Grünen-Parteitag:Habeck: Militäreinsatz ist "manchmal die Bedingung, um Frieden möglich zu machen"

Lesezeit: 5 min

Robert Habeck (Grüne), Umweltminister Schleswig-Holsteins, hier in Lübeck auf dem Landesparteitag im Mai. (Foto: dpa)

Robert Habeck will Spitzenkandidat der Grünen für die Bundestagswahl werden. Er fordert Realismus in der Außenpolitik. Und stellt vor dem Parteitag in Halle erneut das Ökostrom-Ziel der Grünen in Frage.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Robert Habeck, 46, Umwelt- und Landwirtschaftsminister von Schleswig-Holstein, will Spitzenkandidat der Grünen für die Bundestagswahl 2017 werden. Vor dem Bundesparteitag an diesem Wochenende in Halle an der Saale hat er für einen handfesten Streit gesorgt. Er will das alte Ziel der Grünen streichen: 100 Prozent erneuerbaren Strom in Deutschland bis 2030. Sein Änderungsantrag sorgt für Wirbel.

SZ: Herr Habeck, sind Sie ein mutloser Öko-Bremser, der einen Frontalangriff auf ein grünes Identitätsthema führt? Das wirft Ihnen Ihr Parteifreund Hans-Josef Fell vor, weil Sie das Ziel 100 Prozent erneuerbarer Strom bis 2030 aufgeben wollen.

Robert Habeck: Da muss ich erst mal Luft holen ... Für mich klingt das wie verkehrte Welt. Normalerweise muss ich mich rechtfertigen, dass ich die Energiewende in Schleswig-Holstein zu schnell vorantreibe. Der Änderungsantrag, den ich mitverfasst habe, formuliert ein ehrgeizigeres Klimaziel. Es reicht nicht, nur zu sagen, wann wir den Strommarkt vollständig erneuerbar versorgen. Wir müssen auch den Verkehrssektor, die Wärmeerzeugung und die Industrie mit einbeziehen. Und wenn wir das ernsthaft tun, kommen wir später an die 100 Prozent-Marke: Mehr Elektroautos bedeuten mehr Stromverbrauch. Mehr Wärmepumpen bedeuten mehr Stromverbrauch. Der Rest ist Mathematik.

100 Prozent erneuerbare Energie
:Grüne streiten um Ökostrom

Für die Grünen war eine Totalversorgung Deutschlands mit erneuerbaren Energien mal oberste Priorität. Aber nun stellen einige Parteimitglieder das Ziel in Frage.

Von Michael Bauchmüller

Also kein Bremser?

Es ist absurd, ausgerechnet mir das vorzuwerfen. Wir installieren in Schleswig-Holstein jedes Jahr 1,3 bis 1,4 Gigawatt Öko-Strom. Wir bauen jedes Jahr 400 Windkraftanlagen. Wir haben dieses Jahr rechnerisch eine Stromversorgung aus 100 Prozent Erneuerbaren. Wir genehmigen und bauen in wenigen Jahren Stromleitungen in der Länge und Höhe der Südlink-Leitung. Aber genau deshalb weiß ich auch, was das an Konflikten und Diskussionen mit den Menschen in Dörfern und Städten auslöst. Auch mit Umweltverbänden und ab und zu sogar mit der Industrie.

Warum aber sollte es nicht klappen, bis 2030 zu 100 Prozent erneuerbaren Strom zu produzieren?

Wenn man dreimal so viele Windkraftanlagen in 15 Jahren bauen will, dann geht das technisch vielleicht, aber nur zu enormen Kosten. Und man müsste quasi mit einer Planierraupe über das Land fahren und anderes wie Beteiligung, Naturschutz, Rücksicht auf das Lebensumfeld der Menschen hintenanstellen. Ein solch radikaler Vorrang der Energiewende würde die gesellschaftliche Akzeptanz riskieren, das wäre fatal - auch für den globalen Klimaschutz.

Fraktionschef
:Wie Hofreiter die Grünen in die Bundestagswahl führen will

Er will Spitzenkandidat werden, das erklärt der Grünen-Fraktionschef in einem Brief. Und was macht Cem Özdemir?

Von Stefan Braun

Das Ziel 100 Prozent bis 2030 hat sich die Partei 2007 nach einer heftigen Auseinandersetzung gegeben. Warum wollen Sie jetzt daran rütteln?

Weil Politik nur dann Relevanz hat, wenn sie sich mit der Wirklichkeit auseinandersetzt. An Beschlüssen festzuhalten, wenn die Realität anderes fordert, ist für mich keine starke Begründung. Warum fordern wir nicht, alles bis 2025 zu schaffen? Das wäre noch radikaler, würde uns aber keinen Deut weiter bringen. Die Aufgabe ist außerdem größer, als nur den Strombereich umzubauen. In den Bereichen Verkehr und Wärme sind wir erkennbar schlecht. Die Minderung der Treibhausgase bleibt überall deutlich hinter den Zielen zurück. Wir brauchen zügig mehr Effizienz und mehr Erneuerbare in allen Verbrauchssektoren, eine Wärme- und eine Verkehrswende.

Was ist Ihr Ziel?

100 Prozent klimaneutral über alle Bereiche bis 2050.

Strom, Wärme, Verkehr, Industrie - was ist mit der Landwirtschaft, der Rinderhaltung für das schöne Stück Steak? Nach einem UN-Report zerstört allein die Nutztierhaltung das Klima mehr als der gesamte Verkehrssektor weltweit.

Ja, die Landwirtschaft ist einer der größten Treibhausgas-Emittenten. Weniger Tiere, weniger Mais, mehr Grünland - Klimapolitik und Agrarpolitik lassen sich nicht trennen.

Bis 2050 müssen wir also unseren Fleischkonsum drastisch reduzieren?

Das würde auf jeden Fall helfen. Aber anstatt den Menschen ein anderes Verhalten vorzuschreiben, sollten wir die politischen Bedingungen ändern. Das Problem des Veggie-Days war ja vor allem, dass wir den Eindruck erweckt haben, wir wollten den Menschen ihre Freiheit nehmen. Politik kann die Spielregeln verändern, nicht das Wesen der Menschen. Wir sind Politiker, keine Erzieher. Wir brauchen auch gar nicht bessere Menschen für bessere Politik.

Grünen-Parteitag in Schleswig-Holstein
:Habeck verteidigt Spitzenkandidatur

Seine Kandidatur sei sicherlich riskant und gehe vielleicht grandios schief. Aber das sei besser als "ein bewusstloses Taumeln durch Rituale". Mit einer leidenschaftlichen Rede begeistert Robert Habeck in Lübeck seine Partei.

Wie wollen Sie dann den notwendigen Fleischverzicht herbeiführen?

Sorgen wir dafür, dass Tiere mehr Platz bekommen, dass mehr Ökologie in die Landwirtschaft einzieht. Dann steigen die Produktionskosten, das Angebot wird perspektivisch knapper. Um nicht den Landwirten ihre Lebensgrundlage zu nehmen - als Landwirtschaftsminister weiß ich gut, unter welchem ökonomischen Druck sie stehen - müssen wir deshalb zu einem Fördersystem kommen, das Bauern für die gesellschaftlichen Leistungen entlohnt. Die EU-Milliarden sind schon da, nur werden sie nicht zielgerichtet und ohne Effekt ausgegeben.

Energiewende
:Deutsche Klimaziele "erheblich gefährdet"

Eine Expertenkommission der Bundesregierung verlangt ein dreimal höheres Tempo beim Abbau von Treibhausgas-Emissionen.

Von Michael Bauchmüller

Der Parteitag der Grünen wird überschattet sein vom Terror in Paris. Frankreich fordert von den Europäern Bündnissolidarität ein. Werden sich die Grünen dem entziehen können?

Ich hoffe, dass sich alle mit der gebotenen Nachdenklichkeit dieser Frage nähern. Der schnelle Ruf nach Vergeltung ist genauso falsch, wie zu hoffen, dass sich Gewalt und Terror von alleine erledigen. Schließlich haben die bisherigen Interventionen im Nahen Osten nicht zu weniger sondern zu mehr Gewalt geführt. Aber: Die Massenflucht vor Krieg und Terror nach Europa, die Anschläge in Paris - im Herzen dieses Kontinents - machen uns deutlicher als je zuvor: Wir können nicht mehr so tun, als ob uns das alles nichts angeht.

Was bedeutet das?

Unter dem Primat der Politik und der Diplomatie müssen wir uns wieder in staatlicher Solidarität üben. Das schließt Solidarität über die Bündnisse ein, die wir in der EU in den Vereinten Nationen geschlossen haben. Da wird sich Deutschland und da werden sich die Grünen nicht verweigern können.

Muss sich Deutschland im Zweifel auch an Militäreinsätzen gegen den IS beteiligt?

Kein Militäreinsatz schafft Frieden, aber manchmal die Bedingung, um Frieden überhaupt zu ermöglichen. Voraussetzung für alle weiteren Überlegungen und Entscheidungen sind Ziele und Strategien, und ohne Mandat der Vereinten Nationen kann ich mir das nicht vorstellen.

Und wenn es ein UN-Mandat gibt, kämpft Deutschland an der Seite Frankreichs? Ihre Partei hat sich schon mit Waffenlieferungen an die Peschmerga schwergetan.

Es ist doch richtig, wenn man sich in solchen Fragen schwertut. Die Leichtfertigkeit, mit der einige mitunter über Krieg und Militäreinsätze sprechen, finde ich unangemessen. Dieses "Da hauen wir jetzt mal ordentlich drauf" ist doch das Gegenteil einer Strategie.

Im Moment halten die Peschmerga d en Kopf hin für unsere Sicherheit.

Das ist in der Tat so. 250 000 Menschen sind in drei Jahren in Syrien gestorben, durch Bomben Assads, durch Kämpfe, durch Terror, und wir haben es hingenommen. Wir nehmen Hunderttausende Flüchtlinge auf, ja. Aber die Gewalt, den Terror in der Region verdrängen wir. Anschläge wie in Paris gibt es dort jeden Tag. Jetzt, nach Paris, gibt es eine neue außenpolitische Dynamik. Es scheint möglich, Bündnisse zu schließen, in denen Europa, die USA und - so schwierig das ist - auch Russland zusammenstehen. Wenn man diesen Prozess mitgestalten will, darf man nicht mit einem kategorischen Dagegen-Reflex reagieren. Es ist eine Zeit, in der man seine moralische Unschuld kaum behalten kann.

An diesem Freitag wird die Flüchtlingskrise den Parteitag dominieren. Wie halten Sie es mit dem "Wir schaffen es nicht" des grünen Oberbürgermeisters Boris Palmer?

Boris hat Unrecht. Zu sagen "Wir schaffen es nicht" liefert ja auch keine Lösung. Was passiert denn, wenn die Flüchtlinge trotzdem kommen? Bauen wir dann einen Zaun um Deutschland und patrouillieren mit Schäferhunden an der Grenze? Das macht Deutschland zu einem Staat, den ich nicht will. Worüber reden wir also ernsthaft? Die Einrichtung von Hot-Spots, eine solidarischere Verteilung in Europa und geordnetere Verfahren bei Einreise und Integration plus Bekämpfung der Fluchtursachen. Wir brauchen Lösungen und nicht die Beteuerung, dass Lösungen zu finden schwierig ist. Das weiß doch sowieso jeder.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusGrünen-Politiker
:Der Freischwimmer

Robert Habeck ist Minister in Schleswig-Holstein, doch es drängt ihn nach Berlin. Schön, dass der Grüne von der Ostsee nicht nur sehr eigenwillige Ideen, sondern auch Ehrgeiz mitbringt.

Von Stefan Braun

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: