Panama Papers:Anhaltende Nachbeben

Lesezeit: 3 min

Vertrauen, das war einmal: Die Menschen in Island nehmen ihren Premierminister Sigmundur Davíð Gunnlaugsson nicht mehr ernst. (Foto: Spencer Platt/Getty)

Manche Fragen kann in Reykjavík derzeit keiner beantworten: Wer ist eigentlich der Regierungschef? Tritt heute noch das Parlament zusammen? Über ein Land in Aufruhr.

Von Silke Bigalke, Reykjavík

Politik in Island ist unberechenbar, so viel zumindest ist sicher bei allen Wirren der vergangenen Tage. Politik in Island läuft nach ihren eigenen Regeln, und mit unkonventionellen Mitteln. Sogar wenn der isländische Premierminister in Reykjavík zurücktritt, bedeutet das nicht unbedingt auch Rücktritt. Seltsam? Nicht für Sigmundur Davíð Gunnlaugsson. Der hatte sich am Montagabend mit seiner Partei zur Krisensitzung getroffen - nachdem er zuvor alles versucht hatte, um im Amt zu bleiben. Er hatte mit Neuwahlen gedroht, sich mit dem Präsidenten gestritten, seinen Rücktritt mehrfach öffentlich abgelehnt.

Seine Partei hat ihm dann offenbar deutlich gemacht, dass es nun vorbei ist. Nach dem Treffen trat sein Vize-Parteichef vor die Kameras, sprach davon, dass er bereit sei, das Amt des Premierministers zu übernehmen - weil Sigmundur Davíð Gunnlaugsson seinen Rücktritt angeboten habe. Gunnlaugsson selbst sagte nichts.

Panama Papers
:Razzia bei der Uefa wegen Panama Papers

Rücktritt des Fifa-Ethikers Damiani, Razzia in der Uefa-Zentrale wegen zweifelhafter Geschäfte des neuen Fifa-Chefs Gianni Infantino: Die Panama Papers wirbeln die Fußball-Verbände durcheinander. Mittendrin: eine winzige Insel im Südpazifik.

Von Catherine Boss, Mario Stäuble und Ralf Wiegand

Später am Abend verschickte sein Büro dann eine Mail an einige ausländische Journalisten. Er sei gar nicht zurückgetreten, erklärte er darin. Er habe seinem Vize lediglich angeboten, dass dieser das Amt des Regierungschefs "für unbestimmte Zeit" übernehmen könne. Er selbst bleibe Parteichef. Ansonsten liest sich die Nachricht wie ein Loblied auf die eigene Regierung. Der Korrespondent der Financial Times teilte die Mail über Twitter - so erfuhren dann auch die isländischen Medien vom Nicht-Rücktritt ihres Regierungschefs. Die Verwirrung in Reykjavík war perfekt.

Die Frage, wer Island gerade regiert, müssen zwei Männer beantworten

Am Tag danach konnte niemand die Frage, wer eigentlich gerade der Regierungschef von Island ist, wirklich beantworten. Auch, ob sich das Parlament nachmittags treffen würde, war lange unklar. Die vier Oppositionsparteien hatten erklärt, dass sie an ihrem Misstrauensvotum gegen die Regierung festhielten - egal, wie diese Regierung aussehe.

Allerdings konnten sie den Sprecher des Parlaments dann nicht davon überzeugen, die Abgeordneten am Nachmittag zusammenzurufen. Eine zunächst geplante Parlamentssitzung war abgesagt worden. Solange nicht klar sei, wie die Regierung aussieht, könne es auch kein Misstrauensvotum gegen diese Regierung geben, so das Argument des Sprechers.

Die Frage, wer Island gerade regiert, müssen zunächst zwei Männer beantworten, Vertreter der beiden Regierungsparteien. Einer von ihnen ist Finanzminister Bjarni Benediktsson, Chef der Unabhängigkeitspartei. Er selbst hat einen schwierigen Stand, weil die Panama-Papiere auch ihn in Bedrängnis bringen. Er hatte Anteile an einer Briefkastenfirma auf den Seychellen. Der zweite Mann ist Sigurður Ingi Jóhannsson, Minister für Fischerei und Landwirtschaft und Vize-Chef der Unabhängigkeitspartei - der Partei von Noch-Premier Sigmundur Davíð Gunnlaugsson. Ihm hatte Gunnlaugsson angeboten, ihn im Amt des Regierungschefs zu vertreten.

Das Vertrauen der Isländer hat der bisherige Fischerei-Minister nicht

Gunnlaugsson kann jedoch nicht im Alleingang seinen Nachfolger bestimmen, ohne den Koalitionspartner zu fragen. Ob der bisherige Fischerei-Minister wirklich der nächste Premier wird, ist daher äußert fraglich. Das Vertrauen der Isländer hat er jedenfalls nicht: Zu Beginn der Affäre um die Offshore-Firma hat er Gunnlaugsson stets verteidigt. Es sei eben "kompliziert, Geld in Island zu haben", hat er gesagt. Es gilt als unwahrscheinlich, dass die Unabhängigkeitspartei ihn als neuen Premier akzeptiert.

Vielen Isländern wird der Rücktritt von Gunnlaugsson allein nicht ausreichen. Sie möchten neu wählen, eine ganz neue Regierung. Selbst nach der Nachricht, dass Gunnlaugsson geht, hatten sich Dienstag wieder Hunderte zum Protest vor dem Parlament versammelt. Sie sind dann lautstark weitergezogen - vor die Zentrale der Fortschrittspartei. Schon am Montag, nach der Enthüllung vom Wochenende, hatten sie sich in Reykjavik zur größten Demonstration in der isländischen Geschichte getroffen: Viele tausend Menschen demonstrierten vor dem Parlament gegen ihre Regierung, die Angaben schwankten zwischen 8000 und 22 000 Teilnehmern.

Am Mittwoch haben sie sich wieder zum Protest verabredet. Sie wollen keine Ruhe geben, bis sie die Regierung geht. Neuwahlen würde wohl die Piratenpartei gewinnen - in Umfragen kommt sie auf 43 Prozent. Es wäre eine Protestwahl gegen die etablierten Parteien, die Piratenpartei gibt es erst seit 2012. Das größte Vertrauen genießt in Island der Umfrage zufolge allerdings die Chefin der Links-Grünen Bewegung, Katrín Jakobsdóttir. "Es geht nicht nur um einzelne Minister", sagt sie. "Die Menschen wollen keine Gesellschaft, in der zwei verschiedene Regelsätze gelten, einer für sehr wenige, sehr reiche Leute und einer für die Allgemeinheit." Am Donnerstag trifft sich das Parlament zur Fragerunde - antworten muss dann der Regierungschef, wer immer das ist.

© SZ vom 07.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: