Bastian Schweinsteiger findet seine Form:"Die Wand muss stehen"

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Ist der gegenwärtige Schweinsteiger schon wieder der alte Schweinsteiger? Eher nicht. Für Joachim Löw ist er dennoch unersetzlich. Denn der Mittelfeldchef verkörpert den neuen Realismus des Bundestrainers. Beide wollen endlich einen Titel gewinnen - und opfern dafür sogar einst eherne Grundsätze.

Boris Herrmann

Bastian Schweinsteiger hat zuletzt ausgiebig geschwiegen. Seit seinem Pfostenschuss von München ist er den Sportreportern ausgewichen wie der Gomez dem Mathijsen. Man konnte ihm das schwer verdenken. Er hatte auf besseres Wetter in eigener Sache gewartet.

Kapitän Bastian Schweinsteiger: "Es ist auch mal gut, sich mit dem Ball auszuruhen." (Foto: AFP)

Und nachdem er am Mittwoch gegen Holland zwei formidable Steilpässe an Mathijsen vorbei auf Gomez gespielt hatte, die jener zu zwei Toren nutzte, sah Schweinsteiger offenbar die Zeit gekommen für eine Rückkehr in den öffentlichen Diskurs. Am Donnerstag saß er im Teamquartier in Danzig auf dem Podium. Der Eindruck war: Bastian Schweinsteiger hat seinen Mut nicht verloren.

Lange schlafen konnte er nicht in der Nacht nach dem zweiten EM-Sieg. Die Heimreise aus Charkow war beschwerlicher gewesen als erwartet. Der Flieger des deutschen Teams stand lange auf dem Rollfeld herum, und so sangen schon bald die Lerchen ihre Morgenchöre, als der DFB-Tross endlich sein Hotel im Grünen erreichte.

Der Fluglotse in der Ukraine habe wenig Englisch verstanden, schimpfte Schweinsteiger. "Ich denke, das müsste die Uefa bei den nächsten Spielen mal anders organisieren." Wie sehr sich aber Europas Fußballboss Michel Platini über konstruktive Kritik freut, musste neulich schon Schweinsteigers Kollege Philipp Lahm erfahren. "Wer ist Lahm?", hatte Platini gepoltert, aber das ist eine andere Geschichte.

Die Frage, die sich hier stellt, lautet: Wer ist Schweinsteiger? Präziser formuliert: Ist der gegenwärtige Schweinsteiger schon wieder der alte Schweinsteiger? Seit er sich im November 2011 die erste von zahlreichen Verletzungen zuzog, war das ja allgemein angezweifelt worden.

Und Schweinsteiger will das im Grunde auch nicht dementieren. Er habe immer noch Probleme, könne weiterhin nicht zu hundert Prozent trainieren. Aber er hat sich offenbar mit seinen Schmerzen arrangiert: "Es geht immer, dass man sich im Spiel davon löst und den Schweinehund überwindet", sagt er.

Der Schweinsteiger bekommt den Schweinehund auch dadurch in den Griff, dass er sich nicht scheut, das Spiel seiner körperlichen Verfassung anzupassen. "Es ist auch mal gut, sich mit dem Ball auszuruhen", räumt er ein. Und dann gibt er tatsächlich noch die Parole aus: "Die Wand muss stehen!" Das klingt sogar noch mutiger als ein Orga-Tipp an die Uefa. Das klingt gar blasphemisch im Kontrast zu Löws Bekenntnis zum Offensivfußball. Aber nur im ersten Moment.

Die Nationalelf ist zuletzt regelmäßig für ihren Sturm und Drang gelobt worden. Jetzt will sie auch mal für einen Titel gelobt werden. Löw ist da realistischer geworden. Und Schweinsteiger entpuppt sich mehr und mehr als sein Ober-Realo. Dem Vernehmen nach ist es ihm lieber, wenn die Experten über das strategische Defensivverhalten der gesamten Mannschaft jubeln als über seine beiden Torvorlagen. Offensichtlich ist dieser Bastian Schweinsteiger mit seinen 27 Jahren drauf und dran, sich das Ich abzugewöhnen. Er sagt: "Man merkt, dass man erfahrener wird."

© SZ vom 15.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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