Grüner Janecek im Bundestag:"Hallo, ich bin der Neue!"

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Seit 2008 ist Dieter Janecek Vorsitzender der Grünen in Bayern. Jetzt zieht es ihn nach Berlin in den Bundestag. Am ersten Tag hat der 37-Jährige eine Menge zu erledigen: eine Wohnungsbesichtigung, die erste Fraktionssitzung und die Suche nach dem Dienstcomputer. Ein Glück, dass die Bundestags-Verwaltung gut organisiert ist.

Eine Livereportage von Hannah Beitzer, Berlin

Es ist sein erster Arbeitstag in Berlin. Dieter Janecek, Vorsitzender der bayerischen Grünen, ist am Sonntag in den 18. Deutschen Bundestag gewählt worden. Neben Presseterminen und der ersten Fraktionssitzung seiner Partei muss er sich auch um alltägliche Dinge kümmern - zum Beispiel die Suche nach einer Wohnung in der Hauptstadt und wo er seinen Dienst-Laptop herbekommt. Süddeutsche.de-Mitarbeiterin Hannah Beitzer begleitet den neuen Abgeordneten und berichtet in einer fortgeschriebenen Livereportage.

Teil 1 - Die Ankunft:

Dieter Janecek kommt an diesem Dienstagmorgen eine halbe Stunde zu spät. "Entschuldigung", murmelt er, "ich bin heute mit dem Fahrservice von Pankow hierher gefahren. Das war ein Fehler. Hat eine Stunde gedauert wegen dem Verkehr."

Janecek steht am Savigny-Platz, wo sein erster Tag als Bundestagsabgeordneter ganz unpolitisch beginnt. Der Grünen-Politiker hat bei einer Kollegin übernachtet und sich gerade eine Wohnung im Berliner Westen angesehen, weit weg von dort, wo die Hauptstadt arm, aber hip und sexy ist. Dafür liegt sie günstig für ihn, der bald im Reichstag arbeiten wird. "Ich hab schon so gut wie zugesagt", sagt er.

Nun muss er aber erst einmal herausfinden, wie er mit der S-Bahn zum Schiffbauerdamm kommt - nach Mitte, in das Herz des politischen Berlins. "Ich bin noch ein bisschen verpeilt", gibt er zu. Dass er überhaupt den Fahrservice des Bundestags nutzen darf, hat er erst am Morgen erfahren.

Seit er in seinem neuen Leben angekommen ist, rennt Janecek seinem Terminplan hinterher. Das beginnt schon damit, dass der Zug, der ihn Montagabend nach Berlin brachte, zehn Minuten Verspätung hatte: 18.15 statt 18.05 Uhr. Eigentlich nicht viel, aber ein Problem für den Grünen, der sich schon um 18.30 Uhr mit anderen jüngeren Mitgliedern seiner Fraktion treffen möchte, der er von nun an angehört. "Es gibt ja schon ein paar Leute unter 40 bei uns", sagt er und lacht. Seiner Partei war zuletzt häufig vorgeworfen worden, dass ihre Führung zu alt sei. Danach geht's am Montagabend weiter zu den Realos, denen Janecek angehört.

Dieter Janecek bei seiner Ankunft in Berlin. (Foto: N/A)

Erst aber wartet bei seiner Ankunft am Bahnhof an diesem Montagabend ein Kamerateam des Bayerischen Rundfunks. Janecek ist bayerischer Landesvorsitzender seiner Partei, bei der dortigen Landtagswahl haben die Grünen ähnlich enttäuschend abgeschnitten wie nun bei der Bundestagswahl.

Janecek war stets dagegen, das Steuerthema ins Zentrum des Wahlkampfes zu stellen, noch kurz vor der Bayernwahl kritisierte er im Interview mit Zeit Online die Strategie seiner Partei. "Das war ja moderate Kritik", sagt er heute, "jetzt ist der Wahlkampf vorbei, da kann man schon etwas deutlicher werden." Hätte die Partei sich früher erneuern müssen, auch personell? "Jetzt ist der Generationswechsel jedenfalls da", sagt Janecek, schiebt aber gleich hinterher: "Das heißt natürlich nicht, dass wir überhaupt keine erfahrenen Leute mehr brauchen."

Janecek klingt eher pflichtbewusst als wütend. Als ob er den Wahlkampf gedanklich schon hinter sich gelassen hat. Er vermittelt den Eindruck, dass sich seine Gedanken nun hauptsächlich um das drehen, was in naher Zukunft passieren wird.

An diesem Montagabend bedeutet das: Das Treffen mit den jungen Grünen um 18.30 Uhr, zu dem er gerade zu spät kommt. Doch erst muss er für die Kameras des BR über den Bahnhofsvorplatz laufen, Antworten wiederholen. Geduldig macht Janecek alles mit, seine Eile ist nur an den immer länger werdenden Schritten zu erkennen. Als er später zum Treffpunkt eilt, rennt er fast. Dann ist die Tür erstmal zu.

Schon wieder in Eile

Und nun, am Dienstagmorgen, ist er schon wieder in Eile, nach der Wohnungsbesichtigung geht es schnell weiter ins Café "Zimt und Zucker" am Schiffbauerdamm. Dort wartet abermals der BR, lärmend drapieren die Journalisten Tische, richten Kameras, die Café-Besitzerin ist nicht gerade begeistert von dem Auflauf: "Das ist ja ein Entgegenkommen von mir. Ich verdien' daran ja nichts", sagt sie, als sie die anwesenden Journalisten an einen Tisch im Vorraum verbannt.

Mitten in diesem Trubel wirkt Janecek fast schüchtern, was aber auch daran liegen könnte, dass er generell eher leise spricht. Manchmal steht das im Kontrast zu dem, was er sagt, wenn er den Kurs der Grünen ziemlich deutlich kritisiert. Wie er da in seinem Nadelstreifenanzug sitzt, an einem Tisch am Fenster, die Scheinwerfer auf sein Gesicht gerichtet, eine Tasse Kaffee vor sich und die Zeitung auf dem Schoß - da wirkt es schon wieder, als wäre er mit den Gedanken schon ein, zwei Stunden weiter. Dann trifft sich die Fraktion der Grünen - und es geht nicht mehr darum, in die Kamera zu lächeln. Sondern um die Zukunft seiner Partei.

Klar, es stehen ja auch wichtige Entscheidungen an bei den Grünen: Was lernen sie aus dem schlechten Abschneiden? Wer wird die Partei führen? Schlägt jetzt endlich die Stunde der Jungen? Und was bedeuten die neuen Mehrheitsverhältnisse im Bundestag für den Realo-Flügel der Partei, dem auch Janecek angehört?

All das klärt sich in den kommenden Stunden - heute ist Fraktionssitzung und Aussprache im Reichstag - aber mindestens genauso viel in inoffiziellen Gesprächen. "Klüngelgespräche" nennt Janecek das. Er trägt den Begriff mit derselben halb ironisch-distanzierten, halb trotzigen Haltung vor sich her, wie Berliner Hipster hässliche Brillen tragen. Als wollte er sagen: "So ist halt Politik. Sie wissen es, ich weiß es - warum sollen wir so tun, als wäre es anders?" Janecek kultiviert das Image des Super-Pragmatikers, mit dem er schon den bayerischen Landesverband führt.

Sein Telefon klingelt ständig an diesem Tag. Gerade geht es darum, wie sich die Realos nun positionieren, wen sie ins Rennen schicken für Fraktions- und Parteivorsitz. Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt werden Ambitionen auf den Fraktionsvorsitz nachgesagt, ebenso ihrer Realo-Kollegin Kerstin Andreae. Oder doch der Parteilinke Toni Hofreiter? Und lange war nicht bekannt, ob Jürgen Trittin noch einmal antritt.

"Da müssen wir halt schauen, wer das macht", sagt Janecek ins Telefon. Und: "Es kann ja nicht sein, dass die, die es verbockt haben, jetzt so tun, als wäre nichts gewesen."

Er legt Wert darauf, als einer zu gelten, der Klartext spricht. Dabei hat seine Art von Klartext reichlich wenig gemeinsam mit - sagen wir - der polterig-ungeschickten Art eines Peer Steinbrück. Seine Aussagen wirken wohl kalkuliert. "Im Wahlkampf sind einige Fehler passiert", zum Beispiel die Festlegung auf Themen jenseits der Ökologie. "Außerdem sind wir zu sehr als Besserwisser rübergekommen", sagt er und äfft den Slogan seiner Partei nach: "Und Du? Und Du?" Schnell schiebt er hinterher, dass er die Kampagne eigentlich gut fand und sich selbst nicht so richtig erklären könne, wie sie eine derartig falsche Dynamik genommen hätte. Gleichzeitig wägt er ab: "Die Fehler sollte man jetzt nicht nur einzelnen Personen anlasten."

Viel Selbstkritik

Aber auch den eigenen Flügel schont er nicht, hier habe es am Montagabend beim Realo-Treffen auch reichlich Selbstkritik gegeben. "Wir haben in zu vielen Dingen nachgegeben", sagt Janecek, "die Kommunikation hat auch nicht funktioniert."

All das nimmt er jetzt mit in den Reichstag, wo die Grünen sich zu ihrer Fraktionssitzung treffen. Janecek ist zunächst noch etwas orientierungslos, zeigt brav seinen Ausweis am Eingang und trifft dann einige Fraktionskollegen. In der Hand trägt er eine Jutetasche. "Ich muss mir bald mal eine ordentliche Tasche kaufen", sagt er entschuldigend.

Vor dem Protokollsaal ist ein riesiger Journalistenauflauf und auch die Parteiprominenz ist da: Renate Künast, Claudia Roth, Ströbele und Katrin Göring-Eckardt, Cem Özdemir. Manche von ihnen sprechen in die Kameras, andere marschieren einfach an den Journalisten vorbei in den Saal. Dieter Janecek holt sich erst einmal was zu essen und verschwindet im Getümmel. Denn er ahnt: Es wird hart. Dann ist die Tür zu. Was in der Fraktionssitzung passiert ist, lesen Sie in unserem Newsblog.

Vor der Fraktionssitzung der Grünen herrscht ein riesiges Gedränge. Mitten drin: Claudia Roth, die als Bundesvorsitzende abtritt. (Foto: dpa)

Politik, Medien und dann auch noch: schnöder Orgakram. So ein neuer Abgeordneter muss einiges regeln, wenn er nach Berlin kommt. Zum Beispiel braucht er Mitarbeiter. Dieter Janecek hat den den ersten Bewerber schon morgens im Café "Zimt und Zucker" getroffen. "Ich werde mich heute aber noch nicht entscheiden", sagt er. Andere hätten schon Leute eingestellt, bevor sie überhaupt Abgeordnete waren. "Da unsere Fraktion ja kleiner ist, sind da natürlich sehr viele Leute auf dem Markt", erklärt er.

Aber auch so steht einiges an: Janecek hat noch keinen Zugangsausweis für den Reichstag. Noch muss er seinen Personalausweis vorzeigen, um reinzukommen. Den endgültigen Ausweis bekommt er erst abends. Außerdem werden noch die Neuen begrüßt, die Alten verabschiedet. Wie sein Zeitplan ist? "Ehrlich gesagt, ich hab noch keine Ahnung", sagt er. Das ist wenigstens ehrlich.

Da ist alles drin: Die Jutetasche, die Dieter Janecek von der Bundestags-Verwaltung bekommen hat. (Foto: Hannah Beitzer)

Doch die Verwaltung des Bundestags ist routiniert. Die Neuen haben vor der Fraktionssitzung einfach eine Jutetasche in die Hand gedrückt bekommen, in der alles ist: Eine Bahncard 100, der Zugangsausweis, ein Leitfaden. Und natürlich mussten sie die Wahl erst formal annehmen. Das hat allerdings nur eine Unterschrift gekostet. Reichlich unglamourös. Den Schlüssel für sein vorläufiges Büro kann Janecek sich am nächsten Tag abholen. "Die Verwaltung hier ist wirklich total kompetent und nett", schwärmt er und lässt das die Welt auch via Twitter wissen.

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Nach der Fraktionssitzung macht Janecek sich auf die Suche nach einem Computer, es geht eine Etage tiefer im Reichstag. In der Hand hält er eine weitere Bewerbungsmappe eines potentiellen Mitarbeiters. Im Aufzug steht Peer Steinbrück, der lärmend Witze reißt, mit ein paar SPDlern. Darunter auch die frisch gewählte Christine Jantz, die auch auf der Suche nach einem Laptop ist. Auf der Plenarebene hält der Aufzug. "Wer hat hier denn gedrückt", ruft Steinbrück, "ein bisschen voreilig, was?" Alle lachen, die Alten routiniert, die Neuen noch ein wenig unsicher.

Gemeinsam steigen Janecek und Jantz aus, zeigen in der Ausgabestelle ihre Ausweise vor und kriegen die Computer in die Hand gedrückt. Im ganzen Raum sitzen neue Abgeordnete mit ihren neuen Computern, ein ITler richtet Janecek die Software ein. "Das kann dauern", kommentiert die Dame am Eingang das Prozedere.

Es dauert tatsächlich weit länger, als Janecek gedacht hatte, fast eine Stunde. Und deswegen muss er schon wieder rennen, er macht sich auf den Weg Richtung Alexanderplatz. Dort werden nämlich um 19 Uhr die ausgeschiedenen Abgeordneten verabschiedet. Für Janecek, den Neuen, geht es hingegen mit diesem ersten Tag in Berlin erst richtig los.

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