EM-Qualifikation:Fußball im Jugendwahn - überall

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Der reinste Kindergarten: Nicht nur die deutsche Nationalelf testet junges Personal. Wichtige europäische Teams üben sich in der strikten Verjüngung. Zum Teil in größter Not - wie in England oder Italien.

Eigentlich ist es doch schade, dass ein ernsthaftes Land wie Italien jetzt auch dem grassierenden Jugendwahn verfällt. Dabei passte die gute, alte Methusalem-Squadra um Verteidiger Fabio Cannavaro doch viel besser zu einem 85-jährigen Staatspräsidenten, einem 74-jährigen Ministerpräsidenten und einem Parlament, dessen ältestes Mitglied gerade hundert geworden ist.

Hoffnung für Italien: Milan Balotelli von Inter Mailand. (Foto: REUTERS)

Früher wurden die Azzurri von Großvätern trainiert: Maldini senior, Zoff, Trapattoni, Lippi. Erfolgreich, naja, bis auf die letzte WM. Da wurde das schlechteste Ergebnis der Geschichte der Azzurri eingefahren, als neuer Trainer der Fuffziger Cesare Prandelli angeheuert und nun das: 25,4. Fünfundzwanzig ist das neue Durchschnittsalter der italienischen Nationalelf.

Der Jüngste ist 19 (Davide Santon von Inter Mailand), der Älteste 31 (Andrea Pirlo von Milan, neben Daniele De Rossi einziger 2006-Weltmeister im Team). Dazwischen: 23-jährige Torwartreservisten, 22-jährige Abwehr-Greenhorns und die 20-jährige Stürmer-Diva Mario Balotelli. Der reinste Kindergarten, ein Glück, dass wenigstens das Mittelfeld aus gesetzten Endzwanzigern besteht.

In der EM-Qualifikation sieht es übrigens gut aus, sehr gut sogar. Schon gut, es ist nicht gerade eine Hammergruppe aber wann hat Italien sich schon mal mit fünf Toren (zu null) gegen die Färöer-Inseln verausgabt?

Als gäbe es kein Morgen mit den sorgenvollen Taktikanalysen der gramzerfurchten Fußballakademiker in den nicht mehr ganz so jungen Sportredaktionen. Gut, dass im Januar Gigi Buffon ins Tor zurückkehrt! Der ist beruhigend volljährig, mit 32.

Text: Birgit Schönau

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Am Montag trafen sich in Las Rozas, der Sportstadt des spanischen Verbandes RFEF vor den Tores Madrids, die 23 Spieler, die den Stamm der Nationalelf bilden; und ein wenig hatte man das Gefühl, dass es sich um ein Ehemaligentreffen handelte. Denn die Namen sind allzu gut bekannt, international renommierte Spieler wie Casillas, Puyol, Capdevila, Xavi, Xabi Alonso oder Fernando Torres begleiten die spanischen Anhänger schon seit etwa einem Jahrzehnt.

Hoffnung für Spanien: Torhüter David de Gea von Atlético Madrid. (Foto: dpa)

So gesehen mutet es fast überraschend an, dass sich der Altersschnitt des Kaders bei gerade mal 26,39 Jahren bewegt. Der Grund: Spieler wie Cesc, Piqué, Busquets oder Pedrito sind zwar gleichsam etabliert, aber berechtigt, sogar noch für die U23 Spaniens aufzulaufen.

Der subjektive Eindruck besteht seit Jahren, dass spanische Fußballtrainer unerschrocken junge Spieler einsetzen. Was an diversen Faktoren liegen dürfte: die Vereine haben sich nie davor gescheut, ausländische Trainer zu verpflichten. Die gaben der Nachwuchsarbeit entweder neue Impulse wie die niederländischen Trainer, oder sie waren es einfach aus ihren Heimatländern gewohnt, schon Pubertierende in Erstligakader zu berufen, wie zahlreiche südamerikanische, insbesondere argentinische Coaches.

Wegweisend waren vor allem Johan Cruyff, Jorge Valdano oder Louis van Gaal: In den Neunzigern vertrauten sie zur Verblüffung aller die Geschicke von Barcelona oder Real Madrid dürrbrüstigen, vom Körperbau nachholbedürftigen, aber ungemein talentierten Spielern wie Guardiola, Raúl oder Xavi an. Seit dem Bosman-Urteil, das den Import zahlloser mittelmäßiger Spieler mit sich brachte, ist der spanische Nachwuchsspieler gefragter denn je. Nach Angaben von Mr. Chip, dem Statistikpapst des Radiosenders Onda Cero, feierten in der Saison 2009/2010 insgesamt 52 Spieler, die jünger als 21 waren, ihr Erstligadebüt; neun davon waren jünger als 18, zwei gar jünger als 16: Muniain von Athletic Bilbao und Juanmi vom FC Málaga.

Auch in der laufenden Saison spielen wieder 16 Debütanten, die zum Erstligastart jünger als 21 waren. Zudem hat auch der Verband seine Nachwuchsarbeit systematisiert - die Arbeit mit der Cantera, dem Steinbruch, wie es im Spanischen heißt. Den EM- und WM-Erfolgen von 2008 und 2010 gingen zahlreiche internationale Jugendtitel voraus.

Angesichts dieser Lage ist den Spaniern auch um die Zukunft ihrer Nationalelf kaum bange. Nicht nur wegen der bereits genannten Cesc, Piqué, Busquets oder Pedrito, sondern auch wegen einem Torwart wie De Gea (Atlético Madrid), Barcelonas desginiertem Xavi-Nachfolger Thiago, dem Özil-Stellvertreter bei Real Madrid, Sergio Canales, oder dem Verteidiger José Ángel (Sporting Gijón). Sie alle werden schon jetzt von europäischen Spitzenklubs umworben.

Text: Javier Cáceres

Die Ankläger hatten in Rustenburg ihr Plädoyer fast abgeschlossen, da rief die Verteidigung den Kronzeugen auf. "Bobby Zamora", entgegnete der für das WM-Debakel persönlich haftbar gemachte Nationaltrainer Fabio Capello auf die Frage nach zukunftsträchtigen Spielern. Der Name ließ die Zuhörer erschaudern: der Stürmer vom FC Fulham ist bald 30. Die für den vehement geforderten Neuanfang nötigen Talente, wollte der Italiener damit sagen, gab es schlichtweg nicht.

Die Fußballnation kam ins Grübeln; Verband und Liga gerieten in die Defensive. Stürmer-Ikone Gary Lineker wurde von der BBC nach Spanien geschickt, um die Nachwuchsarbeit beim Weltmeister auszukundschaften; der 49-Jährige kam mit der deprimierenden Erkenntnis zurück, dass Spanier (und auch Deutsche) etwa zehn Mal so viele qualifizierte Trainer beschäftigten.

Der Boulevard zettelte indes eine hysterische Diskussion um zwei unerfahrene Jugendliche an, die von Capello nicht beachtet wurden. Der 64-Jährige ließ Jack Rodwell (19, Everton) und Jack Wilshere (18, Arsenal) in den Qualifikationsspielen zu Hause, dafür musste er sich von der Sun als "Jackass" beschimpfen lassen: Hausesel.

Vor dem Testspiel gegen Frankreich hat sich die Lage ein wenig entspannt, Englands Zukunft scheint langsam zu beginnen. Wilshere steht nach starken Liga-Leistungen im Aufgebot, genau wie Mittelfeldkollege Jordan Henderson (20, Sunderland) und Torjäger-Hüne Andy Carroll (21, Newcastle United). Der Alterschnitt des Teams liegt nach dem Ausfall der Routiniers Lampard und Terry bei 25 Jahren und sieben Monaten.

Die Zahl täuscht jedoch ein bisschen, denn Capellos Kader leidet unter jenem Strukturloch, das einst auch in der DFB-Elf klaffte: Die Nationalspieler sind entweder blutjung oder Vertreter der vermeintlich goldenen Gerrard-Generation jenseits der 30. Bis zur EM 2012 die richtige Mischung zu finden, wird Capellos größtes Problem sein. Zumal Bobby Zamora verletzt fehlt.

Text: Raphael Honigstein

Clairefontaine, das war das Vorbild. Einst wurde in den Reformplänen im deutschen Nachwuchsfußball auf die Vorzüge des französischen Elite-Internats verwiesen. Ferne Zeiten. Bei der WM 2010 stänkerten sich die Franzosen mit einer Mannschaft jenseits des Zenits durchs Turnier. Talente wie Nasri, Benzema, Ben Arfa, die 2008 als Frankreichs Zukunft galten, saßen zu Hause.

Nach dem Desaster bei der WM - mit internen Sperren gegen die aufsässigen Routiniers Anelka, Ribéry, Evra, Toulalan - rief der neue Trainer Laurent Blanc einen "Erneuerungsprozess" aus.

In der EM-Qualifikation glückten zuletzt drei Siege. Torschützen waren unter anderem Benzema, 22, Gourcuff, 24, Remy, 23. Zudem waren weitere junge Spieler dabei wie Nasri, M'Vila, Matuidi, Rami, Payet. Ob das schon ein Trend ist, lässt sich noch nicht sagen.

In dieser Woche überraschte der Erneuerer Blanc mit der Aussage, Nicolas Anelka sei nicht für alle Zeit verbannt. Der Stürmer ist 31 Jahre alt und noch für 13 Länderspiele gesperrt.

© SZ vom 17.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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