ende doch nicht so verkehrt gewesen. Man kann dort wunderbar aufs Meer starren und sich taktisch sortieren.

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