Oettinger neuer EU-Kommissar:Ein Technokrat für Brüssel

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Er trank Bier aus Schuhen, trug eine Brille aus Teesieben - und blieb dennoch blass. Jetzt wird Baden-Württembergs Regierungschef Oettinger EU-Kommissar. Fraktionschef Mappus will ihn beerben.

Bernd Dörries, Stuttgart

Die Partei erreichte die Nachricht auf Bezirksparteitagen, Feuerwehrverbandstagungen und beim Fest des Sportvereins. Die Minister und Landtagsabgeordneten der baden-württembergischen CDU waren weit verstreut im Land und taten, was man eben so tut an einem Wochenende: Grußworte halten, Hände schütteln, Buffets eröffnen. Sie ahnten nichts. Selbst mancher Minister glaubte daher an einen Scherz, als er am Samstagmorgen erfuhr, dass der CDU im Südwesten soeben der Ministerpräsident abhanden gekommen ist. Günther Oettinger, 56, wird deutscher EU-Kommissar in Brüssel.

Günther Oettinger (rechts) wechselt als EU-Kommissar nach Brüssel - sein Nachfolger heißt wohl Stefan Mappus (links). (Foto: Foto: ddp)

Viele Namen waren für den Nachfolger von Industriekommissar Günter Verheugen (SPD) in den vergangenen Monaten im Gespräch gewesen, der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) und auch Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) wurden immer mal wieder genannt. Der Name Oettinger fiel nie, er hatte sich eigentlich auch nicht unbedingt aufdrängt.

Gemischte Bilanz

Vier Jahre ist er Ministerpräsident von Baden-Württemberg und man hatte bis zuletzt das Gefühl, dass er immer noch nicht so richtig angekommen ist. Dass sie fremdeln, er und dieses Amt. Am Freitag entschied sich Oettinger für Brüssel, Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte ihm Mitte der Woche den Posten angeboten.

Für sie macht die Sache Sinn: Sie schickt einen einigermaßen qualifizierten Kommissar mit CDU-Parteibuch nach Brüssel und ist einen Ministerpräsidenten los, der ihr immer wieder dazwischenfunkte.

Oettingers Bilanz in Baden-Württemberg kann man mit viel Wohlwollen als gemischt bezeichnen. Als er damals ins Amt kam, hatten viele in der baden-württembergischen CDU keine Lust mehr auf diesen behäbigen und moralischen Erwin Teufel, der 14 Jahre lang das Land regiert hatte. Oettinger stellte sich als Erneuerer dar, versprach, die CDU moderner zu machen, attraktiver für die Wähler in den Großstädten. Die wählen nach vier Jahren Oettinger aber immer noch lieber die Grünen.

Bier aus dem Herrenhalbschuh

Andererseits hat Oettinger die CDU im Südwesten schon ein wenig durchgelüftet, auch hier sieht man jetzt ein, dass die Ganztagesbetreuung von Kleinkindern sinnvoll ist und die Mutter nicht ihr ganzes Leben hinter dem Herd verbringen muss. Oettinger hat die Nullverschuldung angestrebt im Landeshaushalt und in den Zeiten der Wirtschaftskrise den Eindruck gemacht, als wüsste er, was er da täte.

Den meisten in Baden-Württemberg und Deutschland wird er aber als ein Ministerpräsident in Erinnerung bleiben, der etwas Tölpelhaftes an sich hatte. Da war die Filbinger-Rede, in der er dem ehemaligen NS-Marinerichter und späteren Ministerpräsidenten bescheinigte, ein Widerstandskämpfer gewesen zu sein und wegen der er fast zurücktreten musste. Später gab es Bilder von ihm mit einer Brille aus Teesieben auf dem Kopf, die zu später Stunde aufgenommen wurden.

Damals sagte Oettinger, er behalte sich vor, außerhalb der "Kernarbeitszeit" nicht den steifen Ministerpräsidenten zu geben. Bei der Fußball-EM 2008 wurde er erwischt, wie er Bier aus einem Herrenhalbschuh trank.

Eigentlich, so sagten viele in der Partei, hätte er es umgekehrt machen sollen. Der private Oettinger hätte etwas steifer sein sollen und der dienstliche etwas lockerer. Denn letztlich hat Oettinger etwas zutiefst Technokratisches und die Herzen der Menschen im Lande nicht erreicht, die Umfragen waren zuletzt so katastrophal, dass sich manche in der CDU schon Sorgen wegen der Landtagswahl 2011 machten.

Vielleicht passt das Technokratische an Oettinger besser nach Brüssel, er hat die Umsatzzahlen der meisten baden-württembergischen Firmen im Kopf, und auch die der Unternehmen aus dem restlichen Europa wird er noch lernen. Oettinger hat auch als einer der wenigen in der Union klare wirtschaftspolitische Vorstellungen. Vielleicht ist er selbst auch zu der Überzeugung gekommen, dass er besser nach Brüssel passt als ins Staatsministerium in Stuttgart.

Unterstützung von Merkel und Kauder

Dort wird ihm wahrscheinlich Stefan Mappus nachfolgen. Der Fraktionschef im Landtag hat die besten Chancen und kündigte bereits seine Kandidatur an: Er sei bereit für das Amt, auch wenn Oettingers Wechsel nach Brüssel für alle "sehr, sehr überraschend" komme. "Aus meiner 13-jährigen parlamentarischen Tätigkeit als Abgeordneter, Staatssekretär und Minister und Fraktionsvorsitzender bringe ich die Erfahrung mit und traue mir zu, das Amt des Ministerpräsidenten zum Wohle des Landes auszuüben", sagte Mappus.

Mappus und Oettinger haben immer wieder gesagt, dass kein Blatt zwischen sie passe, letztlich haben sie sich verachtet. Der 43-jährige Pforzheimer ist in den vergangenen Jahren immer wieder Oettinger in die Parade gefahren. Als der nach der Landtagswahl 2006 noch mit den Grünen über eine Koalition sondierte, sagte Mappus öffentlich, so werde es nicht kommen. Immer wieder führte er Oettinger vor, weshalb es nun auch manche in der CDU gibt, die ihn als Ministerpräsidenten verhindern wollen.

"Wo Oettinger zu sehr Technokrat war, ist Mappus zu stur und konservativ, um die ganze Partei zu erreichen", sagte ein Minister zu SZ. Viele halten Mappus mit 43 Jahren auch einfach noch für zu jung, er hat sich in der Partei einen Namen gemacht, den Wählern auf der Schwäbischen Alb ist er aber nahezu unbekannt. Große Unterstützung genießt er bei Angela Merkel und Fraktionschef Volker Kauder, der auf seinem alten Job lieber in Berlin bleiben möchte. Die Partei in Baden Württemberg wird sich nun in den kommenden Tagen erst einmal auf ein Verfahren einigen, wie der Nachfolger von Oettinger bestimmt werden soll. Die ersten Bezirksvorsitzenden fordern bereits eine Mitgliederbefragung. Dann könnte Mappus doch noch einen Gegenkandidaten bekommen.

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