DFB-Pleite gegen die Schweiz:Erst Müßiggang, dann Schutzreflex

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Fünf Gegentore! Zwei Wochen vor dem ersten EM-Gruppenspiel kassiert das DFB-Team eine hohe Niederlage gegen die Schweizer. Natürlich, da war das viele harte Training, die schweren Beine, die hohen Temperaturen - die Spieler sprechen der Partie jeden Einfluss auf die EM ab. Dennoch: Ein möglicher Titel scheint weit weg.

Thomas Hummel, Basel

Joachim Löw ging alleine über den Rasen des Basler St. Jakob Parks, um ihn herum tobte und toste es. Es war fast ein Beckenbauer'scher Moment, wie der Bundestrainer da kurz nach dem Schlusspfiff über das Grün spazierte und auf die Ränge sinnierte. Dort, wo die Schweizer Zuschauer ihre Mannschaft feierten. Löw schien in diesem Moment ganz weit weg zu sein. Oder vielleicht auch nur drüben am Rheinufer, wo an diesem Sommersamstagabend eine herrlich leichte Stimmung herrschte und sich der unweit davon aufgewachsene Löw sicher gut auskennt.

Fünf Gegentore: Das Team von Bundestrainer Joachim Löw verliert das erste von zwei EM-Testspielen gegen die Schweiz. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Vielleicht dachte der Bundestrainer auch über die Worte von Kollege Ottmar Hitzfeld nach: Die Schweizer hatten bei der WM zu Beginn Spanien besiegt und diese hätte dann den Titel gewonnen. Insofern sei dieses 3:5 der deutschen Nationalmannschaft selbstverständlich ein gutes Omen, sagte Hitzfeld. Ja, ein gutes Omen konnte der deutsche Fußball an diesem Abend gut gebrauchen. Aber selbst die größten Hitzfeld-Jünger mussten zugeben, dass der Schweizer Trainer die DFB-Elf mit einem Taschenspielertrick aufbauen wollte.

Zwei Wochen vor dem ersten Vorrundenspiel bei der Europameisterschaft gegen Portugal verlor Löws Mannschaft in der Schweiz 3:5. Fünf Gegentore! Das hatte es zuletzt im April 2004 in Rumänien gegeben. In der Innenverteidigung standen Carsten Ramelow und Jens Jeremies. Die anschließende EM ging ziemlich daneben und war nach drei Vorrundenspielen beendet.

Nein! So etwas wird im Jahr 2012 selbstverständlich nicht passieren. Als hätten sich Spieler und Trainer noch im Kabinengang verabredet, diese Niederlage ja nicht zu groß werden zu lassen, sprachen sie ihr jeden Einfluss auf die EM ab. "Wir haben noch zwei Wochen Zeit, die Abstimmung wird besser werden. Da habe ich keine Bedenken", erklärte Löw. Sami Khedira sagte: "Ich glaube nicht, dass wir aus diesem Spiel gegen die Schweizer einen falschen Trend machen dürfen." Mats Hummels verlautbarte etwa das gleiche - und alle anderen Nationalspieler auch.

Und dennoch dämmerte nach diesem psychologischen Schutzreflex bald der Morgen und der Bundestrainer ist vermutlich doch mit einem kleinen Schrecken aufgewacht. War das wirklich passiert? Noch im Stadion hatte er ja erklärt, dass er sich an alle wirren Szenen gar nicht mehr erinnern könne, es seien so viele gewesen. Natürlich, da war das viele harte Training gewesen, die schweren Beine, die hohen Temperaturen in Basel und eine neu formierte Mannschaft. Dennoch bleibt hängen, dass einige Profis den Eindruck vermittelten, in ihrer Fitness und Form noch weit entfernt zu sein von einem möglichen Europameistertitel. Sehr, sehr weit.

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Per Mertesacker wirkt sowohl körperlich als auch geistig zu langsam, Mesut Özil hat scheinbar keine Lust auf die zweite Mannschaft, Lukas Podolski klatscht sich immerhin heftig mit dem Trainer ab. Nur Sami Khedira wehrt sich gegen die Niederlage. Die DFB-Elf beim 3:5 gegen die Schweiz in der Einzelkritik.

Thomas Hummel, Basel

Zum Beispiel Per Mertesacker. Seit Anfang Februar verletzt und bei Arsenal nicht mehr im Einsatz, hofft er, sich bei Löw wieder zum Abwehrchef trimmen zu lassen. Am Samstag musste er einsehen, dass man auch in einem Freundschaftsspiel nicht nur mit dem Auge verteidigen kann. Der 80-malige Nationalspieler wusste es selbst: "Man muss weiter hart an sich arbeiten, sonst wird das nichts mit der EM." Ob da 14 Tage reichen?

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Das gleiche gilt für den lange verletzten Mario Götze und ähnliches für den lange verletzten Miroslav Klose. André Schürrle kommt bei seiner Suche nach der Form nicht weiter, Mesut Özil und Lukas Podolski gaben sich dem aktiven Müßiggang hin. Und hinten begingen Mertesacker und die Abwehrkollegen Hummels, Benedikt Höwedes und Marcel Schmelzer einen Fehler nach dem anderen. Mal als einzelner, mal als Abwehrverbund.

Sieger an diesem späten Nachmittag in Basel zu finden, war schwierig. Die meisten saßen zu diesem Zeitpunkt im Flugzeug nach Südfrankreich: die acht Bayern-Spieler, die nun endlich zum DFB-Tross dazu stoßen. Innenverteidiger Holger Badstuber hatte selten so einen festen Stammplatz, Jérome Boateng darf sich vielleicht Hoffnungen machen auf einen Einsatz in der Außenverteidigung. Manuel Neuer, Thomas Müller, Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger sind sowieso dabei, und auf Mario Gomez könnte die Aufgabe zukommen, ein Sturmproblem zu lösen.

Dabei bringen auch die Münchner ein unschönes Erlebnis mit, das verlorene Champions-League-Finale. Eigentlich sollten die Dortmunder und Madrider Meister die Münchner Triple-Vizes aufmuntern. Nun weiß man gar nicht mehr, wer wen aufmuntern soll. Löw fordert von den Bayern-Spielern nun ein aktives Vergessen ein: "Über das verlorene Spiel zu reden, habe ich jetzt auch keine Lust mehr."

Am Dienstag muss Löw seinen endgültigen Kader für die EM bei der Uefa einreichen, zuvor noch einen Torwart und drei Feldspieler nach Hause schicken. Ob dieses chaotische Spiel in Basel seine Meinung beeinflusst hat, ist unwahrscheinlich. Die Bayern werden alle dabei sein, Torwart Marc-André ter Stegen dürfte trotz seiner Fehler mitfahren, die Kandidaten heißen weiterhin Ron-Robert Zieler, Lars und Sven Bender, Julian Draxler und Cacau. Löw sendete den Unglücklichen schon mal warme Worte: "Für manche war es eine große Chance, etwas dazu zu lernen. Für die WM 2014 oder die EM 2016. Für sie wird es hart, aber es war gut, dass sie dabei waren."

Das zu verkraften ist dann das Problem der Betroffenen. Bundestrainer Joachim Löw und sein Team müssen hingegen zusehen, dass sie ähnliches nicht nach der EM über sich selbst hören.

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