Wintersport in Norwegen:Whiskey für den Skipper, Skier für den Berg

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In Segelbooten zum Skitouren an den Fjorden Nordnorwegens: Das ist ein Spaß für Hartgesottene, aber die Aussicht entschädigt für eisige Wetterstürze.

Thomas Becker

Weg ist er, der Fjord. Gerade eben war er noch da. Schiefertafelgrau, in Panoramagröße, links von der Aufstiegsspur, in unwirkliches "Herr-der-Ringe"-Licht getaucht. Alle paar Minuten ändern sich Szenerie, Beleuchtung, Wolkenformation. Alle paar Schritte neue Ausblicke, weitere Gletscher tauchen auf, der Nachbarfjord sagt "Guten Morgen", bald darauf der Nachbar vom Nachbarfjord. Und mit einem Mal sind sie alle weg.

Verschwunden in dieser finsteren Wolke, die sich dann doch noch auf den Weg gemacht hat. Im Gepäck hat sie jede Menge Wind und Niederschlag der unangenehmen Sorte, etwas zwischen Regen und Hagel, die berüchtigten Nadelstiche. Dick, der wortkarge Führer, sagt knapp: "Das ist die Hälfte." Er meint: schon die Hälfte des Aufstiegs. Doch wir denken: erst die Hälfte.

Skitourengehen in Norwegen ist vor allem dann ein besonderes Erlebnis, wenn man mit dem Segelboot unterwegs ist. Während wir höher und höher steigen, wird die Merengue, unsere schaukelnde Berghütte null Meter über dem Meer, kleiner und kleiner.

Ken, der Skipper, und Hermann, der Koch, haben sich auf dem Boot sicher nochmal in die Kojen gehauen und die Decke bis zur Nase gezogen - während uns der Eiswind um die Mützen pfeift und zwei Schneehasen ein paar Höhenmeter über uns leichtpfötig ins Nichts hoppeln.

Unser Ziel: der Trolltinden, 850 Meter über der 15-Familien-Siedlung Akkarvik, mit Ausblick auf Ullsfjorden und Lopphavet im Lofoten-Meer. Hier in den so genannten Lyngen-Alps nahe der Grenze zur Finnmark ist Norwegen fast zu Ende: Bis zum Nordkap sind es 120 Seemeilen, bis Spitzbergen 500, bis Island 1000 Seemeilen westwärts. Eine menschenleere Gegend. Nach vier Tagen auf See und Berg werden wir insgesamt sechs Leuten begegnet sein.

Es ist eng, und es schaukelt ständig

Manche Urlauber schwören auf Berge, andere brauchen nichts außer Meer, und die Nimmersatten können nicht mehr ohne beides. Skifahren und Segeln: kein Après-Hully-Gully, immer Schnee bei mildem Klima und Meerluft beim Skifahren - geht's gesünder? Andererseits: Es ist kein Luxus-Urlaub. Neun Männer auf einem 20-Meter-Boot: Da kann die Einrichtung aus Mahagoni, der im Esstisch versenkte Bierkühlschrank mit 132 Dosen prall gefüllt und der nächtliche Sternenblick aus der Koje noch so romantisch sein - es ist eng, und es schaukelt ständig.

Der wichtigste Mann ist der Skipper: Ken, ein Schwede, der aussieht wie ein alt gewordener Heiner Brand, Trainer der deutschen Handballnationalmannschaft, mit tätowierten Unterarmen und stets zu viel Whiskey im Blut. Jeder Gast muss eine Flasche des in Norwegen sündteuren Gesöffs mitbringen, das ist so bei Kens Touren.

Doch wir haben außer Whiskey und Skiern erst mal gar nichts mit an Bord gebracht. Wir haben nämlich nichts. Das Gepäck: irgendwo zwischen München und Tromsö. "Macht nichts", knurrt Ken, "dann müssen sie es uns halt hinterherbringen." Sprach's, schmeißt den Motor an und nimmt Kurs nach Norden, Richtung Lyngen-Alps.

Der erste Morgen nach durchschaukelter Nacht: ein Tick zu kitschig. Sonne glitzert, Gischt spritzt, Federwolken und feine Cirren am spektakulären Himmel, Rentiere auf den Anhöhen. In allen vier Himmelsrichtungen: mächtige leuchtende Gletscher, mehr als 1000 Meter hoch.

(Foto: SZ-Grafik: Melissa Wolf)

Sieben Knoten Fahrt macht die Merengue - wir haben es nicht eilig, die erste Skitour ist ja schon ausgefallen. Zum Glück ist es warm, wir stehen ohne Hightech-Ausrüstung an der Reeling. Ken packt ein paar Angeln aus: "Gibt prima Fisch hier." Und der beißt, als wolle er dringend in den Kochtopf: drei Dorsche in zehn Minuten, ohne Köder. So einfach kann es gehen.

Alte Geschichten bei viel Whiskey

Funkspruch für Ken. Das Gepäck ist da, in Tromsö. Das Taxi wird viele Stunden brauchen. Aber es kommt tatsächlich - etwa genauso überraschend wie der Besuch von Hans, dem Robbenfänger. Er und Ken kennen sich seit vielen Jahren, gelegentlich spült sie die See zusammen, und dann werden bei viel Whiskey die alten Geschichten erzählt.

Wie die von der Queen Mary.

Für 3600 Kreuzfahrer sollte Hans ein bisschen Robbenfleisch besorgen. Für ein Barbecue, nur so zum Probieren. 800 Kilo sollten es sein. So viel fängt er in einem ganzen Jahr. Und erzählen sollte er auf dem Luxus-Liner auch noch, von seinem blutigen Job, dem Robbenschlachten.

Was er an Robbenfleisch beschaffen konnte, haben sie dann mit dem Helikopter abgeholt. Über Fangquoten und Regulierungen beim Robbenfang spricht Ken nicht.

Beim stürmischen Aufstieg zum Trolltinden sind diese Geschichten weit weg. So weit wie der unsichtbare Gipfel, den man dann im Nebel eher unverhofft erreicht. Felle runter, Bindung zu, nichts wie raus aus der Sturm-Hölle, runter in die kuschligen Kojen der Merengue.

Die Abfahrt ist kein Spaß: keine Sicht, windgepresstes, schweres Geläuf. Keine Ahnung, wie Dick die Orientierung behält.

Doch genau so plötzlich wie sie kam, verschwindet die finstere Wolke wieder und der Blick auf Fjord samt Segelboot ist frei. Nun ist es nicht mehr weit bis zur warmen Suppe. Hermann hat die Dorsche verarbeitet. Besser kann Suppe nicht schmecken. Dann schmeißt Ken den Motor an und sagt: "Es hat hohe Wellen, legt euch flach hin, macht die Augen zu und geht mit." Damit der Dorsch drin bleibt.

Es geht nach Havnnes, einem Kaff mit 200 Einwohnern, ohne Pub, aber mit einer gewaltig nach Fisch riechenden Heilbutt-Fabrik. Den ersten Tausender werden wir knacken: den Kjelvagtinden, 1034 Meter über der Merengue. Einen Elch werden wir dabei vertreiben, jenseits des Fjords die Straße zum Nordkap brummen hören, am Ende zwischen Birken, Fichten und Wacholderbüschen in der dünnen Abfahrtsspur sehr dicke Beine bekommen und später beim Nickerchen im Boot, nach Rentiergulasch mit Kartoffeln und Preiselbeersaft, mit geschlossenen Augen, flachliegend, mitgehend, nochmal all die Bilder sehen, diese "Herr-der-Ringe"-Atmosphäre mit den irrealen, wie von Lasern gezauberten Lichtflecken auf den riesigen Gletschern.

Bis er plötzlich weg ist, der Fjord.

Informationen

Anreise: Hin- und Rückflug nach Tromsö mit Scandinavian Airlines ab 480 Euro, www.flysas.com

Segelboot: Die Merengue samt Skipper kann gebucht werden unter Tel.: 0046/70/3278746 oder 0047/986/21183

Bergführer: Dick Johansson ist zu erreichen unter Tel.: 0046/98040100 oder www.abiskomountainlodge.se

Anbieter für Skitouren mit Boot: www.arctic-destination.com, www.alpinschule-allgaeu.de; eine Woche samt Boot, Verpflegung und Führer kostet etwa 1500 Euro.

Beste Reisezeit: Anfang März bis Mitte Mai

© SZ vom 24.1.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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