Vor möglichen Koalitionsverhandlungen:Schmerzen der Sondierung

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SPD-Chef Sigmar Gabriel dürfte wissen: Eine Bürgerversicherung wird es mit der Union nicht geben, das Betreuungsgeld dürfte nicht komplett abgeschafft werden. (Foto: Getty Images)

Wie sieht die neue Bundesregierung aus? Viel spricht für eine große Koalition. Dann aber müssen sich die Sozialdemokraten mit einem unangenehmen Gedanken vertraut machen: Einige ihrer Lieblingsthemen werden sie vergessen, bei anderen Abstriche machen müssen.

Ein Kommentar von Susanne Höll

Wochen liegt die Bundestagswahl nun zurück. Noch immer ist offen, wer bereit ist, mit der Union über eine Koalition überhaupt nur zu verhandeln. Wenn es einigermaßen gut laufen sollte, wird man am kommenden Sonntag wissen, ob in nicht allzu ferner Zukunft mit einer neuen Bundesregierung zu rechnen ist. Aber die Dinge können sich auch durchaus noch länger hinziehen. Nicht umsonst versichern Protagonisten aller Seiten, in Bündnisgesprächen gehe Gründlichkeit vor Schnelligkeit.

Das ist zwar nicht gelogen, allerdings auch nur die halbe Wahrheit. SPD und Grüne, aber auch CDU und CSU brauchen Zeit, um zumindest einige der Positionen zu räumen, mit denen sie im Bundestagswahlkampf mehr oder weniger erfolgreich um Stimmen geworben haben.

Keine starken Spitzenleute

Die vier Parteien führen, wenn man so will, Befindlichkeitsdebatten. Allen voran Grüne und SPD, die am 22. September schlecht abgeschnitten haben, und deren Mitglieder verunsichert sind und auch verärgert. Selbst mit einem besseren Wahlergebnis hätten starke Parteiführungen Schwierigkeiten gehabt, ihre jeweilige Basis von einem Bündnis mit der Union zu überzeugen. Schließlich haben Rote und Grüne einen Anti-Kanzlerin-Wahlkampf geführt. Die Grünen erleben einen personellen Wandel, haben deshalb keine starken Spitzenleute. Bei der SPD ist die Lage anders - was für eine Neuauflage von Schwarz-Rot spricht.

Dann aber müssen sich die Sozialdemokraten mit einem unangenehmen Gedanken vertraut machen: Einige ihrer Lieblingsthemen werden sie vergessen, bei anderen Abstriche machen müssen. Eine Bürgerversicherung wird es mit der Union nicht geben, das Betreuungsgeld dürfte nicht komplett abgeschafft werden, ein Mindestlohn würde sicherlich kommen, aber vermutlich nicht ganz nach SPD-Vorstellungen. Das müssen die Parteimitglieder wissen, die schlussendlich über einen Koalitionsvertrag entscheiden.

Ihnen müsste auch jemand erklären, dass eine neue große Koalition für die SPD weder eine Schande noch schwere Bürde wäre. Am besten geeignet für die Überbringung der Botschaft wäre wohl Ex-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. Schließlich hatte er im Wahlkampf immer wieder versichert, er wolle Kanzlerin Angela Merkel nicht die Steigbügel halten. Nun gehört er zu denen, die erkennbar ernsthaft ein Bündnis mit der Union erkunden.

Aber auch die Unionsparteien müssen sich sortieren. Auch wenn es die Mitglieder von CDU und CSU nicht gern hören - eine einigermaßen anständige Bildungsfinanzierung ist ohne Steuererhöhungen nicht denkbar. Und das Schicksal Deutschlands entscheidet sich, anders als von CSU-Chef Horst Seehofer suggeriert, keineswegs an der Frage einer Auto-Maut.

Solche Befindlichkeiten müssten binnen eines Monats einigermaßen zu klären sein, auch wenn der Prozess bitter ist. Vielleicht lernen die Parteien aus dieser Erfahrung des Jahres 2013. Und widerstehen im nächsten Bundestagswahlkampf der Versuchung, die Konkurrenz zu verteufeln.

© SZ vom 14.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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