Präsidentschaftswahl in Russland:Warum Alternativen zu Putin erst noch entstehen müssen

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Aller Kritik zum Trotz: Die Mehrheit der russischen Bevölkerung will Wladimir Putin als neuen Präsidenten haben. Und man kann es ihr nicht verdenken, denn seine Konkurrenten um das Amt sind allesamt nicht geeignet, das Land nach vorne zu bringen. Doch dank der Protestbewegung besteht die Chance, dass sich das ändern könnte.

Hannah Beitzer

Es hat dann doch alles nichts genutzt: die Webkameras, die Fernsehdiskussionen, die Demonstrationen und Kundgebungen. Wladimir Putin wird, so sieht es aus, schon im ersten Wahlgang zum russischen Präsidenten gewählt werden. Etwa 60 Prozent der Bevölkerung will ihn, der seit 2000 die russische Politik dominiert, zumindestens für weitere sechs Jahre als ersten Mann im Staat sehen.

Aus Medwedjew mach Putin: Kaum jemand zweifelt daran, wer der nächste russische Präsident werden wird. (Foto: REUTERS)

Doch wer sich die Kandidatenliste ein bisschen genauer ansieht, wird zugeben müssen: Man kann das den Russen nicht verdenken. Keiner von Putins derzeitigen Herausforderern scheint wirklich geeignet, das Land nach vorne zu bringen - und vor allem das verkrustete, von Korruption und Stagnation zerfressene Gesellschafts- und Wirtschaftssystem zu modernisieren. Da kann auch gleich Putin Präsident bleiben - bei ihm weiß man wenigstens, was man hat.

Oder was soll man zum Beispiel von dem 67-jährigen Gennadij Sjuganow erwarten, einem Mann, der bis heute den Untergang der Sowjetunion betrauert? Dessen Popularität sich vor allem aus der wachsenden Sowjetnostalgie in der verunsicherten russischen Bevölkerung speist? Antworten auf die Probleme einer globalisierten Welt gibt Sjuganow nicht, dazu ist er viel zu sehr in der Vergangenheit verhaftet. Den Untergang des kommunistischen Riesenreiches bezeichnete er unlängst als "globale Katastrophe". Dass bereits das sowjetische Russland von Vetternwirtschaft zerfressen und wirtschaftlich abgeschlagen war - geschenkt. Sjuganow, das ist einer, der den Problemen von heute mit den Parolen von vorgestern beikommen möchte.

Oder Sergej Mironow: Seine Partei Gerechtes Russland war nie viel mehr als ein leicht nach links gerückter Abklatsch von Putins Kremlpartei Einiges Russland. In der Duma stimmen die Abgeordneten von Gerechtes Russland meist für Putins Gesetze. Den Wandel, den Russland so dringend benötigt, kann man von Mironow deswegen nicht erwarten.

Und von dem Rechtspopulisten Wladimir Schirinowskij braucht man eigentlich gar nicht erst anzufangen. Der geistert schon seit Jahrzehnten in all seiner Skurrilität durch die russische Politik - abgesehen davon, dass seine rassistischen, amerikafeindlichen und antisemitischen Parolen alles andere als lustig sind, taugt er eigentlich nur zur Lachnummer: Er ist eine lebende Karikatur des ewig besoffenen, sich ständig prügelnden, rüpelhaften russischen Taugenichts. Ein Rebell ist er allerdings ohnehin nur, wenn gerade Fernsehkameras in der Nähe sind - in der Duma stimmt seine Liberaldemokratische Partei (die übrigens in keinster Weise etwas mit dem westlichen Verständnis von Liberalität und Demokratie zu tun hat) meistens mit Einiges Russland ab.

Michail Prochorow bleibt rätselhaft

Am ehesten scheint noch der unabhängige Kandidat Michail Prochorow zu den Demonstranten auf der Straße zu passen. Er gibt sich liberal und modern, will die Wirtschaft reformieren, Korruption bekämpfen und den Putin-Gegner Michail Chodorkowskij aus der Haft entlassen. Doch die Russen misstrauen ihm. Er ist schließlich einer jener Oligarchen, die in den 90er Jahren auf dubiose Art und Weise zu Reichtum gekommen sind, also Teil des Systems sind, das viele jetzt als verkrustet und ungerecht empfinden.

Auch seine Motive bleiben bis heute rätselhaft: Ist es ihm ernst mit dem Wandel? Oder ist er in Wahrheit doch nur ein Gefolgsmann Putins, der für diesen das unzufriedene Bürgertum ködern soll, indem durch ihn politischer Wettbewerb simuliert wird? Bei aller Begeisterung für liberale Ideen tun die Russen gut daran, nicht gleich dem nächsten Charismatiker hinterherzurennen, der ihnen ein besseres Russland verspricht - solange jedenfalls, bis seine Beweggründe sich als redlich entpuppt haben.

Natürlich gäbe es da auch noch Grigorij Jawlinskij, der nicht einmal zur Wahl zugelassen wurde. Im Gegensatz zu Prochorow ist er in der russischen Politik wohlbekannt: Der überzeugte Liberale arbeitete bereits Anfang der 90er Jahre an der Reform der post-sowjetische Wirtschaft mit und war unter Boris Jelzin eine zeitlang stellvertretender Ministerpräsident. 1993 gründete er gemeinsam mit Jurij Boldyrew und Wladimir Lukin seine eigene Partei: Jabloko. Die pro-westliche Gruppierung war bis 2003 in der Duma vertreten, Jawlinskij kandidierte 1996 und 2000 für das Amt des Präsidenten, er sprach sich unter anderem gegen den Tschetschenienkrieg aus.

In der Ära Putin schwand der Einfluss der Liberalen - "liberal" galt auf einmal als Schimpfwort, weil viele damit die chaotischen Jelzin-Jahre verbanden, in der die Wirtschaft von einem völlig entfesselten Raubtierkapitalismus erfasst, das Land außer Kontrolle war. Dem Bedürfnis nach frischen Gesichtern, neuen Ideen und einer Demokratie kann einer wie Jawlinskij deswegen nur bedingt erfüllen - viele winken ab, wenn sie bloß seinen Namen hören: Sie machen ihn und seine Weggefährten für die zügellose Privatisierung in den post-sowjetischen Ära verantwortlich, die das Land bis zum Amtsantritt Putins beinahe in den Ruin getrieben hatte.

Und selbst in der liberalen Opposition sind längst nicht alle begeistert von Jawlinskij: Eine Vereinigung der liberalen Gruppierungen in Russland scheiterte mehrmals - viele sagen, nicht zuletzt an Jawlinskijs Machtanspruch, der stets seine Rolle als führender Liberaler betonte und seinen Gesprächspartnern nie das Gefühl gab, dass sie mit ihm auf Augenhöhe verhandelten. 2008 trat er als Parteivorsitzender von Jabloko zurück, weil auch innerhalb seiner eigenen Partei die Stimmen gegen ihn immer lauter wurden.

Woher die Dominanz Putins kommt

Nein, wirkliche Alternativen zu Wladimir Putin gibt es nicht. Und es wäre auch keinem geholfen, wenn Putin durch einen der genannten Kandidaten ersetzt würde. Zu Recht befürchten die Russen, dass ihrem Land dann nur eine weitere Ära des Chaos und der Ungewissheit bevorstünde.

Die Gründe für die Dominanz Putins sind vielfältig. Zum einen hat er schon zu Beginn seiner Amtszeit mögliche politische Gegner aus dem Weg geräumt: den Ex-Yukos-Chef Michail Chodorkowskij zum Beispiel, oder auch die Medienmogule Wladimir Gussinskij und Boris Beresowskij, die er mit der Einleitung von Untersuchungsverfahren ins Exil trieb. So wurde er nicht nur unliebsame Konkurrenten los, sondern brachte auch deren Medienhäuser, die für ihren kremlkritischen Kurs bekannt waren, unter staatliche Kontrolle. In der Folge gab es jahrelang Putin auf allen Kanälen - Oppositionelle kamen allenfalls in den auflagenschwachen kritischen Printmedien wie der Politkowskaja-Zeitung Nowaja Gaseta oder im Internet zu Wort.

Zudem verstand Putin es, alle wichtigen Posten im Land mit Vertrauten zu besetzen. So schaffte er zum Beispiel die Wahl der Gouverneure in den Föderationssubjekten ab - sie wurden fortan direkt vom Kreml ernannt. Auch die Wirtschaft verband er eng mit den Staat. Wer ein erfolgreiches Unternehmen aufbauen und führen wollte, musste sich mit dem Kreml gutstellen. Die Schicksale von Chodorkowskij, Beresowskij und Gussinskij vor Augen, ließen sich die meisten Wirtschaftsbosse auf den Deal ein: In der Politik die Klappe halten, dafür aber privat absahnen.

Nicht zuletzt hatte Putin jedoch auch das Glück, dass während seiner ersten beiden Amtszeiten das russische Öl und Gas schier endlos Geld in die Staatskassen spülte. Das krisengebeutelte Russland brachte es in den Nullerjahren erstmals zu ordentlichem Wohlstand. In den Städten entstand eine gut verdienende Mittelschicht und auch außenpolitisch verhalf der Ressourcenreichtum dem geschrumpften Weltreich zu neuem Ansehen. Wladimir Putin gefiel sich in markiger Rhetorik und selbstbewusstem Auftreten, gerade gegenüber dem Westen, für den Russland bis ins neue Jahrtausend hinein kaum mehr als ein Entwicklungsland war.

Doch dann kollabierte das auf Rohstoffe ausgerichtete Wirtschaftssystem in der Finanzkrise - schon kurz nach der Lehmann-Pleite im Herbst 2008 spürte man die Auswirkungen in Russland so extrem, wie in kaum einem anderen Land. Zahlreiche Menschen verloren ihre Arbeit, Unternehmen konnten über Monate keine Gehälter zahlen, der Rubelkurs brach ein.

Warum die Protestbewegung eine Chance ist

Vielleicht liegt auch hier der wahre Grund für die zunehmenden Proteste. Putin hat sein Versprechen, Russland zu Reichtum und Ansehen zu führen, nicht halten können. Als Reaktion entzieht ihm die Mittelschicht zunehmend das Vertrauen.

Nach über einem Jahrzehnt Putin steht die Opposition in Russland heute wieder da, wo sie schon am Ende der Sowjetära stand. Die Protestbewegung ist eine Ansammlung unterschiedlichster Gruppierungen, deren einziges verbindendes Element die Abneigung gegen Putin ist. Ein gemeinsames politisches Programm gibt es nicht, von links bis rechts findet sich hier das gesamte Spektrum - fast ein wenig wie in den letzten Sowjet-Jahrzehnten, als Nationalisten mit Hippies in derselben Kommunalka-Küche diskutierten. Einig sind sich alle lediglich darin, dass sich etwas verändern muss, dass es so nicht weitergehen kann in ihrem Heimatland. Dass sie genug haben von Korruption und Zensur.

Dennoch ist die Bewegung gerade wegen ihrer Heterogenität eine große Chance für Russland. Hier können Ideen von unten entstehen - ganz so, wie es in einer Demokratie eigentlich sein sollte. Es ist gerade wichtig, dass verschiedenste Meinungen diskutiert, Programme entworfen und Profile geschärft werden können - selbst wenn die Opposition in Zukunft nicht immer mit einer Stimme sprechen wird.

Reformen kamen in Russland bisher immer von oben. Es ist Zeit, dass sich das ändert, dass nicht mehr nur die Elite darüber entscheidet, was mit Russland passiert. Nun könnten sich endlich all diejenigen einbringen, die bisher zur Untätigkeit verdammt waren, die nicht zu Wort kamen in ihrem Land, das sie politisch so lange aus der Hand gegeben hatten. Und hier könnten sogar Gruppierungen und Parteien erwachsen, die aus Russland eines Tages eine pluralistische Gesellschaft machen - eine Gesellschaft, die echte Alternativen hat und nicht nur die Wahl zwischen Stagnation und Chaos.

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