Spionagering in den USA enttarnt:Liebesgrüße nach Moskau

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Die Anklage liest sich wie ein Drehbuch für einen Agentenfilm aus dem Kalten Krieg: US-Ermittler haben elf Spione festgenommen, die für Russland vertrauliche Informationen gesammelt haben sollen. Moskau gerät in die Defensive - und wehrt sich.

Sogar Hollywood hat es verstanden. Der US-Agent aus dem neuen Jahrtausend jagt islamistische Terroristen, größenwahnsinnige Unternehmer und deckt Verschwörungen in den eigenen Reihen auf. Der Kalte Krieg ist vorbei, der KGB eine Fußnote der Geschichte, der Russe hat als Feindbild ausgedient. Undercover-Agenten, die mit chiffrierten Botschaften kommunizieren und heimlich Geldkoffer austauschen, um Informationen für Moskau zu sammeln: Das würde heute kein Kinobesucher mehr ernst nehmen.

Schlag gegen russisches Agentennetz: US-Ermittler haben zehn Spione festgenommen, die für Russland vertrauliche Informationen gesammelt und Kontakte zur politischen Führung hergestellt haben sollen. (Foto: ap)

Vermutlich auch James L. Cott nicht. Zumindest bis zum 25. Juni 2010. An diesem Tag setzt Cott, Richter in New York, seine krakelige Unterschrift an das Ende eines Dokuments, das ihn eines Besseren belehrt.

Auf 37 Seiten hat die Staatsanwaltschaft die Erkenntnisse über das Treiben von acht Männern und Frauen zusammengefasst, die die Bundespolizei FBI nach eigenen Angaben mehr als zehn Jahre lang überwacht hat. Die Wohnungen und Hotelzimmer der Verdächtigen wurden abgehört, ihre Anrufe mitgeschnitten und ihre E-Mails gelesen.

Die mutmaßlichen Agenten lebten teilweise als Ehepaar mit Kindern brav in Städten und Vorstädten, sie passten sich dem amerikanischen Glück der Suburbia perfekt an. Sie hatten normale Jobs und Universitätsabschlüsse. Sie waren "Mister und Misses Jones", nichts erinnerte an die geheime Liebe zu Russland.

Die Anklage lautet auf "Verschwörung als unregistrierte Agenten einer ausländischen Regierung" und auf "Verschwörung zur Geldwäsche". Eine zweite, 18 Seite lange Anklage, richtet sich gegen zwei weitere Verschwörer.

In beiden Schriftstücken finden sich alle Zutaten für ein ordentliches Agentenfilm-Drehbuch aus Zeiten des Kalten Krieges - von chiffrierten Botschaften über Spione, die unter falschen Namen ohne offiziellen Auftrag agieren bis hin zum Austausch von orangefarbenen Geldtaschen an einem entlegenen Bahnhof im New Yorker Stadtteil Queens. James Bond hätte seine Freude daran.

Eine dechiffrierte Botschaft aus Moskau soll den Auftrag des Spionagenetzes auf den Punkt bringen: "Sie wurden für einen langfristigen Einsatz in die USA geschickt. Ihre Ausbildung, ihre Bankkonten, ihr Auto, Haus und so weiter - all das dient nur einem Ziel: Ihr Hauptaufgabe zu erfüllen, das heißt Verbindungen in politische Kreise zu suchen und zu entwickeln und Informationen zu übermitteln".

Die Anklageschrift des Federal District Courts in Manhattan legt nahe: Das Agentennetzwerk stand im ständigen Kontakt mit den russischen Kollegen. Zum Beispiel Anna C.. Sie sitzt am 20. Januar in einem Coffee Shop in Manhattan, unweit des Times Square. Zehn Minuten später fährt ein Kleinbus vor und hält auf Höhe des Cafés. In dem Bus soll ein Offizieller der russischen Regierung sitzen. Daten werden über ein speziell entwickeltes, kabelloses Netzwerk zwischen ihren Laptops miteinander ausgetauscht. Verschlüsselt natürlich.

Genaue Angaben zu den Inhalten der Spionage fehlen. Eine Geheimbotschaft an Russland drehte sich offenbar um einen Wechsel in der Führung des US-Geheimdienstes CIA und um den amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf 2008. Zu diesem Zweck sollen private Gespräche mit einem Berater des Kongresses geführt worden sein.

Die Spione sollen ihre Informationen mit ihren russischen Kontaktpersonen mittels verschlüsselter drahtloser Nahbereichsverbindungen zwischen Laptops ausgetauscht haben. Den Akten zufolge trafen sich am Samstag zwei verdeckt arbeitende Agenten der US-Bundespolizei FBI in New York und Washington mit zwei Verdächtigen und gaben sich als russische Geheimdienstmitarbeiter aus.

Kurze Zeit später haben die Fahnder in den US-Staaten New Jersey, New York, Massachusetts und Virginia zugeschlagen - und die zehn Männer und Frauen festgenommen. Ein elfter mutmaßlicher Mitverschwörer wurde am Dienstag auf Zypern gefasst. Auf dem Flughafen von Larnaka überraschte die Polizei den 54-jährigen Kanadier. Er wollte gerade ein Flugzeug nach Budapest besteigen. Dennoch befindet sich der Mann derzeit noch auf freiem Fuß, er hinterließ eine Kaution und seinen Pass bei der Polizei.

Die Enttarnung des Spionagerings könnte nun die Beziehungen zwischen Moskau und Washington belasten. Erst am Donnerstag waren im Weißen Haus US-Präsident Barack Obama und sein russischer Kollege Dmitrij Medwedjew zusammengetroffen und vereinbarten eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit sowie eine stärkere Kooperation der Geheimdienste im Kampf gegen den Terror. Obama hatte den Kremlchef dabei als "Freund und Partner" bezeichnet. Medwedjew sei "solide und verlässlich".

Das russisch Außenministerium reagiert umgehend. Außenminister Sergej Lawrow sagte, er erwarte eine Erklärung. Ein Sprecher des Ministeriums wurde wenig später konkreter. "Der von der US-Justiz erhobene Vorwurf ist unbegründet und verfolgt keine guten Ziele", sagte Andrej Nesterenko nach Angaben der Agentur Interfax.

Das Szenario ähnele "Spionage-Skandalen aus dem Kalten Krieg", kritisierte der Sprecher. "Es ist bedauerlich, dass all dies vor dem Hintergrund des Neuanfangs mit Russland geschieht, der von der US-Regierung verkündet wurde."

Deutlicher wird der frühere Chef des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB: Die Vorwürfe aus den USA seien eine "Lachnummer", zitiert die Agentur Interfax den Ex-FSB- Chef Nikolai Kowaljow. Die Geschichte rufe bei jedem professionellen Geheimdienstler nur Gelächter hervor. Dass insgesamt zehn oder elf "Illegale", wie Spione in russischer Geheimdienstsprache heißen, zusammengearbeitet haben sollen, sei "absoluter Blödsinn". "Ein Illegaler kontaktiert immer nur einen anderen Menschen - das ist die goldene Regel eines jeden Geheimdienstes auf der Welt", sagte Kowaljow. Die Anschuldigungen aus den USA würden sich wie ein "billiger Kriminalroman deutlich unter dem Niveau von Agatha Christie" lesen.

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