Die Karte scheint eindeutig: England und Wales leuchten rot, der Norden blau. Rot steht für Brexit, die blaue Farbe dafür, dass eine Mehrheit der Wähler für den Verbleib in der EU gestimmt hat. Schottland ist komplett blau. In jedem einzelnen Wahlbezirk Schottlands stimmte eine Mehrheit für die EU, insgesamt 62 Prozent der Wahlberechtigten. Würde das Vereinigte Königreich die EU nun verlassen, geschähe das gegen den Willen der Schotten - und das sei zu verhindern, sagt deshalb die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon.
Wenige Stunden nachdem das Brexit-Votum bekannt wurde, bezog Sturgeon Stellung: Schottland habe nicht die Absicht, gegen den Willen der Bevölkerung aus der EU auszuscheiden. Sie brachte umgehend ein neues Unabhängigkeits-Referendum für Schottland ins Gespräch. Schottland soll raus aus dem Vereinigten Königreich und dafür in der EU bleiben, womöglich als eigenständiges Mitgliedsland. Für die separatistische Scottish National Party (SNP), deren Chefin Sturgeon ist, würden sich damit gleich zwei politische Ziele auf einmal erfüllen. Denn anders als die Nationalisten in anderen EU-Staaten macht die SNP nicht mit Fremdenfeindlichkeit und Angst vor Immigranten Politik, sondern setzt auf den europäischen Binnenmarkt und die Vorteile der Zuwanderung.
Aber wie realistisch sind Sturgeons Pläne für die Zukunft Schottlands? Die drei wichtigsten Fragen und Antworten:
Kann Schottland tatsächlich den Brexit blockieren?
In einem aktuellen BBC-Interview bringt Sturgeon ein schottisches Veto gegen den Brexit ins Spiel. Sie könne sich nicht vorstellen, dass das schottische Parlament einem EU-Austritt nicht zustimmen müsse, sagt die Regierungschefin. Zwar sei die Regierung in London bestimmt anderer Ansicht, aber sie wolle diese Diskussion führen und sehen, wo sie endet. Der schottische Tory-Abgeordnete Adam Tomkins widerspricht Sturgeon, er halte es höchstens für möglich, dass sich Schottlands Parlament enthält.
Tatsächlich ist es rechtlich so, dass das Ergebnis des Brexit-Referendums für ganz Großbritannien gültig ist. Schließlich sind regionale Unterschiede bei Wahlergebnissen nicht unüblich. Sturgeon stützt sich bei ihren Überlegungen zu einem Veto auf den Scotland Act aus dem Jahr 1998, der von Westminster verabschiedet die rechtliche Grundlage für ein schottisches Parlament schuf. Dort heißt es sinngemäß in Absatz 29 zur Gesetzgebung, dass das schottische Parlament nicht gegen EU-Recht verstoßen dürfe. EU-Recht wird in Schottland also auch vom schottischen Parlament implementiert - und nicht allein vom britischen Parlament in Westminster.
Manche Verfassungsrechtler wie David Edward glauben daraus ableiten zu können, dass eine Zustimmung des schottischen Parlaments notwendig sei, wenn das Vereinigte Königreich die EU verlassen will. Allerdings: Dem steht ein zweiter Satz aus dem Scotland Act entgegen. Im Absatz 28 heißt es, dass das Folgende nicht die Gesetzgebungsgewalt des britischen Parlaments einschränke. Das bedeutet nichts anderes, als dass in der direkten Auseinandersetzung zwischen den beiden Parlamenten das britische Abgeordnetenhaus sticht. Sollten die Schotten ihre Zustimmung zum Brexit verweigern, könnten sie nach geltender Rechtslage wahrscheinlich einfach von Westminster übergangen werden. Politisch könnten die schottischen Nationalisten mit so einem Manöver aber möglicherweise Punkte sammeln.
Nicola Sturgeon sagt, sie gehe ohnehin davon aus, dass die britische Regierung eine Zustimmung des schottischen Regionalparlaments nicht für notwendig hält, um den gesetzlichen Rahmen für einen Brexit zu schaffen. Deshalb konzentriert sie sich in ihren Aussagen nun stärker darauf, dass es bald ein zweites Unabhängigkeits-Referendum für Schottland geben könnte.