Peter Altmaier im Interview:"Ich versuche, die Welt zu verstehen!"

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"Nein", sagt Altmaier auf die Frage, ob er auch Kanzler könne. Die Stelle sei wegen Merkel ja auch nicht frei. (Foto: Britta Pedersen/dpa)

Diese große Aufgabe hat sich Kanzleramtschef Peter Altmaier für die Feiertage vorgenommen: Er beschäftigt sich mit Bitcoins, künstlicher Intelligenz, Mensch und Maschine.

Interview von Cerstin Gammelin und Robert Roßmann

SZ: Herr Minister, was machen Sie über Weihnachten und Neujahr, müssen Sie hier im Kanzleramt Stallwache halten?

Peter Altmaier: Ich verbringe einige Tage zu Hause im Saarland, bin aber immer erreichbar. Weihnachten ist für mich etwas Besonderes, weil ich mich dann am ehesten aus der Tretmühle von Terminen, Telefonaten und E-Mails ausklinken kann. Ich mache dann etwas sehr Schönes und Spannendes: Ich versuche, die Welt zu verstehen! Ich denke darüber nach, was sich fundamental in der Welt verändert und ob wir die richtigen politischen Antworten darauf geben.

Und was müssen Sie verstehen lernen?

Unterschiedliches: Die sozialen Medien wie Facebook und Twitter sind entstanden, ohne dass ein Politiker jemals darüber entschieden hat. Aber sie verändern unser Zusammenleben enorm, ebenso wie die fast vollständige Verfügbarkeit von Wissen auf Knopfdruck und in Echtzeit. Derzeit treibt mich um, was es heißt, wenn digitale Währungen wie Bitcoin oder Ether in unser Leben kommen. Das sind virtuelle Währungen, die nicht von Staaten kontrolliert werden, sie sind eine Erscheinung des Internets und der Globalisierung. Es ist völlig offen, ob und welche Rolle diese Währungen künftig spielen sollen. Aber Tatsache ist jedenfalls, dass über sie geredet wird und dass sie eines Tages Einfluss darauf haben könnten, wie stabil Euro oder Dollar sind.

Sie halten es also für gefährlich, wenn Währungen dem politischen Einfluss entzogen werden?

Wir sollten uns mit pauschalen Urteilen zurückhalten. Zunächst müssen wir verstehen, was vor sich geht. Das gilt auch für den Wettlauf zur Einführung künstlicher Intelligenz, vor allem in den USA. Es muss ein vitales Interesse der Europäer sein, da ganz vorne mit dabei zu sein. Aber wir müssen auch aufpassen, dass die Entwicklung nicht eines Tages zu einer Umkehrung des Verhältnisses Mensch/Maschine führt. Darüber brauchen wir viel mehr Debatten und Streit. Ebenso müssen wir uns um den Klima- und den Artenschutz kümmern. Eine neue große Koalition könnte viel dazu beitragen, Unsicherheiten und Unwägbarkeiten der technologischen und globalen Entwicklung zu ordnen und zu steuern. Weil wir Lösungen finden müssen für Menschen, deren Arbeitsplätze wegen der Digitalisierung nicht mehr profitabel sind. Das würde auch die Zustimmung zu unserer politisch-parlamentarischen Ordnung enorm erhöhen.

Sie haben bei der Wahlanalyse in der CDU festgestellt, dass die Union auch wegen Schwächen im sozialen Profil Stimmen verloren hat: Rente, Pflege und Mieten. Was ziehen Sie für Konsequenzen?

Wir ziehen Konsequenzen, indem wir bestehende Probleme lösen. Wir wollen zum Beispiel die Zahl der neu gebauten Wohnungen in den nächsten vier Jahren um 50 Prozent steigern, weil wir glauben, dass der enorme Anstieg der Mieten darauf zurück geht, dass bisher zu wenig Wohnungen gebaut werden - sowohl im privaten wie im sozialen Wohnungsbau.

Das wird nicht reichen. Muss nicht auch die Mietpreisbremse verschärft werden?

Die Mietpreisbremse hat nicht richtig funktioniert, eben weil durch sie keine einzige neue Wohnung geschaffen wird. Wir müssen eher schauen, ob wir beim Wohngeld etwas ändern, damit jüngere Arbeitnehmer und Familien ihre Miete bezahlen können.

Wie sieht es bei der Pflege aus?

Wir haben viel getan, vor allem für Demenzkranke. In einzelnen Bereichen gibt es aber noch große Unzulänglichkeiten. In vielen Einrichtungen der Alten- und Krankenpflege wird über unzureichende Bezahlung geklagt, darüber müssen wir jetzt sprechen. Zum Teil muss in der Ausbildung noch Schulgeld bezahlt werden, das halte ich für falsch. Pflege und Gesundheit werden ein Schwerpunkt der Arbeit der neuen Bundesregierung sein.

Warum sollte die SPD mit Ihnen diese neue Regierung bilden?

Wir haben von 2005 bis 2009 und von 2013 bis 2017 gut miteinander regiert, trotz enormer internationaler Herausforderungen. Es ist auch für den Erfolg unserer parlamentarischen Demokratie ganz essenziell, dass die Parteien, die zur Wahl antreten, darum kämpfen, die Regierung zu bilden. Und nicht darum, die Opposition zu führen. Wir stellen Kanzlerkandidaten auf, keine Spitzenkandidaten als Oppositionsführer.

Sie werden der SPD trotzdem inhaltliche Angebote machen müssen. Welche?

Ich halte eine große Koalition für erreichbar - und zwar mit einem Programm, das die großen Zukunftsthemen dieses Landes adäquat anspricht. Wir reden mit der SPD natürlich über die Misslichkeiten bei Krankenhäusern und in der Pflege, über Verbesserungen für Familien und Kinder, beim Breitband-Ausbau, bei der Qualifizierung für neue Berufe oder darüber, wie wir Vollbeschäftigung erreichen können. Da sehe ich Schnittmengen mit der SPD. Und wir haben immer noch 900 000 Langzeitarbeitslose. Diese Zahl zu reduzieren muss ein ganz zentrales Thema werden.

Und was will die CDU erreichen? Gilt ihr Versprechen noch, die Bürger bei der Einkommensteuer um mindestens 15 Milliarden Euro jährlich zu entlasten?

Die Grundlage unserer Gespräche mit der SPD ist unser Regierungsprogramm, und das enthält die Steuerentlastung. Wir sind überzeugt, dass es für den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands besser ist, Steuermehreinnahmen über Wirtschaftswachstum zu generieren und nicht über Steuererhöhungen. Wegen der guten deutschen Konjunktur halte ich ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum von zwei Prozent in den nächsten Jahren für möglich. Und ich glaube, dass wir eine Steuerreform zustande bringen können, bei der kleine und mittlere Einkommen entlastet werden. Das ist auch für die SPD attraktiv.

Im letzten Koalitionsvertrag stand, dass es keine Steuererhöhungen und keine zusätzlichen Schulden geben dürfe. Wird das auch in einem neuen Vertrag stehen?

Darüber reden wir mit der SPD, und das wollen wir in einer Koalitionsvereinbarung niederlegen. Trotzdem werden wir vorab in der Öffentlichkeit keine roten Linien ziehen. In den Sondierungen für eine Jamaika-Koalition waren wir diesbezüglich auf einem guten Weg, und ich kann mir vorstellen, dass es inzwischen auch bei den Sozialdemokraten viele gibt, die erkannt haben, dass man investieren kann, ohne neue Schulden zu machen.

In der Jamaika-Sondierung hatten Sie bereits vereinbart, dass bis 2021 ein Großteil der Soli-Zahler den Soli erlassen bekommen. Darauf haben sich die Bürger eingestellt, bleibt es dabei?

Es macht schon einen Unterschied, wen man wählt und mit wem man regiert. Bei den Jamaika-Gesprächen hatte sich wegen der FDP ein Schwerpunkt beim Abbau des Soli abgezeichnet. Wir hätten erreichen können, dass etwa drei Viertel aller Steuerzahler ab 2021 gar keinen Soli mehr gezahlt hätten. Möglicherweise sieht die SPD das graduell anders (schmunzelt).

Die SPD will auch etwas gegen die wachsende Ungleichheit tun und den Spitzensteuersatz erhöhen. Machen Sie das mit?

Ich rate uns allen, erst einmal abzuwarten, was die SPD tatsächlich an Wünschen auf den Gabentisch legt. Das Problem ist aus meiner Sicht eher, dass heute schon manche Facharbeiter den Spitzensteuersatz zahlen müssen, deshalb haben wir in unserem CDU-Konzept vorgesehen, dass er später einsetzt. Das wird man diskutieren müssen.

Horst Seehofer erwägt einen Wechsel ins Bundeskabinett. Kann man sich wirklich vorstellen, dass der CSU-Chef sich nach all den Schlachten mit Merkel der Kanzlerin als Minister unterordnet?

Die Zusammensetzung des Kabinetts wird am Ende geklärt. Unabhängig davon wie das ausgeht, hat Horst Seehofer bei den Sondierungen für Jamaika eine entscheidende Rolle gespielt, weil er aufgrund seines politischen Weges für viele Themen, nicht nur in der Sozialpolitik, aufgeschlossen ist. Die Produktivität eines Politikers steht nicht im direkten Zusammenhang zum Alter. Seehofer wirkte in der Sondierung jünger als manch anderer Teilnehmer.

Sie haben für die EU-Kommission gearbeitet, waren Innenstaatssekretär, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer, Umweltminister und sind jetzt Kanzleramtschef und Finanzminister. Könnten Sie auch Kanzler?

Nein, weil ich mich immer nur für offene Stellen interessiert habe. Deutschland hat aber eine sehr erfolgreiche Kanzlerin. Ich setze meinen ganzen Ehrgeiz darauf, dass Angela Merkel auf absehbare Zukunft die Richtlinien der Politik in Deutschland weiter bestimmt.

Wäre die Stelle frei, würden Sie sich also bewerben?

Nach meiner Vorstellung wird die nächste Ausschreibung erst erfolgen, wenn ich schon im Vorruhestand bin.

© SZ vom 22.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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