Klimagipfel Kopenhagen:Die Schattenmänner

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Aus dem Hinterzimmer übers Internet auf die Straße: Blogger aus 13 Ländern heften sich den Verhandlungsführern ihrer Heimat an die Fersen - und lassen nicht locker, wenn diese den Gipfel bremsen.

Wolfgang Jaschensky

Kennen Sie Nicole Wilke? Nein? Damit dürften Sie nicht alleine sein. Außerhalb von Fachkreisen kennt Nicole Wilke kaum jemand. Dabei ist sie Deutschlands oberste Klima-Diplomatin. Sie hat Deutschland schon bei den Gipfeln in Nairobi und auf Bali vertreten.

(Foto: Foto: AP)

Jetzt, beim womöglich entscheidenden Gipfel in Kopenhagen, hängt von ihr viel ab, der Verhandlungsführerin einer der größten Industrienationen.

Das weiß Ole Seidenberg. Und deshalb ist er nach Kopenhagen gefahren und weicht Nicole Wilke zwei Wochen lang nicht von der Seite. Seidenberg ist ein negotiator tracker, einer aus einer Runde von 13 Umweltschützern, die sich beim Klimagipfel in Kopenhagen an die Fersen der Verhandlungsführer ihrer Nationen heften.

"Wir wollen nicht, dass die wichtigste Entscheidung der Welt von ein paar hundert Menschen getroffen wird", sagt der 26-jährige Soziologe, der bereits für die Organisation Oxfam in Sierra Leone war und bei den Vereinten Nationen in New York gearbeitet hat.

Natürlich werden die "paar hundert" Entscheider im Kopenhagener Kongresszentrum von vielen beobachtet. Von hier berichten tausende Journalisten aus aller Welt von den Verhandlungen, begleiten tausende Aktivisten das Geschehen für Nichtregierungsorganisationen wie Oxfam, Greenpeace oder WWF. Doch die negotiator tracker sind ein neues Bindeglied im eng geknüpften Netz der globalen Zivilgesellschaft.

Sie beschatten die Verhandlungsführer der wichtigsten Nationen, sammeln Informationen - und nutzen dann alle Möglichkeiten des Web 2.0. Sie posten, bloggen und twittern ihre Erkenntnisse im Netz, diskutieren mit der Internetgemeinde und tragen die Fragen der Menschen an die Delegationen heran.

Vor allem aber wollen sie umgehend Protest organisieren, sollte eine Delegation die Verhandlungen blockieren.

Wichtig für die Tracker ist dabei ein guter Draht zur jeweiligen Delegation. "Wir wollen keinen Aktionimus und kein Draufhauen", sagt Seidenberg. "Wir wissen, dass die Delegierten eine harten Job haben und im Auftrag der Regierung arbeiten. Trotzdem sind wir natürlich in unseren Berichten hart, wenn es nötig ist."

Bei den beiden Vorbereitungstreffen für Kopenhagen in Bangkok und Barcelona konnten sich Delegation und Tracker schon näher kennenlernen - was nicht immer einfach war.

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Bevor die Regierungschefs übernehmen, haben andere im Hintergrund schon einen Großteil der Arbeit erledigt. sueddeutsche.de zeigt die wichtigsten Verhandler.

"In Bonn hab ich mich in ein geschlossenes Treffen reingeschmuggelt und das mit meiner Handykamera aufgezeichnet und auf Youtube veröffentlicht. Das fand Frau Wilke dann nicht so witzig", erinnert sich der 26-Jährige. Doch seither hat sich das Verhältnis deutlich entspannt. Seidenberg findet viele lobende Worte für die deutsche Verhandlungsführerin.

Ole Seidenberg: Aktivist, Blogger - und Schatten der deutschen Delegation in Kopenhagen. (Foto: Foto: oH)

Umgekehrt hat offenbar auch Nicole Wilke die Revelanz ihres Verfolgers erkannt. In Bangkok und Barcelona haben sich die beiden zweimal wöchentlich getroffen. Das, so hofft Seidenberg, wird auch in Kopenhagen so sein. Tracker aus anderen Ländern werden inzwischen sogar zu geschlossenen Meetings eingeladen, sagt Seidenberg.

Neben den Treffen mit der Delegations-Chefin gibt es für den Schattenmann in Kopenhagen jeden Tag viel Arbeit. Der Tag der Tracker beginnt um 6.30 Uhr auf dem Kreuzfahrtschiff, auf dem sie wohnen, weil es sonst keine freie Unterkunft mehr in der dänischen Hauptstadt gibt. Dann bespricht sich das Team, was den Tag über ansteht, wo sie unbedingt dabei sein müssen und wer in welches Meeting geht. Viele Besprechungen sind nicht offen, trotzdem gelingt es den Trackern hin und wieder, sich in ein solches Treffen einzuschleusen.

Dazu kommen Treffen mit Delegierten, Experten von NGOs und mit Journalisten. Und abends werden dann die Blogs gepflegt. Auf www.adoptanegotiator.org läuft die Arbeit aller Tracker zusammen, aber auch über Twitter, Youtube, Facebook und eigene Blogs verbreiten sie ihre Botschaften.

Um, falls nötig, Protest zu organisieren, arbeiten die Tracker mit dem NGO-Dachverband Global Campaign for Climate Action zusammen. So haben sie Zugang zu den nationalen Aktionszentren der NGOs - und können schnell Menschen mobilisieren. In Berlin ist Daniel Kruse im ständigen Kontakt mit Ole Seidenberg. "Wir erfahren aus Kopenhagen, was akut passiert und versuchen dann, schnell und zielgerichtet zu reagieren."

In der Sprache der Aktivisten heißt das dann rapid response. Mögliche Antworten reichen vom Aufruf, über nervige Anrufe bei Politikern oder Ministerien bis hin zu öffentlichen Protesten.

Vielleicht wird Nicole Wilke auf diesem Weg noch bekannter, als ihr lieb ist.

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