Obama und Merkel:Obama und Merkel - so eng verbunden wie nie

Angela Merkel fremdelte anfangs mit Barack Obama. Jetzt macht er sie zu einer Art Nachlassverwalterin seiner globalen Politik.

Von Stefan Braun, Berlin

Ist es Melancholie? Oder doch vor allem Erschöpfung? Schwer zu sagen an diesem Abend, an dem ein großer Abschied ansteht. Als Angela Merkel und Barack Obama im Kanzleramt vor die Presse treten, zeigen sie keine Freude und kein fröhliches Lächeln. Arg nüchtern beschwören sie das enge Verhältnis zwischen Europa und den Vereinigten Staaten; fast schon mühsam begründen sie, warum die transatlantischen Beziehungen wichtig waren, wichtig sind und wichtig sein werden. Klimawandel, Ukrainekrieg, ein Welthandel zum Nutzen aller - die Stichworte fallen. Trotzdem wirken Merkel und Obama, als wäre jemand in voller Fahrt auf die Bremse gestiegen.

Und genau das ist ja auch passiert, seit klar ist, dass Donald Trump, der Milliardär und Wutbürger, bald US-Präsident sein wird. Mit einem Schlag steht alles in Frage, was bis dahin selbstverständlich schien. Aus Leichtigkeit wird plötzlich Mühsal, das ist beiden anzumerken. Sicher, Obama lobt Merkel als "absolut außergewöhnlich". Und er erklärt sehr entschieden, dass er "ein Anhänger Merkels" wäre, würde er in Deutschland leben. Doch was in normalen Zeiten einfach nur Schmeichelei wäre, wirkt tonnenschwer angesichts der neuen Zeit. Aus Lob wird Verantwortung in Tagen, an denen sich die ganze Welt fragt, was nun kommen wird.

Und so wollen die beiden an diesem sehr grauen Novemberabend eigentlich herzlich Adieu sagen und wissen doch, dass sie so eng verbunden sind wie vielleicht noch nie in den acht Jahren, die Obama nun Präsident ist. Zur letzten Verteidigerin der freien Welt ist Merkel in amerikanischen Medien schon stilisiert worden. Und Obama lässt seither keinen Auftritt mehr verstreichen, ohne hervorzuheben, wie wichtig diese freie Welt in Zukunft sein wird."Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit", mahnt Obama. "Sie muss erkämpft werden."

Diesen Satz richtet er vor allem an die jungen Menschen in den USA und in Europa. Doch je länger er so wirbt und warnt, desto deutlicher wird, dass er sich damit auch an die Kanzlerin wendet. Merkel, die Heilsbringerin eines US-Präsidenten? Das hätte sie sich wohl nicht träumen lassen, als sie 1989 in die Politik ging.

Sein Wahlkampf war voller Leidenschaft, sie lullte die Leute ein mit Langeweile

Zumal ihr der Gedanke grundsätzlich ein Graus ist. Sie hält nun mal nichts davon, Menschen oder Pfarrer oder Politiker oder sonst wen zu Heilsbringern auszurufen. Was durchaus auch mit Obama zu tun hat. Mancher im Kanzleramt jedenfalls kann sich noch gut daran erinnern, wie die Kanzlerin es aufnahm, als ein gewisser Barack Obama als US-Senator plötzlich Furore machte. Furore mit einem "Yes, we can", jenen drei Wörtern, die er im Frühjahr 2008 zu einer großen Hoffnung verschmolz - und bei den Vorwahlen der Demokraten Hillary Clinton am Ende keine Chance ließ. "Ihr war es von Anfang an suspekt, Politik und Wahlkampf so aufzuladen", erzählt einer, der Merkel schon sehr lange begleitet. "Sie hat immer die Angst, dass ein zu großes Versprechen nur dazu führt, dass es am Ende nicht erfüllt wird." Gerade bei Obama habe man ja gut studieren können, wie unangenehm und problematisch das werden könne, erzählt der Merkel-Vertraute. "Nehmen wir den Nahen Osten: Obama hat eine großartige Rede vor Studenten in Kairo gehalten, dann hat er den Friedensnobelpreis bekommen. Aber als der Arabische Frühling anbrach, ist er für die Menschen fast nicht mehr zu sehen gewesen."

Nun hüten sie sich im Kanzleramt natürlich davor, Obama zum Abschied Kritisches nachzurufen. Merkel lobt ihn am Donnerstagabend in den höchsten Tönen, preist ihn als Freund, großartigen Partner und wichtigen Weggefährten. Doch abgesehen davon, dass Kritik an Obama in Zeiten Donald Trumps fast schon tabu ist - natürlich hat Merkel auch mit einer gehörigen Portion Neid verfolgt, was für ein Menschenfischer Obama immer gewesen ist. Ihm ist gelungen, was ihr bis heute versperrt bleibt: Er verband Politik und die eigene Kandidatur mit Gefühlen und Leidenschaft. Charme und Anziehungskraft führten zu einer Begeisterung, die sich zur Bewegung auswuchs und Millionen Anhänger politisierte. "Keine Frage, sie hat sich natürlich gefragt, wie er das geschafft hat", erzählt ein zweiter aus ihrer Umgebung.

Zumal sie selbst 2009 einen Wahlkampf führte, der als Gegenteil all dessen bekannt wurde. Langeweile sollte jede Polarisierung verhindern und es dem Gegner unmöglich machen, die eigenen Anhänger zu mobilisieren. Obamas Leidenschaft gegen Merkels Einschläferungstaktik - dazwischen lagen Welten.

Deshalb hat es auch niemanden verwundert, dass die beiden fremdelten, als sie sich im Juni 2009 in Washington zum ersten Mal als Kanzlerin und Präsident gegenüberstanden. Hier der Strahlemann, dort die Nüchterne - das klang wie Feuer und Wasser. Erst allmählich merkten sie, dass sie in Wahrheit Geschwister im Geiste waren. "Zu unserer Überraschung war Obama in der direkten Begegnung mindestens so distanziert und unnahbar wie Merkel", erzählt ein Zeuge der ersten Begegnung. "George W. Bush plauderte gern; er war - wirklich! - herzlich und persönlich." Obama dagegen sei "kühl gewesen, abwartend, kaum neugierig". Ehrgeiz sei auf Ehrgeiz getroffen. "Die beiden haben nicht geplaudert und nicht drum rum geredet. Beide wollten beweisen, dass sie die Dossiers besser kennen als ihr Gegenüber."

Das hat sich über die Zeit erheblich verändert. Trotzdem passt es zu den beiden, dass sie sich - anders als Merkel und George W. Bush - nie zum Wildschweinbraten getroffen haben. Zu Bush passte das; er war zwar ein harter Krieger, aber im persönlichen Umgang mit Merkel neugierig, zugewandt, öffnete ihr gar sein Zuhause. Für Obama wäre das bis heute undenkbar.

Der Schmerz und der Frust unter Obamas Mitstreitern sind offenbar groß

Also sind sie auch dieses Mal nicht nach Templin ins Merkel'sche Wochenendhaus gefahren. Und es hat zum Abschied auch keinen Apfelkuchen aus eigener Produktion gegeben. Statt dessen aßen sie gut drei Stunden im Berliner Hotel Adlon. Und das "unter vier Augen", wie alle Seiten betonen. Eisbein, gebratene Haxe und Nürnberger Würstel, zum Nachtisch Apfelstrudel - ohne Berater, ohne Pressesprecher. Ernsthaft, freundschaftlich, auch zum Adieu sind sie im üblichen Rahmen geblieben.

Hinterher verschickte der Regierungssprecher eine kurze Botschaft, in der nicht nur der Rahmen beschrieben, sondern die Einordnung gleich mitgeliefert wurde: Das Ganze habe "in sehr guter Atmosphäre" stattgefunden. Als Merkel und Obama im Sommer 2011 in einem Restaurant in Washingtons Stadtteil Georgetown zu Abend speisten, hatte Steffen Seibert das hinterher beinahe wortgleich beschrieben.

Trotz des schwierigen Anfangs ist zwischen beiden mit den Jahren Wärme gewachsen. Was auch damit zu tun haben dürfte, dass Obama Merkel 2011 mit einer besonderen Auszeichnung geehrt hat. Damals verlieh er der Kanzlerin den höchsten für Zivilisten vorgesehenen Orden der Vereinigten Staaten. Gut möglich, dass sie sich beim Dinner im Adlon auch daran noch einmal erinnert haben.

Emotionaler, auch melancholischer ist es allerdings offenbar an den Nebentischen im Adlon zugegangen. Da trafen sich noch einmal die Mitarbeiter der Bundeskanzlerin und des scheidenden Präsidenten. Wenn es stimmt, was man hört, dann haben Obamas Leute dort deutlich gezeigt, welcher Schmerz, welcher Frust, welche Trauer sie heute umtreibt. Nicht wenige von ihnen haben acht Jahre an seiner Seite gekämpft; seine Reformen sind auch ihre gewesen. Umso mehr drückt sie die Angst und Perspektive, dass mit Donald Trump alles dahin sein könnte.

Während der nüchtern-analytische Noch-Präsident trotz all der Trump-Ankündigungen so staatsmännisch wie nur eben möglich Amerikas Demokratie verteidigt, haben seine Leute derzeit vor allem Angst vor dem Verlust alles Erreichten. Öffentlich erzählen würden sie das nicht. Aber an diesem Abend wird deutlich, wie sehr sie die Zerstörungswut des Trump-Lagers fürchten.

Vielleicht ist das der Grund dafür, dass die Kanzlerin gegen Ende des Auftritts mit Obama doch noch ein bisschen emotional wird. "Der Abschied fällt schwer, ja klar", sagt Merkel fast herzlich. Und als ob sie mögliche Schmerzen lindern wolle, ergänzt sie, man könne sich auch in Zukunft besuchen, der freie Reiseverkehr mache es möglich. In diesem Augenblick geschieht es: beide lächeln.

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