Sicherheit im Urlaub:Alarmstufe Gelb

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Ein Satellitenbild mit VIIRS-Sensor von der NOAA/NASA zeigt die Erde (Archivbild). (Foto: HANDOUT/AFP)

Die Hurrikansaison hat begonnen. Ein Tübinger Unternehmen beobachtet die Stürme, andere Naturphänomene, Anschläge und politische Krisen weltweit - und informiert Urlauber. Wie funktioniert das?

Interview von Monika Maier-Albang

Egal ob Stürme, Vulkanausbrüche, Erdbeben oder ein Putsch - die Tübinger Firma A3M informiert Pauschalurlauber und Geschäftsreisende über Gefahren im Zielland. Was Zentraleuropa angeht, gibt Geschäftsführer Marcel Brandt Entwarnung.

SZ: Herr Brandt, Ihr Unternehmen wurde nach dem Tsunami in Südostasien 2004 gegründet. Damals starben an den Küsten von Sri Lanka bis Thailand geschätzt 230 000 Menschen. Wäre so eine Katastrophe heute vermeidbar?

Marcel Brandt: In diesem Ausmaß: ja. Es gab damals einfach keine Struktur, die es hätte verhindern können. Es gab Warnungen, aber die erreichten die Menschen nicht. Mittlerweile wurde im Indischen Ozean ein Warnsystem aufgebaut mit Sirenen, Fluchtwegen. Und die Kommunikation hat sich verändert: Wir haben heute die Möglichkeit, über SMS zu warnen.

Warum SMS? Das klingt veraltet.

Wir verschicken unsere Meldungen tatsächlich über SMS. Bei Whatsapp müssten unsere Kunden im Ausland Datenvolumen freischalten. Das ist teuer. Zudem kommt eine SMS mit dem geringen Datenvolumen am sichersten durch.

Marcel Brandts Firma sammelt Daten von verschiedenen Instituten. (Foto: N/A)

Woher bekommen Sie Ihre Daten?

Die Erdbebendaten von führenden Instituten, zum Beispiel Geofon in Potsdam oder USGS in den USA. Anhand dieser Daten haben wir einen eigenen Tsunamialgorithmus entwickelt, der es uns erlaubt, die Entstehung eines Tsunamis mit hoher Wahrscheinlichkeit vorauszusagen. Es bringt ja nichts, wenn man bei jedem Erdbeben eine Warnung verschickt, auch wenn davon gar keine Gefahr ausgeht. Die Menschen stumpfen dann ab und gehen im Ernstfall nicht vom Strand weg. Diese Warnung geht automatisch raus, aber es schauen immer noch Leute drauf.

Für einen drohenden Bürgerkrieg oder nach einem Anschlag gibt es keinen Automatismus.

Dafür haben wir unsere Redaktion, hauptsächlich Politikwissenschaftler. Wir beziehen die Informationen aus mehr als 500 Quellen, natürlich auch über Presseagenturen. Aber wir haben im Lauf der Jahre auch ein Netzwerk aufgebaut, das uns ermöglicht, die ganze Welt im Blick zu haben.

Jetzt im Juni beginnt auf der Nordhalbkugel die Saison der tropischen Wirbelstürme. Lassen sich die überhaupt exakt vorhersagen?

Wir haben hier zwei Quellen. Einmal das National Hurricane Center der USA, das zuständig ist für die Karibik, den Atlantik und den Ostpazifik. Und das JTWC, das Joint Typhoon Warning Center; es informiert über den Indischen Ozean und den Westpazifik. Beide Institute veröffentlichen zur Entwicklung der Stürme Bulletins, die alle sechs Stunden aktualisiert werden. Das sind Drei-Tages- und Fünf-Tages-Vorhersagen dazu, in welche Richtung der Sturm geht und mit welcher Geschwindigkeit. Solche Naturphänomene lassen sich mittlerweile relativ gut vorhersagen.

Das ist bei politischen Umwälzungen vermutlich schwieriger. Dass Simbabwes Diktator Robert Mugabe die Macht abgeben musste, hatten selbst Afrika experten nicht erwartet. Wie können Sie da einschätzen, ob für Ausländer in so einer Situation Gefahr droht?

Unsere Aufgabe ist nicht primär, eine Analyse vorzunehmen. Wir stellen die Lage dar. Und bieten generelle Informationen zum Reiseziel über unsere Länderdatenbank.

Solche Informationen bekommt man ja auch über die Website des Auswärtigen Amtes. Wobei hier auf politische Interessen Rücksicht genommen wird.

Das ist schon eine spezielle Sprache dort. Da geht es etwa um die Differenzierung zwischen Teilreisewarnung und Reisewarnung, juristische Begriffe, deren Nuancen nicht jedem Urlauber geläufig sein dürften. Wir machen das in simpler Sprache und geben dazu Reisetipps. Wie verhalte ich mich in Südafrika beim Autofahren, wie in Lateinamerika beim Geld abheben.

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Die Reiseveranstalter, mit denen Sie zusammenarbeiten, haben aber doch ein Interesse daran, dass nicht zu sehr vom Urlaub in dem Land abgeraten wird, das Sie anbieten. Sind Sie in dem, was Sie dem Urlauber sagen, wirklich frei?

Es gibt da keinen Druck. Gerade im Businessbereich wollen die Unternehmen vielmehr eine klare Ansage. Die tragen ja die Verantwortung für die Leute, die sie wegschicken. Viele Unternehmen hatten zum Beispiel nach dem Putschversuch in der Türkei erwogen, keine Mitarbeiter mehr dort hinzuschicken. Wir geben da zwar keine Empfehlung heraus, "könnt Ihr machen oder nicht", außer in Kriegsgebieten. Aber wir bewerten das Land auf einer Skala von eins bis fünf, grün bis rot. Da spielen verschiedene Faktoren eine Rolle, nicht nur die politische Situation, auch Kriminalität, Gesundheitsversorgung, Naturgefahren, Industriespionage. Die Türkei liegt in der Mitte, bei drei.

Welche Rolle spielen soziale Medien?

Die sind für uns eine Art Vorinformation. Nach den Anschlägen in Paris beispielsweise kamen die ersten Informationen über Twitter. Aber wir haben die offizielle Bestätigung abgewartet, dass es sich tatsächlich um einen Anschlag handelt.

Sonst verbreitet man Panik?

Genau. Natürlich muss man hier schnell informieren, weil es können ja weitere Anschläge folgen. Aber es muss eben auch richtig sein. Und wenn etwas korrigiert wird, bekommen unsere Nutzer natürlich auch sofort das Update als Email, Push-Nachricht, SMS. Wir gehen da auch verschiedene Kommunikationswege. Es ist ja besser, lieber doppelt und dreifach zu informieren, damit man wirklich alle Betroffenen erreicht.

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Wer sind Ihre Kunden?

Das sind bislang zum einen Firmen, die ihre Mitarbeiter ins Ausland schicken, egal ob für kurze Zeit als Geschäftsreisende oder als Expats für einen längeren Zeitraum. Zum anderen Pauschalurlauber. Wir sind ja Partner des Deutschen Reiseverbandes; alle großen Reiseunternehmen bekommen unsere Daten über das Global Monitoring System. Der Reiseveranstalter speist das dann in seinen Krisenstab ein und informiert gegebenenfalls seine Kunden. Was nicht immer einfach ist, denn die Deutschen geben ungern ihre Handydaten her. Hinzu kommt ein brancheninternes Problem: Auch die Reisebüros wehren sich oft dagegen, Nummern weiterzugeben. Weil sie fürchten, dass der Reiseveranstalter dann direkt auf die Kunden zugeht.

Komme ich auch als Individualurlauber an die Daten?

Seit Kurzem, ja. Dafür haben wir Anfang des Jahres die App Global Monitoring auf den Markt gebracht. Da sind die ersten vier Wochen kostenfrei, anschließend werden Gebühren erhoben.

Was interessiert Geschäftsreisende am meisten?

Wenn irgendwo ein Streik ansteht. Die wollen vor allem wissen: Komm ich zu meinem Termin - oder nicht. Wir informieren auch über Jahrestage, Wahlen, anstehende Demonstrationen, alles, was die Reise beeinträchtigen könnte.

Da Sie ja den Überblick haben: Wie viele Terroranschläge gab es im vergangenen Jahr weltweit? Wie ist die Tendenz?

Wir erfassen Ereignisse mit terroristischem Hintergrund; terroristische Anschläge sind hier inbegriffen. In den vergangenen zwölf Monaten haben wir 1167 solcher Ereignisse aufgenommen. In den zwölf Monaten zuvor lag die Anzahl noch bei 1405. Somit haben wir einen Rückgang der terroristischen Ereignisse.

Ist Reisen tatsächlich gefährlicher geworden - oder ist das eher nur ein Gefühl?

Bei Naturphänomenen gibt es tatsächlich Veränderungen. Die tropischen Wirbelstürme nehmen zu - und sie werden immer stärker. Andererseits leben wir in Zentraleuropa seit Jahrzehnten sehr sicher. Daran haben auch die Anschläge nichts geändert. Und in Ländern wie Ägypten oder Tunesien hat es zwar einige medienwirksame Anschläge gegeben. Aber generell ist es dort genauso sicher oder unsicher wie bei uns.

© SZ vom 21.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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