Schottland nach Brexit-Votum:Darum ist Sturgeons Mission in Brüssel so heikel

Schottland nach Brexit-Votum: Nicola Sturgeon und Martin Schulz: Treffen mit nur symbolischem Wert.

Nicola Sturgeon und Martin Schulz: Treffen mit nur symbolischem Wert.

(Foto: AP)

Die Schotten wollen unbedingt in der EU bleiben. Die Regierungschefin sucht deshalb Verbündete. Doch viele Türen in Brüssel bleiben ihr verschlossen.

Von Sebastian Gierke

Ein Treffen? In der aktuellen Situation? Donald Tusk findet das "nicht angemessen". Brüsk hat der EU-Ratspräsident die schottische Regierungschefin abgewiesen. Für Nicola Sturgeon ein deutlicher Rückschlag.

Die Chefin der Schottischen Nationalpartei (SNP) muss erfahren, dass Besuch aus Schottland in Brüssel gerade nicht überall gern gesehen wird. Immerhin: Europaparlamentspräsident Martin Schulz (SPD) hat Sturgeon empfangen. Und Jean-Claude Juncker wird sie am Nachmittag treffen - nachdem es am Vortag noch hieß, der EU-Kommissionspräsident sei zu beschäftigt.

Über das Treffen mit Schulz ist bislang wenig nach außen gedrungen. Sturgeon habe beschrieben, in welcher Situation Schottland sich befinde und wie die Atmosphäre dort sei, teilte ein Schulz-Sprecher mit. "Es war ein Treffen, um uns zu informieren." Konkreter ging er auf die Gesprächsinhalte nicht ein.

Nur ein kleiner symbolischer Erfolg also im jetzt beginnenden Kampf der Schotten, die trotz des Brexit-Referendums unbedingt in der EU bleiben wollen. Schulz hatte bereits vorher die Erwartungen gedämpft. Er werde Sturgeon willkommen heißen und ihr dann zuhören. Mehr nicht.

62 Prozent der Schotten hatten für einen Verbleib des Vereinigten Königreichs in der EU gestimmt. Keinen einzigen der 32 schottischen Bezirke konnte das Brexit-Lager gewinnen. Das Ergebnis war so deutlich, dass Sturgeon sofort im Anschluss an die Auszählung ihre Mitarbeiter beauftragt hatte, ein zweites Unabhängigkeitsreferendum vorzubereiten.

Vor zwei Jahren hatten die Schotten mit 55 Prozent gegen den Austritt aus Großbritannien votiert. Sturgeon erklärte damals, das Ergebnis würde "eine Generation" bestehen. Nach dem Brexit-Referendum argumentiert sie, die Schotten seien nicht richtig informiert worden. Die Tory-Regierung unter David Cameron hatte vor zwei Jahren behauptet, die EU-Mitgliedschaft sei für Schottland nur in der britischen Union gewährleistet. Eine Schimäre, wie sich jetzt herausstellt.

"Entschlossen, in der EU zu bleiben"

Deshalb erteilte das schottische Parlament, das von Sturgeons SNP dominiert wird, der Regierungschefin bei einer Dringlichkeitssitzung am Dienstag das Mandat zu direkten Verhandlungen mit den EU-Institutionen. Und schon am nächsten Tag bestieg sie ein Flugzeug nach Brüssel. Dort findet gerade der EU-Gipfel statt, der sich vor allem mit den Folgen des Brexit-Votums befasst.

"Schottland ist entschlossen, in der Europäischen Union zu bleiben", erklärte Sturgeon in Brüssel. Zuvor hatte sie immer wieder betont: Sollte sich eine Unabhängigkeit Schottlands als geeignetster Weg dazu erweisen, wolle sie dem Parlament in Edinburgh einen entsprechenden Vorschlag unterbreiten.

Hoheit über außenpolitische Belange liegt in London

Der scheidende britische Premierminister David Cameron schließt ein neues Referendum in Schottland jedoch aus. Das Parlament in Westminster müsste grünes Licht für eine zweite Volksbefragung geben - die Hoheit über außenpolitische Belange liegt in London.

Vor allem deshalb ist Sturgeons Mission diplomatisch so heikel: Der Versuch, in direkten Dialog mit Brüssel zu treten, ist gleichzeitig der Versuch, London zu umgehen. Ihr Sprecher hat ausdrücklich bestätigt, dass kein Vertreter der britischen Regierung bei den Treffen dabei sein wird. Die schottische Regierungschefin will so einflussreiche Verbündete gewinnen. Doch je mehr Absagen sie in Brüssel erhält, desto schwächer wird ihre Position. Die schottische Zeitung The Herald schreibt, Sturgeon befinde sich in einer Position, in der es vor allem wichtig sei, "peinliche Brüskierungen" zu vermeiden.

Was EU-Staaten fürchten

Ein Sprecher der ungarischen Regierung gab wider, was einige EU-Staaten offenbar gerade als diplomatische Linie zu etablieren versuchen: Diskussionen über Schottlands Status in der EU seien im Moment "rein theoretisch" und "voreilig". Einige EU-Länder fürchten zudem, dass durch neue schottische Unabhängigkeitsbestrebungen auch andernorts Separatisten gestärkt würden.

In Alyn Smith, einem schottischen Abgeordneten im Europäischen Parlament, hat Sturgeon dagegen einen wortgewaltigen Verbündeten. Der BBC sagte er, er werde dafür kämpfen, dass den Schotten in Brüssel zugehört wird. "Die Türen in Brüssel sind offen und es gibt hier den Willen, mit Schottland zu sprechen."

Smith hatte bei der Sondersitzung des Parlaments am Dienstag Standing Ovations erhalten, als er, sichtlich bewegt, den Abgeordneten zurief: Europa dürfe Schottland nicht im Stich lassen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: