Umgang mit der Türkei:Türkische Offiziere zwingen Berlin zu einer diplomatischen Gratwanderung

Attempted coup d'etat in Turkey

Szenen nach dem gescheiterten Putsch im Juli 2016: Die türkische Polizei verhaftet türkische Soldaten am Taksim-Platz.

(Foto: Sedat Suna/dpa)

Nach dem gescheiterten Putschversuch bitten zwei türkische Offiziere um Asyl in Deutschland. Sollte Ankara ihre Auslieferung verlangen, wird es für die Bundesregierung schwierig.

Von Lena Kampf, Georg Mascolo, Andreas Spinrath, Berlin

Die Maschine mit der Flugnummer AEE 430 aus dem griechischen Heraklion landete am 12. Mai pünktlich auf dem Frankfurter Flughafen. Statt an eines der Gates winkte der Lotse sie auf den Vorfeldplatz V163. Eine Kontrolle der Bundespolizei stand an. Oft sitzen in den Maschinen aus Griechenland Menschen, die in Deutschland Asyl suchen. Eine Gruppe von fünf Personen fiel schnell auf, vier Männer, erkennbar Militärangehörige, und eine Frau. Sie wiesen sich teilweise mit gefälschten türkischen Identitätskarten aus.

Die Gruppe wurde auf die Dienststelle der Bundespolizei am Frankfurter Flughafen gebracht, dort stellten sich die beiden älteren Männer als hochrangige Offiziere aus der Türkei vor. Der Oberst erklärte, seine Frau sitze in der Türkei in Haft und sei gefoltert worden. Nach Hause könne man nicht. Man beantrage Asyl in Deutschland.

Die Offiziere gehörten nach türkischen Angaben zum Führungspersonal der renommierten Militärakademie in Ankara. Der bekannteste Absolvent der Elite-Ausbildungsstätte ist Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk. Türkische Medien berichteten, dass Offiziere der Akademie zu den maßgeblichen Verschwörern vom 15. Juli zählen sollen. Sie sollen unter anderem junge Kadetten angestiftet haben, am Putschversuch teilzunehmen.

Die Nachricht verbreitete sich schnell in Berlin, und in der Regierung ist seither die Sorge groß, das ohnehin schon schwer beschädigte deutsch-türkische Verhältnis könne vor einer weiteren Belastungsprobe stehen. Dass türkische Diplomaten und Militärs in Deutschland um Schutz ersuchen, hatte Ankara anfangs ignoriert, nach ersten Berichten über die Antragstellungen blieb es ruhig.

"Wenn ihr wollt, schicken wir euch jeden Monat 15 000 Flüchtlinge"

Im Auswärtigen Amt machte sich vorsichtige Erleichterung breit. Denn Berlin versucht eine Gratwanderung: Einerseits harte Kritik an Ankara und Schutz für alle jene, denen Verfolgung droht. Andererseits aber will man das ohnehin angespannte Verhältnis nicht völlig in die Brüche gehen lassen. Auf dem Spiel stehen neben geostrategischen Interessen auch das Schicksal des inhaftierten Welt-Korrespondenten Deniz Yücel.

Ende Januar wurde bekannt, dass türkische Soldaten, die zuvor auf der Militärbasis in Ramstein stationiert waren, einen Asylantrag gestellt hatten. Der türkische Verteidigungsminister Fikri Işık forderte, dass Deutschland alle Asylanträge türkischer Offiziere ablehnen solle. Die Anerkennung von all diesen "Staatsfeinden", so sieht es die Erdoğan-Regierung, sei Verrat.

Die Warnungen in Richtung Deutschland verbinden türkische Politiker immer wieder mit der Überlegung, das Flüchtlingsabkommen mit der EU einseitig aufzukündigen. So drohte der türkische Innenminister im März: "Wenn ihr wollt, schicken wir euch jeden Monat 15 000 Flüchtlinge. Das wird euch umhauen!" Die Türkei belässt es nicht bei verbalem Protest: Deutschen Parlamentariern untersagte Ankara wiederholt den Zutritt zur Luftwaffenbasis Incirlik in der Südtürkei, wo etwa 260 Bundeswehrsoldaten stationiert sind.

Das könnte auch damit zu tun haben, dass sich Deutschland immer mehr zu einem Fluchtort entwickelt. Wie die Süddeutsche Zeitung berichtete, ergingen Anfang Mai erstmals positive Asylbescheide für ehemalige Nato-Soldaten aus der Türkei. Es ist davon auszugehen, dass in vielen weiteren Fällen ebenso entschieden wird.

Maßgeblich sind dabei die neuen Leitsätze des Auswärtigen Amts vom Februar, die von "Säuberungsmaßnahmen" seit dem Putschversuch sprechen. Außerdem sei bei politischen Verfahren die Unabhängigkeit der Justiz kaum gewährleistet. Der Fall der Offiziere aber unterscheidet sich in einem wesentlichen Detail: Die Anerkannten gelten eher als unzuverlässig denn als direkt in den Militärputsch verwickelt.

Die Bundesregierung will nicht den Eindruck erwecken, Putschisten zu decken

Türkische Medien berichten nun, die Ehefrau von einem der nun in Frankfurt eingetroffenen Offiziere habe ihren Mann schwer belastet. Sie habe ausgesagt, dass sie sich über Vermittlung der Gülen-Bewegung kennengelernt hätten. Ihr Ehemann habe sich am Tag des Putsches mit zwei ihr unbekannten Personen getroffen, er sei sehr nervös gewesen. Am nächsten Morgen habe er sie um Verzeihung gebeten, sein Auftrag sei von höchster Stelle gekommen: von Fethullah Gülen persönlich. Es ist nicht bekannt, unter welchen Umständen das Geständnis der Frau abgelegt wurde. Die Juristin war wenige Wochen nach dem Putsch verhaftet worden.

Das Bundesinnenministerium wollte sich mit Verweis auf den Datenschutz nicht zu den Fällen äußern. Sollte Ankara jedoch einen Auslieferungsantrag stellen, wird es für die Bundesregierung schwierig.

Unter keinen Umständen soll der Eindruck entstehen, dass man mutmaßliche Putschisten deckt - schließlich ist die Türkei trotz aller Kritik ein Nato-Staat. Ein Militärputsch bleibt ein Militärputsch. Andererseits müsste Berlin bei einer Auslieferung sicherstellen, dass die Männer ein faires Verfahren erwartet.

Noch am Abend des gewonnenen Verfassungsreferendums hatte Erdoğan angekündigt, bald auch über die Wiedereinführung der Todesstrafe abstimmen zu lassen. Eine Auslieferung der verdächtigen Offiziere in die Türkei wäre unter diesen Vorzeichen wohl nicht mehr möglich.

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