US-Wahl:Obama hat die Sehnsucht nach Wandel verkannt

Seine letzten Wochen als US-Präsident werden von allgemeiner Wehmut begleitet. Doch Obama ist auch selbst schuld daran, dass Trump sein politisches Erbe zerstören kann.

Von Matthias Kolb, Washington

Niemand wird bestreiten, dass Barack Obama so beliebt ist wie seit langem nicht mehr. Auch wenn die Meinungsforscher mit ihren Wahlprognosen danebenlagen, bestehen an dieser Zahl wenig Zweifel: 57 Prozent der von Gallup befragten Amerikaner bescheinigen dem 44. US-Präsidenten, einen guten Job zu machen. Ein solchen Wert erreichte der Demokrat zuletzt im August 2009. Es herrscht also allgemein ein Gefühl des Abschiedsschmerzes, was in Deutschland, wo Obama heute zu Besuch ist, wohl jeder gut versteht.

64 Tage sitzt der 55-Jährige noch im Weißen Haus, und dass seine Beliebtheitswerte seit Monaten steigen, lag an seinen potenziellen Nachfolgern. Sowohl Donald Trump als auch Hillary Clinton sind extrem unbeliebt. Immer mehr US-Bürger realisieren, was sie verlieren werden, wenn Obama nach acht Jahren ohne Skandale abtritt. Wie Obama sich beim ersten Treffen im Weißen Haus bemühte, mit Trump ausgerechnet jenem Mann beim Start als Präsident zu helfen, der als oberster "Birther" die Rechtmäßigkeit seiner Präsidentschaft jahrelang anzweifelte, belegt seinen Patriotismus, sein Pflichtbewusstsein und seinen guten Stil.

Die letzten zwei Monate seiner Amtszeit hatte Obama anders geplant: Anstatt sich bei seiner letzten Auslandsreise bejubeln zu lassen und seiner engsten internationalen Partnerin Angela Merkel zu danken, versucht er nun, den Nato-Partnern (und dem Rest der Welt) die Angst vor Trump zu nehmen. Und über all den Abschiedsgalas und -auftritten, die es bis zum 20. Januar geben wird, schwebt die Gewissheit, dass der Republikaner Trump vieles von Obamas politischem Erbe zerstören wird.

Am Dienstag sendete die Rundfunkstation BET das Konzert "Love and Happiness. An Obama Celebration", das schon Ende Oktober im Weißen Haus aufgenommen worden war (Bericht bei jetzt.de). Die Stimmung war euphorisch, das Publikum rechnete mit einem Sieg von Hillary Clinton, die sich für ein tolerantes Amerika einsetzen wollte. "Es gibt eine Generation an Kindern, die damit aufgewachsen sind, dass der US-Präsident schwarz ist - in diesem Land und weltweit", hieß es da. Natürlich kann niemand Obama den historischen Verdienst nehmen, als erster afroamerikanischer Präsident vielen Generationen an Schwarzen, aber auch Latinos oder Asian Americans, das Gefühl zu geben, keine Bürger zweiter Klasse zu sein.

Wie sich Obama verzockt hat

Und doch gehört es auch zum US-Wahlkampf 2016, dass sich Obama verzockt hat. Ähnlich wie der Großteil der Medien hat er selbst unterschätzt, wie einzigartig seine Person, sein Charisma und seine Lebensgeschichte sind. Ob man es Hybris nennen will oder nicht (und ja, rückblickend ist jeder schlauer): Der 44. US-Präsident ist ein großes Risiko damit eingegangen, früh auf Clinton zu setzen und davon auszugehen, dass sich die Obama-Koalition aus Schwarzen, Latinos, Millennials sowie gut ausgebildeten Weißen einfach so in eine Hillary-Koalition verwandeln ließe.

Nach der desaströsen Kongresswahl 2014 ging es für Obama darum, sicherzustellen, dass ihm ein Demokrat oder eine Demokratin nachfolgt. Seine Ex-Außenministerin schien am aussichtsreichsten und so wurde monatelang dem Vizepräsidenten Joe Biden signalisiert (heute ein gefeierter Internet-Star), dass er ja nicht kandidieren sollte. "Herr Vizepräsident, es wäre eine Schande, wenn Ihre Karriere damit endet, dass Sie in Iowa im Hotel sitzen und hinter Bernie Sanders auf Platz drei gelandet sind", sagte Obamas Ex-Wahlkampfmanager David Plouffe schließlich in aller Deutlichkeit.

Am 21. Oktober 2015 war es so weit: Nachdem Biden Obama über seinen Entschluss informiert hatte, nicht zu kandidieren, setzte der US-Präsident sofort eine Pressekonferenz an, um seinem Vize zu danken - und sicherzustellen, dass "Uncle Joe" (er wuchs unter Arbeitern in Pennsylvania auf) nicht doch noch seine Meinung ändert. Während des Vorwahlkampfs blieb Obama offiziell neutral - und auch er und seine Berater erkannten nicht, welche große Anti-Establishment-Wut sich außerhalb Washingtons zusammengebraut hatte.

Dass Reporter Obamas Popularität unter jungen Amerikanern 2008 mit der Liebe der Millennials für Bernie Sanders im Jahr 2016 verglichen, störte den Präsidenten. Der Vergleich ist zwar nicht akkurat (Details hier), weil der "demokratische Sozialist" Sanders weniger Neuwähler anzog als Obama - aber die primaries zeigten doch überdeutlich, wie groß die Vorbehalte gegenüber Clinton waren, die stets als "Kandidatin des Präsidenten" galt.

Obama hat Trump und die Wut seiner Fans immer unterschätzt

Der große Erfolg von Sanders gerade in den mehrheitlich weißen Staaten des Rust Belt wie Wisconsin oder Michigan wurde auch von allen Polit-Gurus aus Obamas Umfeld ignoriert - egal ob sie für Clinton arbeiteten oder nicht. Gerade weil Obama mit modernster Technik und Big Data so erfolgreich war, wurden die Hinweise von Lokalpolitikern oder Gewerkschaftern ignoriert. Und dass viele Wähler seit Jahren auf Lohnerhöhungen warten und daher nur Obama-Fans jubeln bei dessen ständig wiederholter Aussage "Meine Bilanz ist super, weil die Arbeitslosigkeit sinkt und Millionen neue Jobs geschaffen wurden", wurde auch übersehen.

Es ist eine besondere Ironie: Ausgerechnet Obama, der acht Jahre zuvor mit einer Anti-Establishment-Botschaft Clinton besiegt und bei allem "hope and change" stets das verkrustete Washington angeprangert hatte, hat nicht erkannt, wie stark (und regelmäßig) sich die Amerikaner nach Wandel sehnen. Dass der rassistische Polit-Neuling Trump sein Erbe als "agent of change" werden könnte (und Millionen seiner Wähler überlaufen würden), das konnte (oder wollte) sich Obama nicht vorstellen. Wie viele Demokraten hat der Präsident den Politikneuling Trump nie ernst genommen und zahlt dafür einen hohen Preis.

Gewiss: Bei seinen "Hillary for America"-Auftritten wurde Obama weiterhin gefeiert, aber viele Besucher kamen wegen ihm und nicht, weil sie Clinton wirklich überzeugt hatte (mehr in dieser SZ.de-Reportage). Ältere Schwarze fühlten eine Verbindung zur ehemaligen First Lady, doch unter jungen Schwarzen erreichte ihre Popularität nur etwa 60 Prozent. Am Wahltag stimmten acht Prozent der Afroamerikaner unter 30 Jahre für die Grüne Jill Stein oder den Libertären Gary Johnson - laut Berechnungen des Demoskopen Cornell Belcher hätten diese Stimmen Clinton ins Weiße Haus gebracht.

Nun steht den Demokraten, deren inoffizieller Chef Obama acht Jahre lang war, ein langer und schmerzhafter Richtungsstreit bevor (mehr in diesem SZ-Text). Dabei wird (und muss) zur Sprache kommen, dass es sich die Partei viel zu bequem gemacht hat im Schatten des Polit-Superstars Obama.

Auch dies zeigte der Wahlkampf 2016: Für den scheidenden Präsidenten gilt das gleiche wie für Beyoncé, Jay-Z, Katy Perry, Bruce Springsteen, Jennifer Lopez oder Miley Cirus. Stars sorgen zwar für viele Medienberichte, aber mehr denn je ist zweifelhaft, dass sie ihren Kandidaten wirklich so viele zusätzliche Stimmen bringen wie erhofft.

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