NS-Verbrecher Arthur Seyß-Inquart:Barbarischer Austronazi

Seyss-Inquart bei Parade/Amsterdam,1941.

Herrscher über Leben und Tod in den Niederlanden: "Reichskommissar" Arthur Seyß-Inquart (Mitte) während einer Parade im Februar 1941 in Amsterdam.

(Foto: picture-alliance/akg-images)

In seiner Heimat Österreich sehen manche Arthur Seyß-Inquart nach wie vor als Gentleman. Eine Biografie zeigt nun, wie fürchterlich er handelte.

Rezension von Ludger Heid

Der 1892 in Südmähren in eine gutbürgerliche Familie hineingeborene Arthur Seyß-Inquart war Jurist, Weltkriegsteilnehmer, katholisch, national, konservativ, eigentlich kein typischer Nazi. Ein Grübler und Zauderer. Als Mitglied in der katholisch-nationalen "Deutschen Gemeinschaft" wurde er Freund von Engelbert Dollfuß, einem Anhänger eines austrofaschistischen Ständestaates, der durch einen Staatsstreich ins Kanzleramt in Wien gelangt war.

Nach der Ermordung Dollfuß' sah sich Seyß-Inquart als "Brückenbauer" zwischen den Nationalsozialisten und dem christlich-sozialen Regime. Unter Dollfuß begann sein Aufstieg und unter dessen Nachfolger Kurt Schuschnigg wurde Seyß-Inquart am 16. Februar 1938 österreichischer Innenminister.

Da hatte Adolf Hitler bereits seine Hände im Spiel und Seyß-Inquart war die Rolle einer Marionette zugedacht, deren Fäden in Berlin gezogen wurden. Für ganze zwei Tage machte ihn der "Führer" zum österreichischen Regierungschef, doch dieses Amt wurde mit dem "Anschluss" obsolet. Seyß-Inquart wurde Reichsminister ohne Geschäftsbereich. Da war aus einem schüchternen katholischen Advokaten längst ein sattelfester klerikalfaschistischer NS-Machtmensch geworden.

Der Wiener Historiker Johannes Koll hat eine voluminöse Biografie über diesen Mann vorgelegt, die eine "Umwertung" des Bildes von Seyß-Inquart belegt: In Österreich gilt Seyß-Inquart mitunter immer noch als "katholischer Gentleman mit leichten nazistischen Einschlägen". Koll ist es mit seiner Biografie gelungen nachzuvollziehen, wie ein eigentlich intelligenter, gebildeter und kultivierter Mensch dazu kommen konnte, aktiv und voller Überzeugung an dem größten Menschheitsverbrechen teilzunehmen.

Ehrgeiziger Schreibtischtäter

Schwerpunkte der Koll'schen Studie bilden die systematische Judenverfolgung, an der Seyß-Inquart bereits nach dem "Anschluss" in der nun genannten "Ostmark", 1939 als Stellvertreter des Generalgouverneurs im polnischen Generalgouvernement, und schließlich zwischen 1940 und 1945 als "Reichskommissar" in den besetzten Niederlanden maßgebend beteiligt war, sowie Seyß-Inquarts politisches Instrumentarium, mit dem er sich an die Spitze der nationalsozialistischen Verwaltung hochgearbeitet hatte.

Dass Seyß-Inquart ein überzeugter Nationalsozialist in der Uniform eines SS-Generals gewesen war, und jede Möglichkeit genutzt habe, um seine Karriere innerhalb des NS-Regimes voranzutreiben, daran lässt Koll keinen Zweifel. Seyß-Inquart habe ein Talent gehabt, mit den richtigen Leuten zum richtigen Zeitpunkt zusammenzukommen. Idealismus, Karrierismus und Pragmatismus, alle drei Grundhaltungen könne man in Seyß-Inquarts Handeln finden, so Koll.

Seyß-Inquart war ein ehrgeiziger Schreibtischtäter, ein furchtbarer Austronazi, der ein ganzes Land mit unbarmherzigem Terror, Zerstörung und Barbarei überzog, Verbrechen, die in der niederländischen Geschichte singulär sind. Öffentlicher und privater Besitz wurde im großen Stil geplündert; durch seine Anordnungen wurde der Anschein der Legalität gewahrt. In seinen letzten Monaten in den Niederlanden gab der einst so distanzierte und kühle Intellektuelle detaillierte Exekutionsbefehle, und legte die Zahl der Opfer eigenhändig vorher fest.

In Den Haag trat Seyß-Inquart als antisemitischer Hardliner auf und trat für einen "erweiterten Judenbegriff" ein. Was er unter dem Ziel der "Sonderbehandlung des Juden" in den Niederlanden verstand, formulierte er so: "Seine vollkommene Ausscheidung aus dem niederländischen Volkskörper ist im Gange." Und er führte dabei mit verbissener Entschlossenheit Regie.

Der "schlaue Tyrann" endete am Strick

Sein verbaler Radikalismus stand im Einklang mit der Wirklichkeit der von ihm zu verantwortenden deutschen Besatzungspolitik. Sich auf den "Führer" berufend, stellte er unmissverständlich fest, dass die Juden in Europa ihre Rolle ausgespielt hätten. Die reibungslose Durchführung der Judenverfolgung rangierte für Seyß-Inquart im Zweifelsfall vor dem konzipierten Ziel der Gewinnung der Niederländer für den Nationalsozialismus.

Unter seinem Terrorregime wurden 120 000 der 140 000 Juden Hollands nach Auschwitz deportiert. Vor dem Nürnberger Tribunal behauptete Seyß-Inquart, dass es den Juden dort "verhältnismäßig gut" gegangen sei und er gedacht habe, dass man sie in Auschwitz für die Neuansiedlung nach dem Kriege festhalte. Dass sein Biograf ihm an einer Stelle zubilligt, kein "Verbrecher im kriminologischen Sinn" gewesen zu sein, mag verwundern, wenn er ihm andererseits die Gesamtverantwortung für die Brutalisierung und Radikalisierung in den Niederlanden durch eigene Beiträge zuschreibt.

Frappierend für Koll war, welche großen Handlungsspielräume Seyß-Inquart innerhalb der NS-Verwaltung gehabt habe. "Das gibt interessante Aufschlüsse über jene Leute, die nach Kriegsende behauptet haben, sie seien nur ein Rädchen in einem großen Getriebe gewesen. So etwas zu falsifizieren und zu zeigen, dass sie zum Teil eine ganz eigene Politik betreiben konnten, das sind die interessanten Momente", betont Koll. Ein Rädchen im Getriebe der nationalsozialistischen Gewaltpolitik, das war Seyß-Inquart gewiss nicht - er war ein Rad.

Der Anklager sprach von Falschheit hinter einer scheinheiligen Maske

In Nürnberg endete Seyß-Inquarts Karriere - am 16. Oktober 1946 am Strick. Der Vertreter der Anklage hatte ihn "gefährlich" und "zügellos" genannt und zu den "schlauen Tyrannen" gezählt. Er habe Macht mit Betrug, Drohungen mit technischen Mitteln und abwegigen Manövern gepaart, Falschheit hinter einer scheinheiligen Maske verborgen.

Als Hauptkriegsverbrecher wurde er, der sich auch vor Gericht als intransigenter Nationalsozialist präsentiert hatte, vom internationalen Militärtribunal schuldig gesprochen wegen Verbrechens der Ausplünderung, Mitwirkung an Deportationen und Ermordung von Menschen. Und diese Verbrechen brachen ihm im Wortsinn das Genick, wobei er wusste, dass sein Strick aus holländischem Hanf gedreht war.

Mit einer leichten österreichischen Verbeugung nahm der Angeklagte, der sich bis zuletzt zu seinem "Führer" bekannte, nach dessen testamentarischen Willen er am 1. Mai 1945 noch deutscher Außenminister hätte werden sollen, das Todesurteil zur Kenntnis.

Ludger Heid ist Neuzeithistoriker. Er lebt in Duisburg.

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