Europa League:Klopp-Orkan fegt den BVB weg

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Dortmund wähnt sich bereits im Halbfinale der Europa League - dann dreht der FC Liverpool ein unglaubliches Spiel. Trainer Klopp zeigt nach dem 4:3, wo sein Herz jetzt schlägt.

Von Felix Meininghaus, Liverpool

Jürgen Klopp machte sich auf den Weg auf die Ehrenrunde, der Trainer des FC Liverpool war randvoll mit Adrenalin, immer wieder klatschte er in die Hände. Die Gefühle mussten einfach raus. Doch dann, als er an der Anfield Road zu "The Kop" kam, dem Epizentrum dieses Stadions, das weltweite Berühmtheit für seine einzigartige Atmosphäre erlangt hat, drehte der 48-Jährige ab und überließ seinen Spielern die Bühne.

Er schritt zum Ausgang, seine Haltung war aufrecht. Auf dem Weg zu den Katakomben schlug sich Klopp mehrmals mit der flachen Hand auf seine strahlend weiße Trainingsjacke, genau an der Stelle, unter der sein Herz schlägt. Er wusste genau, er war der Held eines epischen Dramas, das sich da gerade abgespielt hatte, und das niemand vergessen wird, der es gesehen hat.

Es war ein unglaubliches Spiel. Diese Wucht, diese Dichte, diese mitreißende Schärfe gibt es im Fußball nur ganz selten zu bewundern. Liverpool hatte das Viertelfinale in der Europa League gegen Borussia Dortmund mit 4:3 gewonnen, nachdem die Männer aus der englischen Hafenstadt dieses unglaubliche Spiel bereits mehrmals verloren zu haben schienen. Der BVB führte früh mit 2:0 und hatte alles im Griff. Auch nach dem schnellen Anschlusstreffer des Gegners hatte der Revierklub die richtige Antwort.

Spätestens mit dem 3:1, so der unmissverständliche Eindruck, war dieses Kapitel durch. Was sollte in einer halben Stunde noch passieren?

Liverpools gigantisches Comeback

Und dann das: Der FC Liverpool erlebte ein gigantisches Comeback und fügte seiner ohnehin schon so ruhmreichen Klubgeschichte ein Kapitel hinzu, das spektakulärer kaum hätte sein können. Vor Spielbeginn hatte Klopp den Mythos Anfield mit aller Macht beschworen, nach dem Abpfiff wurde deutlich, was er gemeint hatte. Die tosende Kulisse pushte die Männer in Rot bis zum Äußersten, es war unglaublich, welch mitreißende Energie von den Rängen ausging. So etwas passiert im Fußball nur in ganz wenigen, magischen Nächten. Wenn es so weit ist, "vergisst du es nie", beteuerte Klopp mit einem glücklichen Lächeln.

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Klopp ist es auch in Liverpool gelungen, seine spezielle Energie auf sein Team zu überzeugen. Diese feste Überzeugung, dass der pure Wille Berge versetzen kann, wenn er nur stark genug ist. Solche speziellen Momente hatte er auch in Dortmund kreiert, zum Beispiel beim unvergesslichen 3:2 gegen Málaga. Klopp weiß genau, wann Laufwege und Taktik keine Rolle mehr spielen, weil andere Dinge wichtiger sind.

"Wir hatten einen Matchplan", sagte er, "aber den konnten wir schon nach zehn Minuten in die Tonne kloppen." Dafür gab es etwas anderes, das schwerer wog. "Du konntest es sehen, hören, riechen, fühlen - hier passiert gerade etwas", sagte Klopp, als er vom Liverpooler Anschlusstreffer berichtete.

Dortmund befand sich im Auge eines Orkans, doch so richtig waren sich die Spieler der Gefahr nicht bewusst. "Wenn du die Gefahr nicht riechst, bist du nicht auf dem höchsten Level", erkannte Thomas Tuchel. Und so ergab es sich, dass sich dieser Sturm auftürmte, der die Dortmunder hinwegfegte.

Berühmte Aufholjagden
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"So dürfen wir das Spiel natürlich nicht verlieren, das ist extrem bitter", sagte Nationalspieler Marco Reus, dessen Treffer zum 3:1 die vermeintliche Vorentscheidung gebracht hatte: "Wir müssen uns alle hinterfragen, wie man so ein Spiel aus der Hand geben kann." Der bemitleidenswerte Torhüter Roman Weidenfeller, der bei allen Gegentreffern keinerlei Möglichkeit hatte, das Schicksal zu beeinflussen, ergänzte: "Wir hätten unser Spiel weiter durchziehen müssen, aber stattdessen haben wir den Stecker gezogen." Die Befindlichkeiten der Geschlagenen brachte der junge Julian Weigl auf den Punkt: "Das fühlt sich einfach nur schrecklich an."

Meisterschaft, Europa League - alles weg

Nun steht Borussia Dortmund am Scheidepunkt einer Saison, die der Revierklub bislang so bravourös bewältigt hat. Bereits am kommenden Mittwoch steht das nächste Spiel auf der Agenda, bei dem 90 Minuten darüber entscheiden, ob der Weg zu Ende ist. Dann muss der BVB zum Halbfinale im DFB-Pokal in Berlin ran und steht extrem unter Druck: Die Meisterschaft abgehakt, der Traum vom Gewinn der Europa League beendet, der nationale Cup ist die letzte Ausfahrt zu einem Titel. Wird auch die verpasst, bleibt nichts, und eine Saison, in der sich der BVB in neun Monaten so glänzend verkaufte, wird nachhaltig entwertet.

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Die erste sich anbahnende Krise seiner noch jungen Dortmunder Schaffensperiode bewertet Tuchel als echte Herausforderung: "Es wird eine Zeit, in der wir uns neu kennenlernen. Es wird interessant, wie wir damit umgehen." Die kommenden Wochen könnten zu einer Reifeprüfung werden. "Wir konnten nicht wie Champions gewinnen", sagte Tuchel am Ende einer schweren Nacht in Liverpool, "lasst uns die Niederlage zumindest wie Champions hinnehmen."

Am Charakter und an der Haltung, wie ihr Trainer die niederschmetternden Erlebnisse bewältigte, können sich seine Spieler mit Sicherheit orientieren.

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