Papst Pius XII. und der Holocaust:Der große Zauderer

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Der Leisetreter: Papst Pius XII. 1942 im Gespräch mit Kriegsberichterstattern. (Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)

US-Publizist Mark Riebling erklärt Pius XII. zum Widerstandskämpfer gegen die Nazis - und ehrt einen CSU-Gründungsvater. War der "Stellvertreter"-Papst ein verkannter Held?

Rezension von Clemens Klünemann

In seiner vor knapp zehn Jahren erschienenen Studie "Papst & Teufel. Die Archive des Vatikan und das Dritte Reich" gab Hubert Wolf die - späte - kirchengeschichtliche Antwort auf Rolf Hochhuths Theaterstück "Der Stellvertreter" und den Vorwurf, Pius XII. habe zum Mord an den Juden geschwiegen: "Der Papst", so Wolf, "war zur politischen Neutralität verpflichtet. Deshalb konnte er nicht selbst den Bannstrahl gegen die Nationalsozialisten schleudern. Er musste - so sah es Pacelli 1941 wenigstens selbst - den offenen Kampf mit dem Teufel den Bischöfen überlassen."

Nicht nur die selbst auferlegte Verpflichtung zur Neutralität wird oft als Grund des päpstlichen Schweigens genannt, sondern auch die Sorge, dass eine deutliche Stellungnahme des Papstes zugunsten der bedrohten Juden deren Schicksal "nur noch schlimmer" gemacht hätte; so auch Mark Riebling in seinem jüngst erschienenen Buch "Die Spione des Papstes".

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Abgesehen von der Frage, wie es denn für die Juden noch schlimmer hätte werden können, bleibt indes auch hier ein Beweis dieser Hypothese aus: Natürlich gibt es das viel zitierte Beispiel des Hirtenbriefs der holländischen katholischen Bischöfe vom 20. Juli 1942, der nicht nur nichts bewirkt, sondern sogar die Verfolgungswut der Nazis angestachelt habe.

Riebling ist das Talent zur Dramaturgie nicht abzusprechen

Aber es gibt auch das Gegenbeispiel des Münsteraner Bischofs Clemens August Graf von Galen, dessen öffentliches Auftreten gegen die Ermordung behinderter Menschen durch die Nazis sehr wohl Wirkung zeigte, ebenso übrigens wie die eindeutige Verurteilung der Judenverfolgungen durch einige französische Bischöfe.

In "Die Spione des Papstes" zeichnet der amerikanische Publizist Mark Riebling das Bild eines Papstes, der nur schwer - unter anderem von Josef Müller, einem wichtigen Verbindungsmann zum deutschen Widerstand - davon abzuhalten gewesen sei, öffentlich gegen die Nationalsozialisten zu intervenieren.

Dieses Bild ist allerdings nicht ganz widerspruchsfrei: Einerseits heißt es, Pius' XII. Protest gegen den Tod "Hunderttausender Unschuldiger" in seiner Weihnachtsbotschaft 1942 sei den Diplomaten der Alliierten nicht weit genug gegangen, andererseits liest man ein paar Seiten später, die Alliierten hätten Pius gebeten, sich eben nicht für die Juden einzusetzen - und dies aus Angst, Stalin zu verärgern, denn Pius' Intervention hätte die Morde von Katyn ans Licht bringen können.

Hier gerät dem Autor einiges durcheinander, und dies liegt offenbar daran, dass er die Haltung des Papstes um jeden Preis - auch um den einer logischen Argumentation - als aller Ehren wert darstellen möchte.

Und er geht noch weiter: Der Untertitel (Der Vatikan im Kampf gegen Hitler) suggeriert gar, dass Pius XII. an der Spitze einer von Hitler und seinen Schergen gefürchteten Verschwörung gestanden habe.

Man kann Riebling das Talent zur Dramaturgie nicht absprechen: Alles scheint auf einen Höhepunkt zuzusteuern, und selbst die Ausflüge in die unter dem Pontifikat Pius' XII. begonnenen Ausgrabungen unter dem Petersdom oder die Exkurse zur verfolgten Urkirche und zur Strategie der Jesuiten im 17. Jahrhundert werden nicht einmal als retardierende Elemente wahrgenommen auf dem Weg zum final countdown: Aber anstelle des von Pius angeblich "orchestrierten" und mit höchstem pontifikal-moralischen Beistand gerechtfertigten Tyrannenmordes - steht die Rettung von Ochsensepp! Hinter diesem Spitznamen steckt eben jener Josef Müller, der heimliche Protagonist in Rieblings Buch, eine etwas windige Gestalt, die durch "Arisierungen" zu Wohlstand gekommen war und schließlich den Weg in Widerstandskreise um Admiral Canaris gefunden hatte.

So anrührend, ja spannend die Geschichte von Mut, Fall und Rettung dieses in der Tat interessanten Mannes ist, der nach dem Krieg zu den Gründungsvätern der CSU gehörte - sie verzerrt durch den apologetischen Grundton das ohnehin schillernde Bild Pius' XII.

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Zweifellos ist das Verdikt von Hochhuths fiktivem Jesuitenpater Riccardo unsinnig ("Ein Stellvertreter Christi, der das vor Augen hat und dennoch schweigt, aus Staatsräson, [...]ein solcher Papst ist ein Verbrecher."), aber es ist der historischen Erkenntnis wenig gedient, wenn Eugenio Pacelli nun stattdessen zum Helden stilisiert wird.

Als Papst war Pacelli vorsichtig, ja zaudernd - ganz anders übrigens als zu der Zeit, als er Kardinalstaatssekretär seines Vorgängers Pius' XI. war: Im Herbst 1938 hatte Pacelli in einem Brief an den italienischen Botschafter Pignatti mit Blick auf sogenannte Mischehen zwischen Katholiken und Juden von Ehen abgeraten, "welche die Gefahr kranken Nachwuchses eröffnen", und die Bereitschaft des Vatikans unterstrichen, "die staatlichen Behörden beim Erreichen dieses sehr löblichen Ziels der Verhinderung von Rassenmischung zu unterstützen."

Hier liegt wohl der Grund seines späteren Schweigens, den Saul Friedländer in seiner 2011 erneut erschienenen Studie von 1965 ("Pius XII. und das Dritte Reich") klar benannte: dass nämlich Pius XII. teilhatte "an einer religiösen und säkularen Kultur des Antisemitismus"; in dieser Haltung diente sich der spätere Papst in vorauseilendem Gehorsam dem Rassismus der italienischen Faschisten an.

Gleichzeitig passte er sich geschmeidig in das von ihm selbst perfektionierte diplomatische System des Vatikan ein: Alles was nicht unmittelbar die Belange der Kirche betraf, konnte unter Verweis auf eine scheinbar gebotene Neutralität dem Prinzip der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten eines Landes untergeordnet werden - mit dem Argument hatte Pacelli Pius XI. davon abgehalten, gegen das "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" von 1933 zu protestieren.

Dem Mann im Vatikan war der Erhalt seines Systems wichtiger als der Glaube

All dies bleibt in Mark Rieblings Buch allerdings ungesagt, ebenso wie man nichts zu der Frage erfährt, warum es der hier zum konsequenten Nazigegner und Visionär einer gerechten Nachkriegsordnung stilisierte Papst nach Kriegsende zuließ, dass sich so viele Kriegsverbrecher mit vatikanischer Hilfe der Justiz entziehen konnten.

Allerdings bietet Riebling dem Leser eine minutiöse und spannende Geschichte des deutschen Widerstands und der verschiedenen Attentatsversuche auf Hitler, einen interessanten Einblick in die moralischen Skrupel der "Tyrannenmörder" und ein beeindruckendes Porträt des Jesuitenpaters Alfred Delp, der - im Gegensatz zu Pius XII. - in der Tat einer der Köpfe des christlichen Widerstands war.

In Delps Frage "Wie stellen wir unsere Religion dar? Nur als System oder als Glut?", die Riebling seinem Buch als Motto voranstellt, spiegelt sich das ganze Dilemma eines Papstes, dem der Erhalt seines Systems wichtiger war als der Glaube, der sich - wenn er schon nicht Berge versetzen oder Tyrannen stürzen kann - zumindest an die Seite der Verfolgten stellt.

Mark Riebling: Die Spione des Papstes. Der Vatikan im Kampf gegen Hitler. Aus dem Englischen von Enrico Heinemann und Norbert Juraschitz. Piper-Verlag München 2017, 496 Seiten, 26 Euro. E-Book: 22,99 Euro.

Clemens Klünemann ist Honorarprofessor am Institut für Kulturmanagement der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg und lehrt über die Geschichte Westeuropas im 19. und 20. Jahrhundert.

© SZ vom 14.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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