Digitalwährung:Das große Glücksspiel mit dem Bitcoin-Hype

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Hier, Bitcoins, das nächste große Ding! Wer vor Jahren eingestiegen ist, gehört zu einer neuen Generation Millionäre. Über einen völlig verrückten Markt und die alte Macht der Gier.

Von Jan Willmroth

An einem heißen Tag an der Küste Floridas sitzt Marie in der Lobby eines Appartementkomplexes, als ein Mann auf sie zukommt. Sie ahnt nicht, wer er ist, sie weiß noch nicht, welches Glück er ihr bringen wird. Sie wird erst Jahre später begreifen, wie diese Begegnung ihr Leben für immer verändert hat. Marie ist noch jung damals, im Jahr 2011, sie hat ihr Abitur mit Bestnoten hinter sich und während des Studiums begonnen, bei einem deutschen Konzern zu arbeiten. Ihre ersten beruflichen USA-Reisen, der erste Bonus ihres Lebens, sie verdient schon gut, noch ein wenig Spielgeld, was soll's.

Marie hat allen Grund, dem Mann zu misstrauen. Er rühmt sich, einer der größten Pornoproduzenten der USA zu sein, er redet viel. Aber am Ende lässt sie sich auf einen Tipp ein. Er nimmt sein Tablet in die Hand und zeigt ihr etwas, von dem sie irgendwann einmal gehört hat: Hier, Bitcoin, das ist das nächste große Ding! Sie hält nichts davon, die Digitalwährung Bitcoin, das war zu der Zeit etwas für Kriminelle in den dunklen Sphären des Internets, oder eben für Pornoproduzenten. Aber sie hat ja Spielgeld, ruft ihren Cousin an, der hat auch noch welches. Gemeinsam kaufen sie für 14 000 Euro Bitcoins, für weniger als einen Dollar das Stück.

Traditionelle Finanzindustrie befeuert den Bitcoin-Hype

Was zu der Zeit ein Thema für die digitale Avantgarde war, ist zu einem weltumspannenden Wahnsinn geworden. Der Wertzuwachs der ersten und berühmtesten Digitalwährung stellt vieles in den Schatten, was die Geschichte der Spekulationsblasen bislang ausmachte. Vor einem Jahr kostete ein Bitcoin noch etwa 750 Dollar, in dieser Woche stieg der Kurs zeitweise auf mehr als 11 000 Dollar, ein Plus von gut 1400 Prozent für ein als "Währung" bekannt gewordenes System, dessen gerechtfertigten Wert niemand kennt, das als Zahlungsmittel kaum zu gebrauchen ist und dessen Kurs gewaltig schwankt.

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Jetzt befeuert auch noch die traditionelle Finanzindustrie den Hype. Banken legen Produkte auf, mit denen Anleger in Bitcoins investieren können, Börsenbetreiber wollen Bitcoin-Derivate anbieten, massenweise bekommen Sparer in Asien, Amerika und Europa aggressive Werbung zu sehen: Jetzt investieren! Bitcoin hat es aus einer zwielichtigen Nische auf die Titelseiten der Weltfinanzpresse geschafft, Prominente wie Goldman-Sachs-Chef Lloyd Blankfein sprechen darüber, Notenbanker warnen, Fondsmanager wittern das große Geschäft. Im Bann der Kurssprünge steigen selbst unerfahrene Sparer ein und setzen ihr bescheidenes Vermögen aufs Spiel. Willkommen im globalen Krypto-Kasino.

Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: Stefan Dimitrov)

In diesem Irrwitz liegt auch der Grund, warum Marie eigentlich anders heißt als hier, warum sie unbedingt unerkannt bleiben will. Fast niemand in ihrem Umfeld weiß von ihren Bitcoins, nicht ihre Freunde, nicht ihr Partner, bis vor wenigen Wochen nicht einmal ihre Eltern, zu denen sie ein sehr vertrautes Verhältnis pflegt. Die Bitcoins sollen ihr großes Geheimnis bleiben, die vielen Millionen auf ihrem Konto, die aus dem heißen Tipp vor sechs Jahren geworden sind. "Ich hatte lange Zeit vergessen, dass ich überhaupt investiert hatte", sagt sie. Bis eines Tages ihr Cousin anrief und sie erst einmal lernen musste zu verstehen, dass sie mit 7000 leichtgläubig angelegten Euro zur Millionärin wurde.

"Bitcoin ist die erste echte Erfolgsgeschichte der Blockchain."

Glücksritter-Geschichten wie die von Marie schaffen einen Zugang zu den Visionen, mit denen eine Gruppe unbekannter Programmierer vor bald zehn Jahren die Grundlagen des Krypto-Booms entwickelte. Sie schufen ein sich selbst regulierendes System, dessen zentrales Versprechen ein anarchistisches ist: Geldtransfers von Nutzer zu Nutzer ohne zwischengeschaltete Stellen, ohne Zentralbank, fernab eines jeden staatlichen Geldmonopols; ein Währungssystem, das allein auf den Computern der Nutzer existiert und die Zahl der Bitcoins automatisch begrenzt, auf 21 Millionen. Diese Knappheit dient als Argument, um Bitcoin mit Gold zu vergleichen und den Wertanstieg der virtuellen Münzen zu rechtfertigen, von denen Bitcoin lediglich die teuerste und bekannteste ist. Mehr als 1300 Pendants sind inzwischen entstanden. Ein Paradies für Betrüger.

"Bitcoin ist die erste echte Erfolgsgeschichte der Blockchain", findet Spiros Margaris, ein ehemaliger Hedgefonds-Manager aus der Schweiz, der heute Geld in Finanztechnologie-Start-ups investiert und sich als Experte in diesem Bereich einen Namen gemacht hat. "Das ist das Gute an dem Boom: Er bringt die Technologie ins Gespräch, er zwingt Menschen dazu, sich mit diesen Systemen zu befassen." Die Technologie namens Blockchain, das Herz aller Digitalwährungen: Sie lässt Computer im Bitcoin-Netzwerk einzelne Transaktionen mit Verschlüsselungsverfahren zu Datenblöcken zusammenfassen, die aneinandergereiht und manipulationssicher gespeichert werden. Allmählich setzt sich als Erkenntnis durch, dass diese Technologie an der Funktionsweise der Welt von heute womöglich sehr viel verändern wird.

Hinter der Bitcoin steckt eine ganze Technologie

Denn ihre Einsatzmöglichkeiten reichen weit. Man wird kaum noch eine Zentralbank, kaum einen Industrie- und erst recht keinen Finanzkonzern finden, der sich nicht mit der Blockchain auseinandersetzt. Philipp Sandner beobachtet diese Entwicklung akribisch. Der Hochschullehrer leitet das Blockchain-Center an der Frankfurt School of Finance and Management und sagt: "Das Internet dient bis heute ausschließlich zur Übertragung von Informationen."

Die Blockchain ermögliche es nun, auch Werte elektronisch zu übertragen - und zwar ohne Rückgriff auf einen Intermediär. Hinter dem Wertzuwachs der Kryptowährungen stecke deshalb viel mehr als nur ein irrer Kursverlauf, nämlich eine Technologie, die "Art und Weise wie Zahlungs- und Geschäftsprozesse heute funktionieren, fundamental verändern kann", sagt Sandner.

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Von fundamentalen Veränderungen ist für die Allgemeinheit noch wenig zu sehen, das aktuelle Schauspiel beschränkt sich auf eine populäre Spekulation, mit der Menschen binnen Minuten sehr viel Geld gewinnen oder verlieren. "Ich glaube nicht, dass Kryptowährungen traditionelle Währungen ersetzen werden", sagt ein deutscher Finanzmanager, der aus Überzeugung in mehr als 70 verschiedene digitale Münzen investiert und anonym bleiben möchte, weil er für Banken arbeitet und in der Szene kein Unbekannter ist. "Aber ich bin sicher, dass sie ihren Platz finden werden. Welche Währung sich am Ende durchsetzt, kann noch niemand abschätzen."

Genauso wenig wie abzusehen ist, in welchen Bereichen sich die Blockchain zuerst durchsetzt. Die aktuelle Phase, sagt er, erinnere ihn an die frühen Neunzigerjahre, als er damit beschäftigt war, Menschen das Internet zu erklären, von denen viele das für bescheuert hielten. Wenn er mit diesem Vergleich recht behält, ist der derzeitige Bitcoin-Boom nur ein Anfang. Vielleicht warnt er gerade deshalb ähnlich wie Philipp Sandner davor, jetzt "hirnlos zu investieren". Was viele eben doch tun, getrieben von der alten Macht der Gier, von der Faszination eines unverhofften Reichtums.

Ein Sohn spricht nicht mehr mit seinem Vater: Dieser zwang ihn dazu, Bitcoins zu verkaufen

Tagtäglich lässt sich beobachten, welche Blüten diese Faszination treibt. Die Rechenzentren in China und nördlich des Polarkreises, die komplexe Rechenaufgaben lösen, um neue Bitcoins zu erzeugen, verbrauchen inzwischen mehr Energie als ganz Irland. Man liest von dem Briten, der im Sommer einen alten Computer entsorgte, auf dem Bitcoins im Wert von neun Millionen Dollar gespeichert waren, und der seitdem auf Müllhalden nach seinem Schatz sucht. Man hört von dem Sohn, der nicht mehr mit seinem Vater spricht, weil der ihn vor Jahren erbost gezwungen hatte, seine 125 Bitcoins wieder zu verkaufen.

Und man sitzt an einem Morgen im Spätherbst in einem Café in einer deutschen Großstadt der jungen Mutter Marie gegenüber, die eine zweistellige Millionensumme versteckt. Sie denke jetzt darüber nach, sagt sie, ob sie sich ein Haus in der Stadt kaufen soll, oder doch lieber auf dem Land. "Ich muss und ich will das jetzt loswerden", sagt sie. "Ich habe einen Punkt erreicht, an dem es mir richtig wehtun würde, wenn das jetzt einbricht." Es sind Menschen wie sie, die später einmal von einer Zeit der digitalen Goldgräberstimmung erzählen werden, als die Welt gerade den irren Beginn einer neuen Ära erlebte.

© SZ vom 02.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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