USA: Planspiele für Einmarsch in Libyen:Ratlose Weltmacht

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Die Rebellion gegen Gaddafis Regime wird zum Bürgerkrieg - wie kann der Westen den Aufständischen helfen? Die USA können und wollen sich keine neue Intervention in der islamischen Welt leisten. Eingreifen will Washington dennoch.

R. Klüver und Ch. Wernicke

Die Formel ist bekannt. Wann immer die Weltmacht ratlos ist und doch nach außen den Anschein erwecken will, sie sei zu allem entschlossen, rezitieren Amerikas Regierungen diese sechs Worte: "Alle Optionen bleiben auf dem Tisch." Dieser vagen Drohung hat sich am Wochenende auch Bill Daley, der Stabschef des Weißen Hauses, bedient, als er im Fernsehen nach Libyen gefragt wurde. Alles bleibt also möglich, aber entschieden ist nichts.

Gaddafi lässt bomben: In der Nähe der Ölstadt Ras Lanuf fliegt die Luftwaffe einen Angriff auf die Rebellen. Das Regime versucht, die Ölfelder zurückzuerobern. (Foto: REUTERS)

Daley weiß, dass Gefahr lauert für seinen Dienstherrn Barack Obama. In Washington mehren sich die Stimmen, die finden, Amerika könne nicht tatenlos wegsehen, wenn Wüstendiktator Muammar al-Gaddafi zigtausende Aufständische mit Panzergranaten, Bomben oder Maschinengewehrfeuer aus Kampfjets und Hubschraubern niederkartätscht.

"Wir dürfen nicht zulassen, dass Gaddafi sein Volk aus der Luft massakriert", schimpfte etwa John McCain, der republikanische Senator und Vietnam-Veteran. Und dessen demokratischer Kollege John Kerry, Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses im Senat und eigentlich ein treuer Vertrauter Obamas, wurde noch konkreter. Neben einer Flugverbotszone über den Landesteilen, die in den Händen der Rebellen seien, könne die US-Luftwaffe Libyens "Flughäfen und Startbahnen zerbomben, sodass sie eine Zeitlang unbrauchbar sind".

Obama spürt den Druck. Am Montag verschärfte er seine Sprache und verhieß Gaddafis Generälen und Günstlingen, sie würden "für jedwede Gewalt zur Rechenschaft gezogen". Der Präsident drohte, wie sein Stabschef, mit "einem breiten Sortiment von Optionen, einschließlich militärischer Optionen". Doch das sei nicht allein Sache Amerikas, sondern der Nato.

Statt Soldaten schickt Obama aber vorerst nur Geld: Er gab am Montag zusätzlich 15 Millionen US-Dollar frei, für humanitäre Hilfe. So schnell will das Weiße Haus also nicht schießen. "Eine Menge Leute gehen jetzt mit Begriffen wie No-Fly-Zone hausieren, als ob es sich dabei nur um ein Videospiel handelt", empörte sich Stabschef Daley bei NBC. Auch Robert Gates, der Verteidigungsminister, warnte vorige Woche vor interventionistischem Übereifer. Der Pentagon-Chef fürchtet, sein Land könne - nach Irak und Afghanistan - zu schnell in einen dritten Krieg mit einem islamischen Land schlittern.

Welche Optionen bei Gates und Obama "auf dem Tisch bleiben", das hat die New York Times am Montag ausgebreitet. Die einfachste Variante zur Durchsetzung eines Flugverbots wäre es, US-Flugzeuge über dem Mittelmeer (also in internationalem Luftraum) aufsteigen zu lassen, die dann mit elektronischem Störfeuer die Kommunikation und Steuerung libyscher Kampfjets beeinträchtigen könnten. Angeblich laufen die Vorbereitungen für diese erste, noch niedrige Interventionsstufe bereits.

Alle weiteren Schritte jedoch wären weitaus martialischer. Amerikas Air Force müsste mit Lenkbomben zunächst Libyens Radar und Boden-Luft-Raketen zerstören, um eigene Kontrollflugzeuge zu schützen. Dazu könnten US-Jets von US-Stützpunkten in Italien aufsteigen - oder auch senkrecht startende Kampfflugzeuge vom Typ Harrier, die sich derzeit Libyen auf dem Kriegsschiff USS Kearsarge nähern. Dieses sogenannte Amphibische Angriffsschiff mit etwa 1900 US-Soldaten an Bord bringt zudem Hubschrauber vom Typ Osprey in Reichweite von Tripolis, welche die libysche Opposition mit Lebensmitteln und Medikamenten wie auch mit Waffen beliefern könnten. Auch Spezialeinheiten der US-Marines könnte man so schnell in der Wüste absetzen, um im Falle eines abgeschossenen US-Jets den amerikanischen Piloten zu retten.

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Damit jedoch wären die USA dann nicht mehr länger nur Beobachter oder humanitäre Helfer, sondern Kriegspartei. Eine (unter Gates und Obama eher unwahrscheinliche) US-Option wäre es zudem, kleine Teams von hochtrainierten Spezialeinheiten im Land abzusetzen, die den libyschen Rebellen direkt im Kampf gegen Gaddafis Schergen beistehen könnten. Der Sprecher des Weißen Hauses, Jay Carney, betonte jedoch, die Entsendung von Bodentruppen stehe nicht oben auf der Liste der Überlegungen.

Ein graphischer Überblick über die Situation in Libyen und die Lage von US- und Nato-Marinestützpunkten im Mittelmeer. (Foto: SZ-Karte)

Das Weiße Haus will keinen amerikanischen Alleingang: Grundsätzlich hat sich das Weiße Haus mit Blick auf Libyen längst klar für den sogenannten regime change ausgesprochen, für den Sturz des Diktators. Diesen forderte Präsident Obama vergangene Woche unumwunden: "Oberst Gaddafi muss gehen." Ansonsten hat sich die US-Regierung entschlossen, deutlich vorsichtiger auf die "Erschütterungen" in der arabischen Welt, wie Obama es formulierte, zu reagieren. Sie drängt die Oppositionsbewegungen der Länder zu Geduld und zur Zusammenarbeit mit den herrschenden Regimes. Die wiederum mahnt sie zu Gewaltverzicht und Reformen. Ziel dieser neuen Strategie sei regime alteration, also ein sanfter Wandel, kein Umsturz.

In den vergangenen Wochen hatten Sicherheitsberater Tom Donilon und sein Stab die Demokratisierungsprozesse der vergangenen Jahre und Jahrzehnte in Indonesien, Serbien, den Philippinen, Polen und Chile studiert. Lehren daraus sind offenbar in die neue Strategie für die arabische Welt eingeflossen. So werden die USA auf schnelle und klare Zeichen für den Wandel drängen - etwa die Freilassung politischer Gefangener - und darauf, die Oppositionsbewegungen rasch in den Übergangsprozess einzubinden. Zudem werden sie einen Prozess in Stufen empfehlen, wobei die am ehesten realisierbaren Schritte am Anfang stehen sollen: etwa Präsidentschafts- vor Parlamentswahlen - und erst dann die Ausarbeitung einer neuen Verfassung.

© SZ vom 08.03.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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