Irak:Wie die Welt den IS-Terror stoppen will

Die radikalen IS-Milizen rücken im Irak weiter vor, die Lage für Flüchtlinge wird bedrohlicher: Die USA wollen Spezialkräfte entsenden, in Deutschland wird über Waffenlieferungen gestritten. Entscheidend ist aber: Wie geht es in Bagdad weiter?

Von Barbara Galaktionow und Matthias Kolb

Die Lage im Irak ist weiterhin ebenso unübersichtlich wie dramatisch: Die Anhänger der radikalsunnitischen Miliz Islamischer Staat (IS) kämpfen im Nordirak gegen die kurdische Peschmerga-Armee. Weltweit werden die Rufe lauter, der Minderheit der Jesiden zu helfen. Tausende haben sich aus Angst vor den IS-Fundamentalisten in die Berge geflüchtet.

Das Pentagon schickt nun 130 weitere Militärberater in den Nordirak, die bei der Evakuierung der Flüchtlinge helfen sollen. Es handelt sich um Spezialkräfte, die jedoch nicht kämpfen würden, betont das Pentagon. In Europa und in Deutschland wird unterdessen immer intensiver debattiert, ob nicht auch EU-Staaten Rüstungsgüter liefern sollten, um den Gegnern des selbsternannten Kalifats zu helfen. Wie geht es den Flüchtlingen, welche Gebiete kontrolliert IS und gibt es bald eine Einheitsregierung in Bagdad ohne den ungeliebten Premier Nuri al-Maliki? Süddeutsche.de gibt einen Überblick zu wichtigen Themen rund um den zerbröckelnden Krisenstaat Irak.

Werden EU-Staaten Waffen an Kurden im Irak liefern? Was wird Deutschland tun?

Die Position der Europäer ist uneinheitlich. Auf einer Sondersitzung genehmigten die EU-Botschafter den einzelnen Mitgliedstaaten, Waffen an die irakischen Kurden zu liefern. Vor allem Frankreich, Italien und Tschechien wollen so den Vormarsch der IS-Miliz stoppen. Frankreichs Außenminister Laurent Fabius fordert, eine "humanitäre Luftbrücke" von Europa nach Kurdistan einzurichten. Von seinen 27 Kollegen wünscht sich Fabius mehr Engagement und wirbt für ein Krisentreffen in Brüssel: "Ich weiß, dass aktuell Ferienzeit ist, aber wenn es Menschen gibt, die sterben, (...) muss man den Urlaub abbrechen."

Intensiv beteiligt sich Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier an der Debatte. Er betont, angesichts der dramatischen Lage "bis an die Grenze des politisch und rechtlich Machbaren gehen" zu wollen. Zwar vermeidet er es, sich offen für Waffenlieferungen an die Kurden oder die Regierung in Bagdad auszusprechen, aber die Frage, ob Deutschland seine bisherige Haltung ändern muss, ist auf dem Weg, zum wichtigsten innenpolitischen Thema dieses Sommers zu werden.

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen betont im ARD-Morgenmagazin, Berlin wolle so schnell wie möglich militärtechnische Ausrüstung an die Kurden liefern: "Das kommt in den Nordirak, genau zu denen, die gegen den IS kämpfen." Es geht beispielsweise um Betten, Zelte, Schutzwesten und Kleinlastwagen. Als weitere "nicht letale Ausrüstungsgegenstände" wären auch Nachtsichtgeräte oder Sprengfallendetektoren denkbar. Die CDU-Ministerin sagt allerdings weiterhin, dass die Bundesregierung keine Waffen in Krisengebiete liefern wolle: "Aber unterhalb dieser Schwelle möchte ich alle Möglichkeiten ausnutzen, die zur Verfügung stehen."

Für den einflussreichen CDU-Außenpolitiker Elmar Brok sind dies nur erste Schritte. Der Chef des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament will den Kurden so schnell wie möglich Waffen liefern. "Es geht um Stunden und Tage", sagt er dem Deutschlandfunk (Wortlaut hier). Brok plädiert eindringlich für eine enge Kooperation Berlins mit Frankreich, Großbritannien und den USA: "Es ist die Aufgabe der großen Staaten, hier tätig zu werden und den Völkermord zu stoppen."

Kontrovers wird auch in der Opposition diskutiert: Seit Linken-Fraktionschef Gregor Gysi deutsche Waffenexporte "in dieser Notsituation" für möglich hält, "um größeres Unheil zu verhindern", ist die Aufregung in seiner Partei groß. Denn schließlich gehört der Pazifismus zu deren Markenkern. Bei den Grünen hat bislang nur Parteichef Cem Özdemir europäische Waffenlieferungen an die Kurden nicht ausgeschlossen. (Die aktuellen Rüstungsexportlinien und der entscheidende Abschnitt 4 in Kapitel II sind hier zu finden.)

Wo stehen die IS-Kämpfer?

Die Kämpfer der Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS) haben mehrere Schneisen in den Irak geschlagen. Im Juni haben sie sich im Norden des Landes in Mossul festgesetzt. Westlich der Großstadt haben sie Zehntausende jesidische Flüchtlinge im Sindschar-Gebirge eingeschlossen. Außerdem stoßen sie immer weiter nach Süden vor und versuchen zudem nach Osten ins Kurdengebiet und insbesondere in die Kurdenhauptstadt Erbil vorzudringen. Auch vom westlich gelegenen Syrien aus dringen die IS-Truppen weiter in den Irak vor. Zudem versuchen sie, von der westlich von Bagdad gelegenen Stadt Falludscha in die Hauptstadt vorzustoßen (gut zu sehen auf dieser Karte der New York Times).

Auch Luftangriffe der USA im Norden des Irak haben den Vormarsch der sunnitischen Extremisten bislang allenfalls bremsen, aber nicht stoppen können. Man habe ihr "Tempo verlangsamt", sagte ein Pentagon-Sprecher. Doch die IS-Kämpfer seien "weiter darauf aus, größere Gebiete zu gewinnen".

Das Institute for the Study of War (ISW), ein US-Think-Tank mit Sitz in Washington, berichtet auf seiner täglich aktualisierten Darstellung über den Verlauf des Konflikts zudem von verstärkten Aktivitäten im südlichen Kurdengebiet. Vor allem in dieser zwischen Erbil und Bagdad gelegenen Region bietet sich nach Ansicht des ISW für die Kurdenregierung und die Zentralregierung in Bagdad die Chance, eine gemeinsame Strategie für den Kampf gegen die IS-Milizen zu entwickeln.

Ob es dazu kommt, scheint im Moment allerdings besonders unsicher: Derzeit ist nicht einmal klar, wie es in Bagdad weitergeht. Wird der amtierende Ministerpräsident Nuri al-Maliki tatsächlich seinem designierten Nachfolger Haidar al-Abadi weichen? Oder wird er weiter um den Erhalt seiner Macht kämpfen - und so auch noch das schiitische Lager spalten?

Haben die USA Iraks Premierminister Maliki aus dem Amt gedrängt?

Die Zahl derer, die den Schiiten Maliki als Mitverantwortlichen für das Chaos im Irak und nicht länger als Teil der Lösung des Problems ansehen, ist stetig gewachsen. Maliki wird vorgeworfen, die Sunniten und Kurden diskriminiert zu haben und an Kompromissen nicht interessiert zu sein. Einer Einheitsregierung, wie sie der Rest der Welt fordert, wollen kurdische und sunnitische Politiker nur beitreten, wenn Maliki nicht mehr dabei ist.

Dass das schiitische Parteienbündnis zu Beginn der Woche den Vize- Parlamentssprecher und studierten Ingenieur Haidar al-Abadi als Premier vorgeschlagen hat, war eine herbe Niederlage für den Premier. Als US-Präsident Barack Obama seinen Urlaub kurzzeitig unterbrach, um der Welt davon zu berichten, dass er Abadi (hier ein BBC-Porträt) soeben angerufen habe, war es offiziell: Washington will Maliki loswerden. Obama unterließ es bewusst, diesem zu danken und erwähnte seinen Namen nicht.

Am gleichen Tag meldete sich auch US-Vizepräsident Joe Biden beim designierten Premier Abadi - Biden kümmert sich federführend im Weißen Haus um die Irak-Politik. Das Telefon des 64 Jahre alten Maliki blieb hingegen still. Dabei war Maliki 2006 mithilfe der USA Premierminister in Bagdad geworden, doch der Mann entwickelte sich schnell sowohl für den damaligen US-Präsidenten George W. Bush als auch später für Obama zu einer ständigen Quelle von Enttäuschungen (Details bei der New York Times).

Wie lange es dauern wird, bis Maliki selbst erkennt, dass er die Geschicke der irakischen Politik nicht mehr bestimmen kann, weiß niemand. Dass seine Karriere beendet ist, zeigt eine Wortmeldung aus Teheran. Ein Sprecher von Revolutionsführer Ali Chamenei sagte, dass Iran mit dem Verfahren einverstanden sei, mit dem Abadi als neuer Premier nominiert worden sei. Damit verliert Maliki die Unterstützung des schiitischen Nachbarn, der ihn immer unterstützt hatte.

Wie ist die Lage der Flüchtlinge im Irak?

Die Situation der Flüchtlinge im Irak wird immer dramatischer. Im Sindschar-Gebirge im Norden des Landes stecken nach Angaben der UN noch immer bis zu 30 000 Menschen fest. Ein Großteil von ihnen gehört der religiösen Minderheit der Jesiden an. Sie waren aus Furcht vor den vorrückenden IS-Truppen geflohen. Die USA, Großbritannien, Frankreich und der Irak selbst versuchen, die Flüchtlinge aus der Luft mit Hilfspaketen zu versorgen. Die US-Regierung teilte der britischen BBC zufolge mit, US-Flugzeuge hätten bislang fast 100 000 Mahlzeiten und mehr als 123 000 Liter Trinkwasser über der Region abgeworfen.

Doch das reicht nicht aus. Dem Zentralrat der Jesiden in Deutschland zufolge sind viele der Eingeschlossenen akut gefährdet. Binnen eines Tages seien allein 300 Kinder ums Leben gekommen.

Doch nicht nur der Hungertod bedroht die Flüchtlinge, auch die extremistischen IS-Milizen stellen weiterhin eine große Gefahr da. Die UN warnten am Dienstag vor der "unmittelbaren Gefahr von Massakern". Es müsse alles getan werden, um "massenweise Gräueltaten und sogar einen möglichen Völkermord" zu verhindern. Den UN lägen Berichte vor, wonach IS-Mitglieder systematisch Jesiden und andere Minderheiten in die Enge trieben. Die UN verwiesen zudem auf die brachiale Gewalt gegen Frauen. IS-Mitglieder hätten Hunderte von Kindern und Frauen entführt und viele von ihnen vergewaltigt.

Seit Anfang vergangener Woche verließen nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) etwa 200 000 Menschen aus Angst vor den islamistischen Gotteskriegern ihre Heimatorte. Etwa 50 000 Menschen hätten zuletzt in Syrien und in den kurdischen Autonomiegebieten im Irak Zuflucht gefunden. Doch auch ihre Lage ist desolat: Viele hätten bei Temperaturen von bis zu 45 Grad einen Hitzeschlag erlitten, sagte ein UNHCR-Sprecher. Sie seien erschöpft und dehydriert. Hilfe sei dringend notwendig.

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