Borussia Dortmund vor dem Saisonstart:Nur nach hinten zwickt's ein bisschen

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Warum Zweiter werden, wenn auch Platz eins drin ist? Der BVB strebt vollmundig die dritte deutsche Meisterschaft in Serie an. Beim Bundesliga-Auftaktspiel an diesem Freitag gegen Bremen soll sich zeigen, ob Zugang Marco Reus die Strategie von Trainer Klopp schon übernommen hat. Dazu muss sich der Nationalspieler noch steigern.

Freddie Röckenhaus, Dortmund

Die Frage war unausweichlich und Jürgen Klopp sank fast ein wenig in sich zusammen, wie zum Absprung bereit, als müsse er sich sammeln für die wichtigste Antwort der Pressekonferenz. Er begann dann leise murmelnd, um dann wieder größer und größer zu werden. Ob denn seine Mannschaft noch einmal imstande sei, dieselbe Gier und Leidenschaft zu entwickeln, um auch den dritten Meistertitel in Serie anzugreifen?

Hoffnungsvolle Blicke in die Zukunft: Bei Meister Dortmund steht das Gerüst der Mannschaft - aber wie gliedert sich Marco Reus (li.) ein? (Foto: dapd)

"Tatsächlich", begann der Trainer von Borussia Dortmund, "gelingt es nicht vielen Menschen, so gierig zu bleiben. Aber meine Mannschaft kann sich glücklich schätzen, dass ich selbst einfach nicht genug kriegen kann. Und ich werde diesen außergewöhnlichen Willen von allen einfordern."

Dortmunds eigentlicher Vorturner weiß, dass die Testspiele in der 50 Tage langen Vorbereitungszeit solche Fragen erst richtig befeuert haben. Gegen Werder Bremen, den Bundesliga-Eröffnungsgegner an diesem Freitag, gab es erst jüngst, beim "Liga total Cup" in Hamburg, zwei frühe Gegentore und am Ende ein 3:3, nebst verlorenem Elfmeterschießen.

Und vor knapp zwei Wochen im Supercup-Spiel beim FC Bayern leistete sich Klopps Mannschaft erneut zwei schnelle Gegentore, am Ende stand eine 1:2-Niederlage, die zwar umgehend für unbedeutend erklärt wurde, die aber doch mehr Wahrheiten zutage förderte, als der unter chronischem Ehrgeiz leidende Klopp ertragen konnte.

Vor allem die "Arbeit gegen den Ball" nervt Klopp. Beobachter berichten, dass in dieser Woche beim ernsten Trainingsspiel einer Dortmunder A-Besetzung gegen eine B-Besetzung die Elf der Gesetzten noch immer keine meisterliche Defensivarbeit zeigen wollte. Die zweite Besetzung gewann 2:0, die A-Riege wartet weiter auf die Initialzündung. "Die Arbeit gegen den Ball", sagt Klopp, "ja, es gibt Momente, da könnte sie besser sein. Aber wenn Eingespieltheit im defensiven Verhalten kein Problem wäre, dann könnte es ja jeder."

Bei aller Diplomatie: Der Begriff der "Eingespieltheit" kann nur auf den einzigen prominenten Neuen zielen: Marco Reus, der den zu Manchester United umgezogenen Japaner Shinji Kagawa ersetzt. Manche Mitspieler rühmen bereits die überragende Offensiv-Qualität des Dortmund-Heimkehrers, merken aber zugleich an, dass Reus wohl selbst überrascht sei, wie intensiv und ausgeprägt man im BVB-System auch dann rennen soll, wenn der Gegner den Ball hat.

Oder gerade dann. Der technisch virtuose Reus ist offenbar willig, lernfähig, hängt aber dem enormen Lauf- und Defensivpensum bislang noch weit hinterher; Reus dürfte derzeit pro Spiel mindestens zwei Kilometer weniger unterwegs sein als Kagawa. Ob Dortmunds System das kompensieren kann, daran wird sich manches entscheiden.

Klopp hat eine luxuriöse Ausstattung, vor allem fürs Mittelfeld. Damit wird er umgehen müssen, so lange nicht Verletzungen die Aufstellung diktieren. Zum Start gegen Bremen muss sich Klopp jedoch noch nicht mit der Frage beschäftigen, ob er sich zeitgleich die Künstler Marco Reus und Mario Götze auf dem Rasen leisten kann, samt deren dezenter Defensiv-Schwächen. Götze ist zwar wieder gesund, hat aber Trainingsrückstand und erscheint noch nicht Startelf-tauglich.

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Rechts hinten droht zudem Lukasz Piszczek mit einer Muskelverhärtung am Oberschenkel für den Auftakt auszufallen. Ersetzen dürfte ihn - nach Trainingseindrücken - Dortmunds Allrounder Kevin Großkreutz. "Es ist klar, dass Kevin auch das kann", sagt Klopp.

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Großkreutz dürfte allerdings nach der Gastrolle als rechter Verteidiger schnellstmöglich wieder Linksaußen werden, um später an der Seite von Reus und Götze im offensiven Mittelfeld für die Berserker-Arbeit gegen den Ball zu sorgen. Die BVB-Fans wünschen sich offenbar genau diese Offensiv-Reihe mit den "Dortmunder Jungs" Großkreutz und Reus, beide in der Stadt geboren, sowie mit Götze, der als Fünfjähriger in die Stadt kam. Ein Trio in einem Spitzenklub aus einer Stadt - wann hat es so etwas in 50 Jahren Bundesliga schon einmal gegeben?

Aktuell aber stellt sich im umkämpften Mittelfeld vor allem Jakub "Kuba" Blaszczykowski für Klopp von selbst auf, denn der Pole verteidigt - fast wie Großkreutz - so gut, wie er offensiv spielt. "Es gibt aber keine Wettkampf zwischen Mario und Kuba", bemüht sich der Trainer zu versichern, "es können durchaus beide spielen." Nächste Frage: Was plant Klopp mit dem schnellen, kopfballstarken Ivan Perisic, dessen Torgefährlichkeit ihn für jeden Trainer interessant macht?

Wenn da - natürlich - die defensiven Schwächen des Kroaten nicht wäre. Überhaupt: Wären da nicht diese Defensiv-Bedenken, man könnte kaum anders, als den Kader für deutlich stärker zu halten als vergangene Saison bei Meisterschaft und Pokalgewinn.

Die schwierige Verwaltung des Luxus setzte BVB-Vorstandschef Hans-Joachim Watzke am Donnerstag bei der Vorstellung der Jahresbilanz des einzigen börsennotierten deutschen Fußball-Klubs fort. Die Nachricht des Tages: Dortmunds Kommanditgesellschaft auf Aktien will erstmals seit dem Börsengang im Jahr 2000 eine kleine Dividende von noch unbestimmter Höhe auszahlen. Der Umsatz schnellte auf 215,2 Millionen Euro hoch (Vorjahr 151,5 Millionen), beeindruckend der ausgewiesene Gewinn von 39,3 Millionen Euro.

Den muss der BVB nun zwar versteuern, aber für ein Fußball-Unternehmen, das noch im Frühjahr 2005 knapp der Insolvenz und damit dem Zwangsabstieg entging, ist auch dies ein ungewohntes Gefühl von Luxus. Allerdings wurde der Gewinn zum Großteil durch die Transfers von Torjäger Barrios (für zehn Millionen nach China) sowie Kagawa (für 16 Millionen plus Prämien zu ManUnited) begünstigt.

Für das zum 1. Juli begonnene neue Geschäftsjahr rechnet Dortmund seinen Aktionären vor, dass der Profi-Kader nun gut 48 Millionen Euro kosten wird. Allerdings basiert diese Hochrechnung darauf, dass Klopps Spieler dieses Mal nur 60 Punkte in der Bundesliga erreichen werden - vorige Saison waren es 81. Ein Rekordwert.

© SZ vom 23.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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