Murray-Bruder in Wimbledon:Jamie wer?

Day Six: The Championships - Wimbledon 2015

Jamie Murray steht mit seinem Partner John Peers im Viertelfinale des Doppelwettbewerbs.

(Foto: Getty Images)

Andy Murray ist in Wimbledon ein Nationalheld, sein Bruder Jamie geht fast unerkannt über die Anlage. Dabei ist auch er noch im Turnier. Und hat Andys nächsten Gegner schon besiegt.

Von Lisa Sonnabend, Wimbledon

Nur freundlicher Applaus für den großen Bruder

Niemand schrie seinen Namen, niemand schwenkte eine Schottlandfahne, kein einziger Zuschauer hatte sich ein britisches Kostüm angezogen. Als Jamie Murray am Montagnachmittag den Court 12 in Wimbledon betrat, apllaudierten die Menschen höflich. 200, vielleicht 300 Zuschauer waren gekommen. Vom Centre Court dagegen dröhnte frenetisches Klatschen herüber, Kreischen, Jubel. Dort gewann zur gleichen Zeit Jamie Murrays kleiner Bruder Andy - der Weltranglisten-Dritte, der Nationalheld.

Jamie Murray ist ein Jahr älter als Andy und um ein Vielfaches weniger berühmt. Ein erfolgreicher Tennisspieler ist auch er - zumindest im Doppel. Mit seinem australischen Partner John Peers warf er im Achtelfinale sogar die Titelverteidiger Jack Sock und Vasek Pospisil raus. 6:3, 7:6, 6:7, 3:6 und 8:6 gewannen sie die dramatische Partie.

Als Jamie Murray und Peers gerade den ersten Matchball hatten, saß Bruder Andy in der Pressekonferenz, um die Fragen der Reporter zu beantworten. Immer wieder schaute er hoch zur Anzeigentafel, bis endlich der Endstand eingeblendet war. Murray unterbrach sich mitten in einem Satz und ballte die Faust: "Sorry, mein Bruder hat gerade gewonnen", rief er.

Überschaubares Medieninteresse

Wenige Minuten später erschien auch Jamie Murray zur Pressekonferenz. Er wurde nicht in den "Main Media Room" gelotst, er nahm im "Kleinen Interviewraum 4" Platz. Sieben Reporter saßen bei ihm am Tisch. Jamie Murray war dennoch zufrieden. Für ihn, den Doppelspezialisten, interessiert sich oft gar niemand.

Natürlich wurde der 29-Jährige schon bald nach seinem berühmten Bruder gefragt. Es war ja auch eine paradoxe Familiensituation am Montag in Wimbledon. Jamie Murray schlug im Doppel Pospisil - den nächsten Einzel-Gegner seines Bruders. Fünf Sätze hatte der Kanadier am Montag im Einzel gespielt, fünf Sätze lang scheuchte ihn danach das britisch-australische Duo über den Platz. "Ich glaube, er ist jetzt ziemlich müde", meinte Jamie Murray und grinste. Sein kleiner Bruder dachte aber gar nicht daran, sich bei ihm für die Extraeinheit zu bedanken. "Ich werde ihn nicht zum Essen einladen", sagte Andy. Aber vielleicht lässt er sich ein paar Tipps geben. Jamie Murray warnte ihn: "Vasek wird ihm Probleme bereiten." Der Kanadier habe einen gefährlichen Aufschlag, eine starke Vorhand, ein gutes Volleyspiel.

Dann ging Jamie Murray hinaus, hielt sich eine Plastiktüte mit Eiswürfeln auf die rechte Schulter. Er hat den gleichen, leicht schlurfenden Gang wie sein Bruder. Dass die beiden Geschwister sind, ist ohnehin nicht zu übersehen. Sie haben die gleiche Frisur, die gleichen leicht gekräuselten Haare, sind beide 1,90 Meter groß. Jamie ist allerdings etwas schlaksiger.

Der Durchbruch gelang Jamie Murray nie

Als Junior galt Jamie Murray als eines der großen Talente im britischen Tennis. Da er den Durchbruch allerdings nie schaffte, konzentrierte er sich aufs Doppel. Die Nummer 28 der Weltrangliste ist er inzwischen. Mit Bruder Andy, der auch sein Trauzeuge ist, trat er bei den Olympischen Spielen 2008 und 2012 an, sie scheiterten beide Male früh. Mit Partner Peers läuft es für Jamie besser, sie gewannen in diesem Jahr bereits ein Turnier, standen in mehreren Endspielen.

Jamie Murray mag Doppel, weil es so viel schneller als Einzel ist und es viel mehr auf Taktik ankommt. In einem Interview gab er jedoch einmal zu: "Wenn ich es mir aussuchen könnte, ob ich ein erfolgreicher Einzel- oder Doppel-Spieler sein will, würde ich lieber Einzel spielen." Der 29-Jährige verdient nicht so viele Millionen wie andere in seiner Familie, aber er kann von seinem Beruf gut leben.

Nun hofft Jamie Murray, erstmals in seiner Karriere in ein Grand-Slam-Doppel-Halbfinale einzuziehen. Im Mixed stemmte er schon einmal mit Jelena Jankovic den Pokal in die Höhe - sechs Jahre vor seinem Bruder gewann er in Wimbledon.

Im Museum auf der Anlage sind in einer Vitrine die Socken ausgestellt, in denen Andy Murray den Titel holte. Der Sieg des Bruders wird nirgends gewürdigt.

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