Russland vor der Wahl:Das grummelnde Volk will Trophäen sehen

Mehr Geld für Rentner und kostenlose Flüge zur Fußball-EM: Wladimir Putin lockt mit Wahlgeschenken und macht Zugeständnisse - prompt steigen seine Umfragewerte, er könnte abermals Präsident werden. Zwar kann die russische Führung die kürzlichen Massenproteste nicht ignorieren. Doch Russlands Demokratie hat noch immer ihre eigenen Gesetze.

Frank Nienhuysen

Er war jetzt in Sibirien, aber wenigstens die Stimmung erschien ihm angenehm mild. Den oberen Hemdknopf geöffnet, saß Wladimir Putin im Hörsaal der Tomsker Universität und plauderte aufgeräumt mit Studenten. Er zerstreute Sorgen über mangelnde Kindergartenplätze, redete über Fischfang, und am Ende erhielt er sogar noch eine Einladung zum Wettbewerb "Studentischer Frühling".

Russian Prime Minister Vladimir Putin instructs a trainee during a judo demonstration at a regional judo centre in the city of Kemerovo

Wladimir Putin gibt Judo-Ratschläge in Kemerowo: Als der Premier dort vor 6000 Menschen sprach, kritisierte eine russische Zeitung, dass das Wahlkampf sei.

(Foto: REUTERS)

Studentischer Frühling klingt besser als arabischer Frühling, mag er sich gedacht haben, jedenfalls versprach Putin zu kommen, unabhängig vom Ausgang der Wahlen. Und so dürfte diese versprochene Reise nach Tscheljabinsk eine seiner ersten als neuer Präsident sein - sollte er die Abstimmung denn gewinnen.

Der Unmut über Putin scheint jedenfalls geringer zu werden. Nach den beiden Massenprotesten im Dezember und historisch schlechten Umfragewerten steigt die Popularitätskurve des amtierenden Ministerpräsidenten wieder. Nach der jüngsten Prognose des Lewada-Instituts gilt plötzlich sogar ein Sieg Putins im ersten Wahlgang als möglich.

Fünf Wochen vor der Wahl am 4. März hat sich das Feld der Konkurrenten gelichtet. Und wenn Putin und der scheidende Präsident Dmitrij Medwedjew auch stets aufs Neue von Demokratie sprechen, so hat Russlands Demokratie noch immer ihre eigenen Gesetze.

"Eine Veranstaltung, die man schwerlich nicht als Wahlkampf bezeichnen kann"

An diesem Freitag wird die Zentrale Wahlkommission vermutlich auch offiziell verkünden, dass der liberale Kandidat Grigorij Jawlinskij bei der Präsidentenwahl nicht antreten darf. Etwa 24 Prozent der von ihm vorgelegten zwei Millionen Unterschriften hat die Wahlbehörde für ungültig erklärt. Jawlinskij selbst hält seinen Ausschluss für eine politische Schikane, und sogar der ehemalige Finanzminister und Putin-Freund Alexej Kudrin sagte, "wenn Jawlinskij nicht auf der Liste der Kandidaten steht, wird dies ein schwerer Schlag für das Vertrauen in die Wahlen sein". Will die Staatsmacht also nur einen unliebsamen Widersacher loswerden und die Wahrscheinlichkeit erhöhen, eine Stichwahl vermeiden zu können?

Eigentlich müsste Putin während des Wahlkampfs sein Amt als Ministerpräsident ruhen lassen, zumindest darf er bei Terminen als Regierungschef keinen Wahlkampf machen. Doch geht das überhaupt? Als Putin am Dienstag in der sibirischen Industriestadt Kemerowo vor 6000 Menschen sprach und ihnen sagte, das Land habe sich in schwierigen Zeiten schon immer auf die Schultern der Bergleute und Metallarbeiter stützen können, schrieb die Nesawissimaja Gaseta: "Das war noch so eine Veranstaltung, die man schwerlich nicht als Wahlkampf bezeichnen kann."

Mit den Massenprotesten im Dezember hat die russische Gesellschaft, zumindest Teile von ihr, erstmals so etwas wie eine eigene, bürgerliche Macht gespürt. Die russische Führung kann das nicht einfach ignorieren. Neue Gesetze sind in die Duma geleitet, die es Parteien künftig leichter macht, sich registrieren zu lassen und ins Parlament zu ziehen. Bei der nächsten Präsidentenwahl muss auch kein Bewerber mehr zwei Millionen Unterschriften sammeln, "das ist ja praktisch auch gar nicht möglich", sagte am Donnerstag Kommunistenchef Gennadij Sjuganow, der als Kandidat einer im Parlament vertretenen Partei vor dieser Herausforderung erst gar nicht stand.

Mit der wieder eingeführten Direktwahl der Gouverneure will Putin ebenfalls dem grummelnden Volk Flexibilität beweisen. In den Wahllokalen werden Kameras montiert, und wer weiß, an diesem Freitag könnte sogar der Rücktritt des ungeliebten Wahlkommission-Chefs Wladimir Tschurow folgen. Das protestierende Volk will ein paar Trophäen sehen.

Scharfer Ton gegen illegale Einwanderer

Das Putin-Lager dürfte das alles nicht übermäßig schmerzen, solange es dem Ziel dient, die Machtverhältnisse zu zementieren und Putin mit einer neuen, diesmal sechsjährigen Amtszeit zu versorgen. Rentnern verspricht der Premier sieben Prozent mehr Geld, Fußballfans kostenlose Flüge zu Spielen der Europameisterschaft. Helfen bei der Stimmenmehrung könnte ihm auch sein zuletzt deutlich schärferer Ton gegen illegale Einwanderer. In seinem Wahlprogramm fordert Putin die Einführung von Russischtests für Ausländer, am Donnerstag sprach er sich für ein fünf- bis zehnjähriges Einreiseverbot aus, wenn Migranten mehrmals gegen die Gesetze verstoßen haben. Damit fischt er ein wenig im Teich des nationalistischen Mitbewerbers Wladimir Schirinowskij.

Dass Putin seine Macht verliert, will offiziell auch Michail Prochorow. Der zwei Meter große Unternehmer, drittreichster Mensch im Lande, hat immerhin gerade eine wichtige Hürde übersprungen und ist von der Wahlkommission offiziell zur Abstimmung im März zugelassen worden. Aber kein anderer Kandidat gibt dem Volk so viele Rätsel auf wie Prochorow. Während Putins Präsidentschaft hat der Unternehmer eine Menge Geld verdient, und dass er ihn nun derart frech mit liberalen Ansichten herausfordern darf, stimmt viele Russen misstrauisch. Es wird spekuliert, Prochorow solle im Sinne des Kremls die unzufriedenen Angehörigen des Mittelstands umwerben, die sich Putin derzeit verweigern. Nach dem Ausschluss Jawlinskijs würde ein solcher Kandidat um so mehr benötigt. "Blödsinn", sagte Prochorow und versprach sogar, den inhaftierten Putin-Gegner Michail Chodorkowskij bei einem Wahlsieg freizulassen. Sollte aber Putin gewinnen, könnte er sich auch einen Platz in dessen Team vorstellen.

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