FC Bayern gewinnt in Augsburg:"Wir lassen uns schon was einfallen"

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Innerhalb kürzester Zeit erlebt der FC Bayern in einer zweiten Halbzeit einen grotesken Bruch im Spiel - und verliert mit Timoschtschuk erneut einen wichtigen Spieler auf einer wichtigen Position. So richtig erklären kann das keiner, aber man hat ja noch diesen phantastischen spinnengleichen Torwart Neuer - und einen Haufen Qualität im erweiterten Kader.

Jürgen Schmieder, Augsburg

Es war einfach an der Zeit für die Fußballer des FC Bayern, ihrem Präsidenten Uli Hoeneß zu zeigen, dass sie ihn gern haben. Dass sie ihn schätzen. Dass sie problemlos in der Lage sind, Hoeneß' markigen Worten noch markigere Taten folgen zu lassen. Das war dringend notwendig, schließlich hatten die Bayern-Basketballer am Samstagabend locker gewonnen, so mancher Akteur hatte sich auffällig aufs Vereinslogo geklopft, wenn er am in der ersten Reihe platzierten Hoeneß vorbeilief. Also mussten die Bayern-Fußballer etwas unternehmen, um in der Gunst ihres Präsidenten nicht zu sinken.

Bereitete einen Treffer vor, erzielte einen selbst - und war in der zweiten Halbzeit ähnlich nervös wie seine Kollegen: Münchens Dribbler Franck Ribéry. (Foto: dapd)

Als "Kunst" hatte Hoeneß zuletzt die Auftritte der Fußballer bezeichnet - und wahrscheinlich haben sich die Spieler vor der Partie beim FC Augsburg in der Kabine unterhalten, was genau Hoeneß damit gemeint haben könnte. "Kein Mensch liest ein langweiliges Buch bis zum Schluss", könnte Philipp Lahm angemerkt haben. Dann dürfte Mario Gomez angemerkt haben: "Eine Fernsehserie, dessen Ende nach der ersten Staffel bekannt ist, interessiert doch niemanden!" Und wahrscheinlich hat dann Franck Ribéry ergänzt: "Ein guter Rocksong braucht einen Bruch, eine Wendung - nur so bleibt es spannend!"

Natürlich hat es eine derartige Besprechung nie gegeben, aber es fällt doch recht schwer, eine andere Erklärung zu finden für diesen Auftritt des FC Bayern beim 2:1-Sieg in Augsburg. Sie wollten nicht mehr langweilen - sie wollten für Spannung sorgen! 2:0 hatten die Münchner geführt nach einer Halbzeit, die durchaus einen Dudeneintrag unter dem Begriff "Einseitigkeit" verdient gehabt hätte. Natürlich schoss Mario Gomez wieder ein Tor, freilich dribbelte Ribéry wieder drei Gegenspieler schwindelig, selbstverständlich führte Toni Kroos elegant Regie im Mittelfeld. Es hatte tatsächlich etwas Künstlerisches und Verspieltes, was die Bayern da zeigten.

Doch dann, nach dem glücklichen Anschlusstreffer für Augsburg durch Hajime Hosogai, wirkten die Münchner plötzlich fahrig, nervös, ungeordnet. Es hatte den Anschein, als hätten sie nicht nur den Faden verloren, sondern ein ganzes Wollknäuel. Sie fabrizierten Fehlpässe und Stellungsfehler, sie ermöglichten dem FC Augsburg kurz vor dem Abpfiff gar die Chance zum Ausgleich.

Stürmer Edmond Kapplani lief alleine auf Manuel Neuer zu und hatte dabei so viel Zeit, dass er nebenbei wohl noch alle Kunstwerke im Augsburger Schaezlerpalais hätte betrachten können. Er schoss aufs Tor - und die einzige Erklärung, wie Bayern-Keeper Neuer diesen Ball halten konnte, wäre der Hinweis, dass der Torwart des FC Bayern über den siebten Sinn einer Spinne verfügen muss. Neuers lapidare Erklärung: "Das war natürlich Glück!"

Quasi mit dem Abpfiff sah Anatolij Timoschtschuk nach einem grotesken wie brutalen Foul noch die rote Karte. "Wenn er so in einen Zweikampf geht, dann muss er wissen, dass er vom Platz gestellt wird, wenn er zu spät kommt", sagte Trainer Jupp Heynckes nach dem Spiel, "nun fehlen mit Schweinsteiger und Timoschtschuk zwei Spieler auf einer wichtigen Position." Doch kommentierte Heynckes gelassen: "Wir lassen uns schon was einfallen."

Auch gegen den SSC Neapel hatte es in der zweiten Halbzeit einen heftigen Bruch im Spiel des FC Bayern gegeben - der ließ sich jedoch mit der schweren Verletzung Schweinsteigers erklären. Nun gab es wieder einen - und wie ließe sich der anders erklären als durch eine Verabredung der Münchner Spieler, diese Partie nur ja nicht langweilig werden zu lassen?

Einzelkritik FC Bayern
:Hektische Michelangelos

Franck Ribéry bekommt unerwartete Hilfe von einem Flitzer, Toni Kroos betrachtet das Spiel wie einst Michelangelo seinen Steinblock - und Abwehr-Rammbock Daniel Van Buyten vollführt zwei Aktionen, die einmal nach ihm benannt werden dürften. Der FC Bayern beim 2:1 in Augsburg in der Einzelkritik.

Jürgen Schmieder, Augsburg

Arroganz und Nachlässigkeit nämlich schlossen die Münchner aus. "Ich habe vor jedem Gegner Respekt, auch wenn er auf Platz 18 der Tabelle steht", sagte Heynckes, der eher Müdigkeit als Ursache ausmachte: "Viele Spieler haben in den vergangenen Wochen permanent gespielt, auch in der Champions League und in der Nationalmannschaft - es ist klar, dass da die Kräfte auch einmal nachlassen."

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Franck Ribéry bekommt unerwartete Hilfe von einem Flitzer, Toni Kroos betrachtet das Spiel wie einst Michelangelo seinen Steinblock - und Abwehr-Rammbock Daniel Van Buyten vollführt zwei Aktionen, die einmal nach ihm benannt werden dürften. Der FC Bayern beim 2:1 in Augsburg in der Einzelkritik.

Jürgen Schmieder, Augsburg

Auch das Fehlen von Schweinsteiger war für Heynckes kein Grund für die plötzliche Nervosität und das Fehlen von Ruhe und Übersicht: "Natürlich kann man einen Spieler wie Schweinsteiger nicht eins zu eins ersetzen - aber ich glaube, dass David Alaba ein gutes Spiel gemacht hat. An ihm lag es nicht, dass wir in der zweiten Halbzeit Schwierigkeiten hatten."

Aber an wem lag es denn nun? Die Spieler wollten es auch nicht verraten, sie sprachen lieber über die Wichtigkeit, diese Partie in Augsburg trotz des Bruchs gewonnen zu haben. "Wir haben den Gegentreffer nach einem Standard bekommen, das kann schon mal passieren", sagte etwa Lahm, "wichtig ist, dass wir diese Partien gewinnen - vor allem auswärts."

Seine Kollegen äußerten sich ähnlich, ihre Stimmlage war dabei trotzig, als wollten sie mitteilen: Jetzt haben wir euch ein spannendes Kunstwerk präsentiert - und ihr seid immer noch nicht zufrieden. Allein die Spieler des FC Augsburg lieferten eine mögliche Erklärung: "Der Trainer hat uns in der Halbzeit gesagt, dass wir auch mal angreifen und Zweikämpfe gewinnen dürfen", sagte etwa Dominik Reinhardt.

Allein Toni Kroos behielt im Tohuwabohu der letzten 20 Minuten den Überblick und sorgte mit feinen Zuspielen für ein wenig Entlastung. Er stand wohl nicht in der Schlange, als die Natur die Nervosität an die Menschen verteilte - wahrscheinlich wartete er gerade dort, wo Ballgefühl und Übersicht verteilt wurden. "Es muss unser Anspruch sein, souveräner zu spielen. Das haben wir nicht gemacht", sagte Kroos nach dem Spiel.

Beim Spitzentreffen mit Borussia Dortmund in zwei Wochen werden nun die verletzten Schweinsteiger und Robben und auch der gesperrte Timoschtschuk fehlen. "Man sieht nun, dass die Quantität des Kaders nicht zu hoch ist", sagte Sportdirektor Christian Nerlinger. Es könnte durchaus sein, dass bei der hinrundeprägenden Partie Kroos und Alaba im defensiven Mittelfeld beginnen. Durchschnittsalter: 20 Jahre. Heynckes wollte sich noch nicht festlegen: "Ich werde nun erst einmal diese Partie analysieren, mit Dortmund beschäftige ich mich zu gegebener Zeit." Dann fügte er noch einmal gelassen an: "Wir lassen uns schon was einfallen."

Uli Hoeneß äußerte sich übrigens auch nach dem Spiel in Augsburg. "Er hat seinen Job gemacht", sagte er über Neuers Reaktion, "jetzt hat er eine Million abgezahlt." Er wirkte dabei ebenso tiefenentspannt wie Vereinsboss Karl-Heinz Rummenigge, der lächelnd verkündete: "Wir sind sehr zufrieden über diese drei Punkte."

Spätestens zu diesem Zeitpunkt war klar: Hoeneß mag die Fußballer immer noch mindestens genauso gerne wie die Basketballer. Klar war aber auch: Der FC Bayern kann diesen beinahe fatalen Bruch im Spiel einfach nicht erklären - also tun sie so, als gehöre er zum Plan, den Menschen sowohl Kunst als auch Spannung zu liefern. Nun müsste ihnen nur einer sagen, dass fünf Punkte Vorsprung auf die Konkurrenz noch nicht wirklich spannend sind.

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