Becker in Wimbledon:Heikel wie vor 30 Jahren

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Novak Djokovic: Schwere Aufgabe im Achtelfinale (Foto: dpa)
  • Auch am Jubiläumstag seines ersten Wimbledonsieges muss Boris Becker arbeiten.
  • Der von ihm trainierte Novak Djokovic weckt mit einem mühsamen Fünf-Satz-Sieg Erinnerungen an 1985.
  • Die Ergebnisse aus Wimbledon finden Sie hier.

Von Gerald Kleffmann, Wimbledon

"Ehrlich?" Joakim Nyström glaubt es kaum. 30 Jahre soll das her sein? Auf den Tag genau? Der 52-Jährige, früher einer dieser lässigen Schweden, die mit Trampolinschlägen Gegner zermürbten, entsinnt sich dann natürlich schnell. 7. Juli 1985, "dieser völlig neue Typ", wie er Boris Becker empfand, triumphierte erstmals auf dem berühmten Rasen von Wimbledon.

Keiner hätte diese Geschichte und das, was folgte - die deutsche Heiligsprechung, eine einzigartige Karriere mit tausend Höhen, mit hundert Tiefen -, eher verhindern können als Joakim Nyström. Er war ja der, der in der dritten Runde Becker wirklich fast bezwungen hätte. Nur zwei Punkte fehlten ihm. Und da läuft er nun, ein erstaunliches Bild. Keiner verlangt ein Autogramm von ihm oder macht Fotos. Es sollte wohl so sein in SW19.

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"Ich hatte 5:4 geführt, bei eigenem Aufschlag, fünfter Satz", erzählt Nyström, der heute als Trainer unter anderen den Österreicher Dominic Thiem betreut. Er kramt nach Bildern im Kopf: "Bei 30:30 habe ich einen leichten Vorhandvolley - und setze ihn ins Aus." Statt Matchball kam Becker zurück, siegte 9:7 in der Verlängerung und knallte am finalen Turniersonntag um 17.26 Uhr das letzte Ass in die Cross-Seite.

Schon wieder heißt der Gegner Kevin

"Boris tat uns und dem Tennis gut", findet Nyström, der frühere Top-Ten-Profi. "Er war anders, es machte bum-bum", er sagt wirklich bum-bum. Beckers Vermächtnis als Spieler, es lebt im Jahr 30 nach dem Urknall. Nyström immerhin siegte 1986 mit Mats Wilander im Wimbledon-Doppel, ein kleiner Trost. Sauer auf den Deutschen ist er eh nicht: "Er war besser."

Kaum ist Nyström in der Masse verschwunden, die nach Öffnung die Anlage des All England Clubs in Beschlag nimmt, taucht Becker auf. Wüsste man es nicht besser, würde man kaum glauben, dass der Deutsche, 47, exakt an seinem Freudentag wieder in Wimbledon antreten muss. Wieder gegen einen Südafrikaner mit Vornamen Kevin. Mit einem krachenden Aufschlag. Wie Kevin Curren, sein damaliger Finalgegner, der in Durban geboren wurde, aber unter US-Flagge antrat.

7. Juli 2015 also, ein neuer Tag für die Geschichte. Novak Djokovic, 28, setzt sein Match gegen Kevin Anderson, 29, fort, der in Johannesburg geboren wurde und angekündigt hat, Ende des Jahres US-Bürger zu werden. Becker betreut Djokovic, den Weltranglisten-Ersten aus Belgrad, als Trainer.

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Fügt sich da etwas Unglaubliches? Am Vortag wurde das Duell ja abgebrochen, der Serbe lag 6:7, 6:7 zurück, wankte, konterte, 6:1, 6:4, dann wurde es dunkel. Für Becker stand fest: Er hatte nicht spielfrei, er musste an seinem Jubiläumstag arbeiten. Bedrohlicher: Es bestand die Gefahr, dass Djokovic, mit dem Becker 2014 gemeinsam Wimbledon gewann, ein Stück Becker also, verliert. Ausgerechnet an dem Tag, der der Reminiszenz vorbehalten war. Matthias Schweighöfer will nun sogar Beckers Aufstieg bis zu seinen ersten beiden Wimbledonsiegen verfilmen.

Becker begrüßt dieses Projekt, "spannend" findet er es, es soll viel um seine Kindheit gehen.

Weihnachten 2016 soll das Werk ins Fernsehen kommen. Aber grundsätzlich, gibt er zu verstehen, sei er nicht so der Nostalgiker. Als würde er offiziell den Beweis antreten, kommt er angeschritten, zu Court No. 14. Seine Jubiläumsschicht beginnt. Er hat Djokovic den Einschlagpartner ausgesucht, um 13 Uhr geht es weiter, auf Court 1, dem zweitgrößten Stadion. "Wir haben Becker gefragt, und er hat ja gesagt", berichtet Dong Yeop Lee, ein kleiner Mann mit Kappe, er ist der Manager von Duck Hee Lee, Nummer zwei im Juniorenfeld.

Der Südkoreaner wurde 1998 geboren, Beckers Siege kann er nur aus dem Internet kennen. Sind ja alle dort abrufbar. Eine halbe Stunde schlagen sie Bälle, Becker wirft Bälle zu, Djokovic wirkt fokussiert. Kurz vor der Fortsetzung seines Achtelfinales berichtet jemand im Spielerrestaurant, er habe Becker gesehen. Er lasse sich behandeln. Sein Körper hat sich nie bedankt für drei Wimbledontriumphe, für die gewonnenen Schlachten. Beide Hüften haben irgendwann gestreikt, aber Djokovic wusste stets, was Becker für ein Tenniswissen besitzt. Zusammen haben sie viel erreicht seit Anfang 2014. Nur heute hat Djokovic viel zu verlieren. Becker auch.

Um 13 Uhr betreten Djokovic und Anderson den Platz, der Himmel ist dunkel, es regnet auf einmal, sie gehen in die Kabine, kommen wieder, Becker trägt eine rote Jacke, sein Blick ein einziger Tunnel. Er kennt die Bedeutung. Bei 1:2, eigener Aufschlag, schwimmt Djokovic erstmals, drei leichte Vorhandfehler. 15:40. Er rettet sich, steigert sich, am Montag hatte er zwei Sätze lang fahrig agiert. 5:5, Becker steht auf, die rote Jacke leuchtet, wie ein Warnsignal. Als würde Becker funken: Nole, pass auf, ein Nyström-Moment!

Djokovic gelingt tatsächlich das Break. Noch einmal 0:30, aber er gewinnt Satz fünf, 7:5. Djokovic küsst die eigene Hand, legt sie auf den Rasen. Becker? Zieht die Socken hoch, er trägt das neu aufgelegte Puma-Schuhmodell von '85. Sein Modell. Was für ein Schlussbild auf Court No.1. Schon am Mittwoch kehren beide zurück, Marin Cilic, der US-Open-Champion aus Kroatien, ist der Gegner. "Das war eines meiner schwersten Matches in Wimbledon, vielleicht meiner Karriere", sagt Djokovic. Becker findet, dieser Sieg sei "ein Zeichen an die Umkleidekabine", an die Konkurrenten. Eine Ehrenrunde zu einem Fernsehsender dreht er, alte Sequenzen darf er ansehen, Mats Wilander staunt: "Du warst damals ja öfter auf dem Boden als auf den Beinen."

Becker schmunzelt. Am frühen Abend, als er noch der deutschen Presse einen Besuch abstattet, ruht Becker sehr in sich. Er sagt, dass er "die Blumen gerne annimmt" zum Jubiläum. Aber damit sei es gut. Mit Novak Djokovic rede er gar nicht über damals, und tatsächlich: "Ich wusste nicht, dass es heute ist", gesteht Djokovic. "Er wird ein Glas Wein trinken und ich ein Glas Wasser, und dann werden wir diesen schönen Meilenstein feiern." Ja, der 7. Juli 2015 war definitiv ein guter Tag für Boris Becker.

© SZ vom 08.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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