Irakische Armee im Kampf gegen Isis:Demoralisiert, dilettantisch, desertiert

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Ein Soldat patrouilliert an einem Kontrollpunkt im Norden des Irak unweit von Stellungen der Isis-Kämpfer (Foto: AFP)

Wer kann die Isis-Terrormiliz aufhalten? Die irakische Armee bislang nicht. Ihr Zustand ist erbärmlich, Zehntausende Soldaten sind fahnenflüchtig. Die USA wollen helfen, doch Experten sehen darin eine große Gefahr.

Von Michael König

  • Der Vormarsch der Isis-Miliz im Irak wird maßgeblich begünstigt durch die Schwäche der irakischen Armee. Insider sprechen von verheerenden Zuständen
  • Zehntausende Freiwillige sollen helfen, doch die Truppe ist unterwandert von Fanatikern
  • Die USA stehen vor einem Scherbenhaufen, Experten warnen davor, den Konflikt mit Luftschlägen zu verschärfen

So schwach ist die irakische Armee

Er sei bereit gewesen, sagt Shaalan Abdel-Wahab. Bereit zum Kampf gegen die Isis-Miliz, bereit zum Sterben. Das habe sich geändert, als der Nachschub ausblieb. Als er Hunger litt und vergeblich auf Munition wartete, während die Dschihadisten die Stadt Mossul mit schwerem Geschütz angriffen. Als er hörte, dass seine Befehlshaber allesamt geflohen waren. "Unsere Moral ist zusammengebrochen, wir haben die Motivation verloren", berichtet Abdel-Wahab der Nachrichtenagentur Bloomberg. Sein Fazit: "Es gibt keine Hoffnung in der irakischen Armee."

Abdel-Wahab ist desertiert, so wie Zehntausende andere irakische Soldaten. Er ist in den Norden des Irak geflohen, in das von den Kurden kontrollierte Gebiet. Die Kurden haben eine starke, selbstbewusste und bestens ausgerüstete Armee, die Peschmerga-Kämpfer. Sie haben ihren Machtbereich vergrößert. Sie leisten der Isis-Miliz Gegenwehr, die auf ihrem Weg zu einem islamischen Staat in Irak und in Groß-Syrien weit gekommen ist. Die irakische Armee kann das nicht. Ganze Divisionen lösen sich vor den Augen der Feinde einfach auf. "Wir sind gerade noch in der Lage, die verbliebenen Gebiete zu halten", wird ein Offizier in der New York Times zitiert.

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Der Vormarsch der radikalislamischen Isis-Kämpfer verteilt die Karten im irakischen Machtpoker neu. Droht eine Dreiteilung des Landes? Und wie steht die sunnitische Bevölkerung zu den Dschihadisten? SZ-Korrespondent Tomas Avenarius war gerade im Nordirak und beantwortet die wichtigsten Fragen.

Vor allem die Amerikaner sehen die Entwicklung mit einer Mischung aus Wut und Sorge. Sie haben in den vergangenen Jahren 25 Milliarden Dollar in das Training und die Ausrüstung der irakischen Soldaten gesteckt. Nun rechnet die New York Times unter Berufung auf amtliche Quellen vor, dass fünf der 14 Divisionen der irakischen Armee "kampfunfähig" seien. 60 der 243 Kampf-Bataillone stünden nicht zur Verfügung "und all ihr Material ist verloren", bilanziert Michael Knights vom Washington Institute for Near East Policy. Die Washington Post spricht von einem "psychologischen Kollaps" der Armee. Ihr Zustand sei "desolat" und brauche Jahre, um neu aufgebaut zu werden.

Geprägt von Misstrauen, unterwandert von Fanatikern

Die Regierung von Premierminister Nuri al-Maliki ( hier ein SZ-Porträt) und geistliche Führer wie der schiitische Großajatollah Ali al-Sistani rufen Freiwillige zu den Waffen. 40 000 Männer seien dem gefolgt, verkündet die irakische Armee. Doch ein Großteil sei untrainiert und damit leichte Beute für die Isis-Kämpfer, warnen Experten. Hinzu kommt, dass viele Freiwillige nicht für die Einheit des irakischen Staates kämpfen werden - im Gegenteil.

Wo Isis in Irak und Syrien herrscht. (Foto: SZ)

Der Krieg im Irak hat sich entzündet am Konflikt zwischen Schiiten, die wesentliche Teile der Regierung stellen, und Sunniten, die sich unterdrückt und verraten fühlen. Premier Maliki, ein Schiit, hat seit seiner Wahl 2006 nichts dafür getan, die Gruppen zu einen. Seine Bevorzugung der Schiiten spiegelt sich laut Wall Street Journal auch in der Armee wider. Demnach hätten US-Militärs bei einer Überprüfung der irakischen Verbündeten Ende April ihren Augen nicht getraut: Sunnitische Offiziere seien aus ihren Posten gedrängt worden, ihre schiitischen Nachfolger hätten die Wartung der Waffen und das Training der Soldaten sträflich vernachlässigt. Die Reaktion aus Washington habe so gelautet: "Was zur Hölle ist hier passiert?"

Auch jetzt findet Malikis Ruf zu den Waffen vor allem bei Schiiten Gehör, die um ihre Vorherrschaft fürchten. Verfeindete Stämme, Kämpfer aus Iran und die berüchtigte Mahdi-Armee von Moqdada al-Sadr können sich angesichts der sunnitischen Bedrohung darauf einigen, die irakische Armee zu verstärken. Das macht ihren Rückhalt in sunnitischen Gebieten noch schwächer. "Die Leute hier werden die Armee nicht wieder hereinlassen", berichtete ein Augenzeuge aus Mossul der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. "Sie wissen, dass die Soldaten sich an ihnen rächen würden, weil sie sie als Nährboden der Isis ansehen." Auch SZ-Nahost-Korrespondent Tomas Avenarius spricht von einem "Aufstand der Sunniten".

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Von Tomas Avenarius

Was die Amerikaner tun können

US-Präsident Barack Obama lehnt einen Einsatz von US-Bodentruppen rigoros ab. Er ist bislang lediglich bereit, 300 Elitesoldaten als Berater für das irakische Militär zu entsenden. Die sollen die Aufklärung und den Austausch von Geheimdienst-Informationen zwischen Washington und Bagdad verbessern.

Bislang waren die Amerikaner in dieser Hinsicht zögerlich: Dem Wall Street Journal zufolge hat Obama 2013 zwar einen geheimen Plan zur Unterstützung des irakischen Militärs im Kampf gegen sunnitische Extremisten gebilligt. Doch aus Angst, die aus Geheimdienstquellen stammenden Informationen könnten in den Händen der Schiiten in Iran landen, hielten sich die Amerikaner mit der Weitergabe von Daten zurück. Auch habe sich Maliki gegen eine Luftaufklärung mit US-Drohnen seinerzeit gewehrt, schreibt das WSJ unter Berufung auf US-Beamte.

Der Einsatz von US-Drohnen steht jetzt wieder zur Debatte. Obama hat sich ebenfalls die Möglichkeit gezielter Luftschläge gegen Isis-Stellungen offengehalten. Doch Experten warnen: "Luftschläge ohne umfangreiche politische Veränderungen machen die Lage nur schlimmer", sagte etwa der amerikanische Nahost-Experte Kenneth Pollack dem Spiegel. "Es würde die Sunniten davon überzeugen, dass wir Maliki und die Schiiten stützen und gleichzeitig Sunniten und Kurden unterdrücken. Und ohne Bodentruppen erreichen Luftschläge ohnehin ganz selten ihr Ziel." Denn die irakische Armee ist nicht in der Lage, die bombardierten Territorien zu sichern. Ähnlich äußerte sich der ehemalige US-Befehlshaber im Irak, David Petraeus: "Die Vereinigten Staaten können nicht die Luftwaffe der Schiiten spielen."

Auch die Arbeit der Militärberater ist umstritten. Phillip Smyth, Extremismus-Experte an der Universität von Maryland, warnt in der Washington Post: "Sie könnte dazu führen, dass die USA iranische Stellvertreter und Terroristen bewaffnen oder beraten." Die irakische Armee sei "systemisch" unterwandert.

Sowohl die Experten als auch die US-Regierung sind sich einig, dass eine politische Lösung der beste Weg zur Befriedung des Irak wäre. Aber dafür braucht es Zeit und den Willen zur Veränderung. Beides haben die Iraker momentan genauso wenig wie fähige Soldaten.

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