Tiere im Ersten Weltkrieg:Wie Front-Hund Stubby zum Helden wurde

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Einsatz im Ersten Weltkrieg: Ein Meldehund überspringt einen Schützengraben. (Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Pferde ziehen Kanonen, Hunde wittern Giftgas, Tauben überbringen Meldungen zwischen Schützengräben: Im Ersten Weltkrieg setzen die Armeen Millionen Tiere ein. Manche von ihnen werden als Helden geehrt - doch unzählige krepieren an der Front.

Von Isabel Stettin

Sein Markenzeichen ist ein goldbestickter Mantel mit seinem Namen: Stubby. Der Sergeant kämpft sich während des Ersten Weltkriegs über Schlachtfelder, übermittelt Nachrichten, sucht während Feuergefechten nach Verletzten, hilft bei der Ergreifung eines deutschen Spions und warnt immer wieder vor Gasangriffen.

Er erhält Auszeichnungen für seine Verdienste um das Vaterland und bleibt bis zu seinem Tod Mitglied der amerikanischen Legion. Zu Kriegsende trifft der Sergeant den damaligen US-Präsidenten Woodrow Wilson. Der soll dem Helden die Pfote geschüttelt haben. Pitbull-Terrier Stubby ist der höchstdekorierte Hund des Ersten Weltkriegs, so das National Museum of American History in Washington.

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In Westeuropa leisten Pferde und Hunde Kriegsdienst, das osmanische Reich schickt Kamele ins Kampfgebiet. Aber auch an der deutschen Heimatfront kommt im Ersten Weltkrieg ein Exot zum Einsatz.

Mehrere Millionen Tiere werden im Ersten Weltkrieg eingesetzt. Sie sind auf den Schlachtfeldern oft unverzichtbare Helfer. Vor allem Pferde, Hunde und Brieftauben sind für die Armeen im Einsatz. An der Front im arabischen Raum werden aber auch Wasserbüffel oder Kamele zum Militärdienst herangezogen. In Afrika reiten Kämpfer auf Ochsen. Und in Berlin bugsiert ein Elefant aus dem Zoo Material durch die Stadt. Selbst Glühwürmchen "dienen" im Krieg, wie CNN berichtet - als Lichtquelle bei der nächtlichen Lektüre der Feldpost oder dem Entziffern von Karten.

"Die Motorisierung war 1914 noch lange nicht etabliert. Die zivile Nutzung von Tieren war darum in allen Lebensbereichen völlig üblich", sagt Militärhistoriker Rainer Pöppinghege von der Uni Paderborn, Autor mehrerer Bücher zum Thema (sein neuestes Werk "Tiere im Ersten Weltkrieg. Eine Kulturgeschichte" erscheint im August 2014).

Kriegsdienst auf Kamelen: Beduinen in der Sinai-Wüste, die als Kundschafter bei den englischen Truppen tätig waren (Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Pöppinghege sagt, dass Tiere selten zuvor und auch nicht mehr danach eine "so wichtige, logistische Rolle gespielt" hätten - bei gleichzeitiger Weiterentwicklung neuer Techniken. "Das Einzigartige am Ersten Weltkrieg ist die völlige Ausnutzung beider Sphären: der exzessive Einsatz von Tieren auf der einen und die steigende Motorisierung sowie der massive Einsatz von immer mehr technischen Mitteln auf der anderen Seite", sagt Pöppinghege.

Kriegstraining für Tiere

Die komplementäre Verwendung von Tieren und Technik zeigt sich deutlich beim Einsatz von Pferden. Diese kamen im Krieg nicht nur in der Kavallerie zum Einsatz, sondern wurden vor allem auch als Transport- und Zugtiere benötigt. "Die Eisenbahnwege waren relativ neu. Gerade für die letzten zwanzig Kilometer waren sie zum Ziehen der Artillerie-Wagen unersetzlich", sagt Pöppinghege. "Ohne Pferde wäre dieser Krieg gewiss anders verlaufen." Auf den Kriegseinsatz von Pferden sind die Staaten übrigens gut vorbereitet: So gibt es zum Beispiel in Deutschland schon zu Friedenszeiten im 19. Jahrhundert jährliche Musterungen kriegstauglicher Rösser - ähnlich wie bei jungen Männern.

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Auch Hunde sind in großer Zahl an der Front. Wegen des steigenden Bedarfs werden sie vielfach von Privatpersonen rekrutiert. In England wählen Tierschutzvereine taugliche Tiere aus. Sehr gute Augen, Ohren und eine hervorragende Witterung sind ebenso wie Gehorsam und Robustheit Grundvoraussetzungen für den Kriegsdienst. In "Kriegshundekursen" werden die Tiere zudem für ihren Einsatz ausgebildet. "Einige Wochen wurden darauf verwendet, die Hunde fit und schusssicher zu machen", sagt Pöppinghege.

Denn die Belastungen im Kriegsdienst sind groß. Meldehunde müssen zwischen den Gräben kilometerlange Wege zurücklegen - bei Unwetter, im Schlamm und unter Granatbeschuss. Die Tiere müssen auch in der Lage sein, als Zugtiere kleinere Karren zu ziehen. Wo Pferde nicht mehr weiterkommen, transportieren Hunde Munition in die Schützengräben und verlegen mit auf dem Rücken festgeschnallten Kabeltrommeln Feldtelefonleitungen.

Fernab der Kämpfe schützen Wachhunde militärische Gebäude und Versorgungswagen oder Soldaten. Sanitätshunde tragen Erste-Hilfe-Material. Und sie schlagen an, wenn sie einen Verwundeten finden - für viele verletzte Soldaten sind die Vierbeiner Lebensretter.

Auch bei der Bergung von Toten unterstützen Hunde die Soldaten - und sind dabei selbst Todesgefahr ausgesetzt. Gasangriffe stellen auch für die Tiere an der Front ein Risiko dar. Die wertvollen Meldehunde und Pferde bekommen darum provisorisch auch Gasmasken über die Köpfe gezogen.

Auch in der Luft setzen die Militärs auf tierische Unterstützung. "Allein auf deutscher Seite wurden 1914 bis 1918 schätzungsweise 120 000 Brieftauben benutzt", sagt Pöppinghege. Die Vögel überbringen Nachrichten, informieren über die feindlichen Stellungen, mit angebrachten Fotoapparaten liefern sie Luftbilder - wenn sie nicht zuvor von den Gegnern erwischt werden. Die empfindlichen Tiere schlagen zudem Alarm bei Gasangriffen. Den Bedarf decken Züchter. Wie ernst der Einsatz der Tauben genommen wird, zeigt sich auch daran, dass der deutsche Kaiser Wilhelm II. die Schirmherrschaft für den Verband Deutscher Brieftauben-Liebhaber-Vereine (VDBLV) übernimmt.

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Einige Vögel werden zu ausgezeichneten Kriegshelden - so die im US-Dienst fliegende Taube "Cher Ami". Am 4. Oktober 1918 wird sie während des Gefechts vor Verdun von Kugeln getroffen. Doch trotz der Verwundung überbringt sie dem amerikanischen Lager ihre Nachricht: "Unsere eigene Artillerie hat uns unter Beschuss. Um Himmels Willen, hört damit auf!" 194 amerikanischen Soldaten rettet das Federvieh so das Leben. Von den Franzosen erhält die Brieftaube dafür den Militärorden "Croix de Guerre". Auch diese "Heldengeschichte" beschreibt das American Museum of American History.

Die Taube Cher Ami und der Hund Stubby sind zwei von etwa 120 000 Tieren, die für ihre Verdienste im Ersten Weltkrieg ausgezeichnet wurden - allerdings nicht überall gleichermaßen. "In Deutschland wurden die Tiere in der Regel nicht derart als Helden verehrt. Tapferkeitsmedaillen wurden eher von den Alliierten vergeben", sagt Pöppinghege. Das lasse sich wohl mit einem "insgesamt anderen Verhältnis zu Tieren erklären", vermutet er. "Die Tierschutzbewegung entstand vor allem in Großbritannien. In Deutschland hat sich das erst später entwickelt. Die Heroisierung beschränkte sich hier vor allem auf Menschen."

Gemarterte Kreaturen

Für einen großen Teil der Kriegs-Tiere steht am Ende ihres Einsatzes ohnehin nicht die Auszeichnung, sondern der Tod. Zahllose Tiere verenden an Schusswunden, Infektionen, Seuchen. Auch in die Literatur hat ihr Leiden Einzug gefunden. "Ich habe noch nie Pferde Stöhnen gehört. Es ist der Jammer der Welt, es ist die gemarterte Kreatur, ein wilder, grauenvoller Schmerz, der da stöhnt", lässt Erich Maria Remarque in seinem Weltkriegs-Buch "Im Westen nichts Neues" den Bauern Detering denken.

Blick auf eine Straße in Lille nach der Eroberung durch deutsche Truppen im Ersten Weltkrieg. Sie ist übersäht von toten Pferden. (Foto: Sueddeutsche Zeitung Photo)

Die Zahl der verwundeten Tiere geht in die Millionen. So werden beispielsweise allein auf deutscher Seite mehr als 1,25 Millionen Pferde in den eigens eingerichteten Lazaretten behandelt, schreibt Wilfried Brühann in "Das öffentliche Veterinärwesen". Die Notwendigkeit und das Ausmaß tierärztlicher Versorgung wird erst im Verlauf des Krieges deutlich. "Das Veterinärwesen war zu Kriegsbeginn überhaupt nicht darauf eingestellt und wurde aus dem Boden gestampft", so Hans Fontaine in seinem Buch "Das Deutsche Heeresveterinärwesen", das als Standardwerk zum Thema gilt.

Kaiser und Armeeführung waren im Sommer 1914 siegesgewiss, sie rechnen "mit einer Kriegsdauer von höchstens einigen Monaten" und glauben, "für diesen Zeitraum genügend Pferde- und Viehersatz" zu haben - ein Irrtum.

Die hohen Ausfälle unter den Viehbeständen zwingen das preußische Kriegsministerium zum starken Ausbau des Heeresveterinärwesen. Von den etwa 7200 Tierärzten in Deutschland kümmern sich Fontaine zufolge mehr als 5300 um im Kriegsdienst verwundete Tiere.

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Bald nach Kriegsbeginn 1914 erstarrte die Westfront. Von der Kanalküste bis zur Schweizer Grenze gruben sich die Deutschen ein, ebenso Franzosen, Briten und deren Verbündete auf der anderen Seite. Was folgte, war ein Novum: Der Einsatz von Giftgas, Panzern und Artillerie tötete Hunderttausende.

Vielen Pferden, Hunden oder Tauben können jedoch auch die Veterinärmediziner nicht mehr helfen. Die Todesursachen der Tiere im Militäreinsatz sind oft mit denen der Soldaten identisch. Sie werden von Granaten zerfetzt, krepieren bei Gasangriffen oder sterben vor Erschöpfung. Manche Kriegstiere enden im Magen ausgehungerter Soldaten.

Wie viele Tiere im Ersten Weltkrieg ums Leben gekommen sind, ist ungewiss. Allein auf Seiten der Alliierten sollen im Ersten Weltkrieg acht Millionen Transporttiere gestorben sein.

"Das sage ich euch, es ist die allergrößte Gemeinheit, dass Tiere im Krieg sind", stellt Bauer Detering in Remarques großem Weltkriegsroman fest. Am Londoner Hyde Park erinnert seit einem Jahrzehnt ein Denkmal an diese Opfer des Kriegs. Das "Animals in War Memorial" ist allen Tieren gewidmet, die unter britischem Kommando dienten, verletzt oder getötet wurden. "They had no choice", steht auf dem Monument geschrieben: "Sie hatten keine Wahl."

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