"Also dahin würde ich zurzeit auf keinen Fall fahren." Keinen Satz fürchten Orte, die ihr Geld mit Urlaubern verdienen, mehr als diesen. Wenn Ziele nicht mehr wie Versprechen klingen, sondern an Anschläge, Unruhen, Erdbeben oder Epidemien erinnern, können Strände leer bleiben, Hotels und Restaurants bankrottgehen, Menschen ihre Arbeit verlieren. Islamistische Terroristen versuchen, ganze Gesellschaften mit diesem Szenario zu erpressen. Allerdings zeigt sich immer deutlicher: So einfach ist die Sache nicht.
Die vergangenen Jahre haben einigen Reisezielen zwar stark zugesetzt. In Ägypten etwa fielen die Touristenzahlen im Juli 2016 nach diversen Anschlägen im Vergleich zum Vorjahr um fast die Hälfte. Doch in Kooperation mit Behörden setzt die Reisebranche international verstärkt auf Sicherheitsmaßnahmen. Zufahrtskontrollen, Kameraüberwachung und Metalldetektoren in Hotels, bewaffnete Patrouillen an beliebten Plätzen und Stränden, Apps für den Krisenfall und digitale Monitoringsysteme für Veranstalter - derlei Methoden waren nicht nur auf der weltgrößten Reisemesse ITB im März das bestimmende Thema.
Touristen werden auch direkt angesprochen. Britische Anti-Terror-Behörden haben für diese Hochsaison ein Vier-Minuten-Video ins Netz gestellt, das konkrete Verhaltensregeln für den Notfall im Urlaubshotel gibt - nach dem Motto "run, hide, tell" (wegrennen, verstecken, Hilfe rufen). Es sind dramatische Szenen, die da völlig pragmatisch gezeigt werden. Man solle, so die Botschaft, eben auch auf unwahrscheinliche Schreckensszenarien vorbereitet sein, um im Ernstfall schnell reagieren zu können - anstatt aus Angst zuhause zu bleiben.
Den Balanceakt schaffen zwischen sichtbaren Vorsichtsmaßnahmen und betonter Gelassenheit: Das scheint das neue Mantra im Tourismus zu sein. Doch die Risikowahrnehmung Reisender ist sehr unterschiedlich. Zum Leidwesen der einen, zur Erleichterung der anderen.
Ägyptens Tourismusminister Yahya Rashed klagte vor einiger Zeit in einem Interview, man habe das Land sicher gemacht und sitze im selben Boot mit europäischen Anschlagszielen - und doch hätten in seinem Land Hunderte Hotels schließen müssen. Mittlerweile wird Ägypten ein Comeback attestiert, doch laut Branchendienst "Reise vor9" erleben aktuell immer noch die Hälfte der befragten deutschen Reisebüros das Thema Sicherheit in Beratungsgesprächen zu Ägypten als "wichtig" für ihre Kunden.
In Nizza wiederum, wo sich am 14. Juli der verheerende Anschlag am Nationalfeiertag zum ersten Mal jährt, wird vom "Moment der Wiedergeburt" gesprochen. Nach großen Gedenkveranstaltungen soll "ab dem 15. Juli das Leben komplett auf die Promenade des Anglais zurückkehren", hat der für Tourismus zuständige Lokalpolitiker Rudy Salles angekündigt. Auch Veranstaltungen werden dann wieder überall erlaubt sein. Was die Besucherzahlen betrifft: Nach der Attacke verzeichnete Nizza kurzfristig einen Rückgang um zehn Prozent. Mittlerweile ist das Niveau des starken Jahres 2015 schon wieder erreicht.
Andere Orte, die fast völlig vom Tourismus abhängen, sind mit länger anhaltender Wucht geschädigt worden. Als 2015 in Sousse Badeurlauber am Strand niedergeschossen wurden, war klar, hier hatten Touristen sterben sollen - nicht nur das betroffene Hotel blieb lange geschlossen. Zehntausende Tunesier haben während der vergangenen Jahre ihren Job verloren, das Land musste als Ziel um seinen Ruf kämpfen.
Eine mehrfach attackierte Weltstadt wie London versucht dagegen offensiv das alte Weltkriegsmotto "Keep calm and carry on" zu leben. Europa gewöhne sich soweit möglich an den Terror, das klang zuletzt immer öfter durch. Ob in Berlin, Stockholm, St. Petersburg oder Paris, das Leben und Reisen in den Metropolen geht weiter. Seit Einzeltäter immer öfter an unvorhersehbaren Orten zuschlugen, dürfte sich auch die öffentliche Wahrnehmung ändern. Wenn es "sowieso überall passieren kann", macht es wenig Sinn, als Reisender gezielt einzelne Städte oder Gegenden zu meiden. Und ohnehin wird der Abschreckungseffekt von Anschlägen und Krisen überschätzt, sagt Professor Martin Lohmann.